Süddeutsche Zeitung

Korruptionsprozess:Das große Schweigen in Regensburg

Im Verfahren gegen Oberbürgermeister Joachim Wolbergs wird das Urteil gesprochen, drei Jahre nach Beginn der Ermittlungen. Doch das Thema wird von der Stadtpolitik immer noch verdrängt - auch deshalb, weil zu viele verstrickt sind.

Von Andreas Glas, Regensburg

Man muss suchen, eine ganze Weile, und sehr genau hinschauen, um die Spuren zu entdecken, die diese Affäre in Regensburg hinterlassen hat. Zum Beispiel diese Karikatur, DIN A5, holzgerahmt, über einem Bistrotisch im Café Drei Mohren: sechs Männer, die übers Kuchenbuffet herfallen. Einer, ein Glatzkopf, hat sich sogar ein Kuchenstück in die Manteltasche gesteckt.

Unter dem Bild sitzt die Illustratorin Barbara Stefan, 53, Lachfältchen, Sonnenbrille im Haar. Sie hat die Karikatur gezeichnet, vor zwei Jahren, als die Staatsanwaltschaft die erste Anklage erhoben hat. "Weil ich mich so geärgert habe", über die Nähe, die Politik und Bauwirtschaft in Regensburg pflegen. Und weil sie sich gefreut hat. Darüber, "dass dieses System endlich mal juristisch untersucht wird".

Man kann nicht sagen, wie eine Stadt tickt, in der 160 000 Menschen leben. Aber die Kunst war schon immer ein Indikator für Stimmungen. Weil die Kunst den Blick der Gesellschaft auf die Politik freilegt. Der Blick auf die Karikatur im Café Drei Mohren sagt: lauter Raffzähne!

Am Kuchenbuffet in der Karikatur sitzt Hans Schaidinger (CSU), von 1996 bis 2014 Oberbürgermeister. Daneben Norbert Hartl, SPD-Stadtrat, Messer in der Hand. Dazwischen drei Bauunternehmer, die gierig zulangen. Der Glatzkopf mit dem Kuchen in der Tasche steht rechts außen: Joachim Wolbergs, Spitzname "Wolli", ehemals SPD, derzeit als Oberbürgermeister suspendiert. Drei Politiker und drei Bauunternehmer, die im Zentrum der Korruptionsaffäre stehen. Wolbergs, Hartl und der Unternehmer Volker Tretzel stehen seit Herbst vor dem Regensburger Landgericht. Am Mittwoch sollen die Urteile fallen.

"Endlich", sagt Barbara Stefan. Wer sich in diesen Tagen in der Stadt umhört, dem begegnet dieses Wort häufiger: endlich! Exakt 1114 Tage nach Bekanntwerden der Ermittlungen und 282 Tage nach Prozessbeginn bekommen die Regensburger Klarheit, jedenfalls juristisch. Ein guter Zeitpunkt, um dieser Stadt den Puls zu fühlen. Was hat die Affäre mit Regensburg gemacht? Wie hat Regensburg das alles verarbeitet? In der Kunst, der Politik, überhaupt in der Stadtgesellschaft?

Thema eins: Kunst. Mal überlegen, was fällt einem noch ein? Im Juli 2016 druckte die Regensburger Stadtzeitung das berühmte Schwarz-Weiß-Bild, das den toten Uwe Barschel in der Badewanne zeigt - und fotomontierte Wolbergs' Gesicht auf die Barschel-Leiche. Aber das war natürlich keine Satire, keine Kunst, das war nur widerlich. Also, was gab es noch? Diese Aufkleber, die plötzlich überall in der Stadt pappten: das Wolbergs-Konterfei plus Schriftzug "Don Corrupto". Diesmal war es Satire. Die Stadt stellte trotzdem Strafanzeige. Der OB müsse "geschützt werden", das war die Begründung. "Schlimm", sagt Barbara Stefan. Sie meint nicht die Aufkleber. Sondern die Reaktion der Stadt.

Es gab auch die Flyer des fiktiven Immobilienunternehmens "Ratisbest", die Klaus Schwarzfischer und Hubert Lankes in Umlauf brachten. In den Flyern hieß es: "Wir garantieren 100%ige Auslegung der Unschuldsvermutung zugunsten unserer Klienten und innovative, anonymisierte Spendenstückelungsmodelle." Und es gab den Song der Regensburger Rapper Demograffics. Der Refrain geht so: ""Wolli, Wolli, mei liaba Scholli / Wolli, Wolli, wos war des für a Story?" Sehr kreativ das alles. Aber in der Summe sehr dürftig. Warum?

Barbara Stefan hat da eine Erklärung parat: "Es war sehr viel Zurückhaltung, weil die Künstlerschaft traditionell der SPD nahesteht." Vor allem Wolbergs fühlten sich viele Regensburger Künstler nahe, sagt die Karikaturistin. Bevor er OB wurde, leitete er das Kulturzentrum Alte Mälzerei. Auch im Wahlkampf habe Wolbergs den Künstlern viel versprochen, sagt Barbara Stefan. "Es ist ja nicht so, dass alle Künstler von ihrer Kunst leben können. Es gibt eine Abhängigkeit vom good will der Politik, was Kritik formal schwierig macht."

Joachim Wolbergs bereitet sein Comeback vor, aber nicht mehr in der SPD

Apropos, Thema zwei, die Politik. Normalerweise ist es ja so: Wenn Politikeraffären aufploppen, reicht oft der Druck aus der eigenen Partei, um den Affärenpolitiker zum Rücktritt zu bewegen. In Regensburg ist das anders. Obwohl ständig neue Vorwürfe durchsickerten, nahm die SPD ihren Genossen Wolbergs monatelang in Schutz. Erst als er in U-Haft saß und die Landesanwaltschaft ihn suspendierte, rückten die ersten Parteikollegen von ihm ab. Doch kaum ein Sozi traute sich, Wolbergs' Spendenpraxis oder seine Nähe zur Bauwirtschaft zu kritisieren. Über Wolbergs zu urteilen, das stehe nur einem Richter zu, das bekam man damals oft zu hören.

Und heute? Ist Wolbergs aus der Partei ausgetreten und hat eine eigene Wählervereinigung ("Brücke") gegründet, mit der er bei der Wahl 2020 wieder als OB-Kandidat antreten möchte - gegen die SPD. Doch selbst jetzt druckst SPD-Fraktionschef Klaus Rappert herum, wenn man ihn fragt, ob Wolbergs als OB noch tragbar ist. Er sehe "Probleme mit seiner Spendenpraxis", sagt Rappert. Aber tragbar? "Dazu werden Sie von mir nichts hören."

Es ist bezeichnend, dass man raus muss aus der Stadt, um einen SPD-Politiker zu finden, der Klartext spricht. Man nimmt die B 16 in Richtung Roding und fährt nach 15 Kilometern ab. Man parkt das Auto am Wenzenbacher Rathaus und trifft Bürgermeister Sebastian Koch zum Spaziergang durch seine 8600-Einwohner-Gemeinde. Koch, 31, ist SPD-Unterbezirkschef. Im Frühjahr hat er Wolbergs' neuen Wahlverein "Fanklub" genannt. Dass auch SPD-Mitglieder der "Brücke" beigetreten sind, bezeichnete er als "unreflektierten Personenkult". Wolbergs ätzte zurück: "Wer kennt den Herrn Koch?" Erst mal das Urteil abwarten? Koch findet, dass Wolbergs "unabhängig vom Ausgang des laufenden Gerichtsverfahrens nicht mehr glaubhaft für eine sozialdemokratische und seriöse Kommunalpolitik eintreten kann".

Diese Deutlichkeit unterscheidet Koch nicht nur von den meisten SPD-Kollegen - auch die anderen Parteien der Rathauskoalition halten sich still. Horst Meierhofer (FDP) würde Wolbergs im Falle eines Freispruchs "natürlich" wieder als OB akzeptieren. Das mit den Parteispenden hätte er "anders gemacht", aber deshalb "werde ich bestimmt nicht aus der Koalition austreten". Auch Regensburgs Dritter Bürgermeister Jürgen Huber (Grüne) macht keinen Hehl aus seiner Solidarität für Wolbergs. Als Huber als Zuschauer im Gerichtssaal war, hat er ihn umarmt. Sonderbar sei auch das Verhalten der CSU, findet Koch. "Ich kann nullkommanull nachvollziehen, warum einige CSU-Politiker am Anfang so draufgehauen haben", als die Ermittlungen publik wurden.

Etwa Franz Rieger, bis vor Kurzem Regensburger CSU-Chef. Der hatte anfangs von einer "Affäre Wolbergs" gesprochen, die "maximalen politischen Schaden" produziert habe. Inzwischen hat sich der Schaden noch maximiert, weil auch gegen Rieger Ermittlungen im Zusammenhang mit Spenden aus der Baubranche laufen. Bei Alt-OB Schaidinger interessieren sich die Ermittler für einen lukrativen Beratervertrag, den der CSU-Politiker nach Ende seiner Amtszeit bei der Baufirma Tretzel unterschrieb. Und CSU-Stadtrat Christian Schlegl hat bereits eine Anklage am Hals. Auch bei ihm geht es um Spenden. Dass nun auch die CSU stillhält, das immerhin ist leicht zu erklären. "Weil sie womöglich selbst Dreck am Stecken haben", sagt SPD-Bürgermeister Koch.

Wenn im Stadtrat alle stillhalten, was bedeutet das dann für die politische Aufarbeitung der Affäre? Man müsse da nachsichtig sein, sagt Koch, weil "die Stadt seit der Suspendierung des OB immer noch Krisenmanagement betreiben muss". Und Barbara Stefan sagt: "Ich habe nicht den Eindruck, dass sich sehr viel getan hat, was die Auseinandersetzung mit dem Thema Korruption betrifft."

Als der Stadtrat im Februar 2017 beschloss, Transparency International (TI) lapidar darum zu bitten, eine "Blick auf die Korruptionsbekämpfungsrichtlinie der Stadt" zu werfen, klang das nicht direkt nach großem Aufräumen. Ein Papier zu prüfen, das sich in der Theorie gegen Korruption stemmt, sei in der Praxis sinnlos, "es sei denn, man suche nur nach einer Bestätigung, dass man alles richtig gemacht habe" - das war die TI-Antwort. Eine Blamage. Immerhin beantragte der Stadtrat im April 2017 eine feste TI-Mitgliedschaft, die mit Selbstverpflichtungen zur Korruptionsbekämpfung verbunden ist. Sonst aber spielte das Thema Korruption zuletzt keine große Rolle mehr im Stadtrat.

In der Stadt ist viel Spannung zu spüren, aber auch Überdruss

Bleibt noch eine Frage: Was hat die Affäre mit den normalen Bürgern gemacht? In den Cafés und Wirtshäusern trifft man vor allem zwei Typen. Solche, die gespannt aufs Urteil warten, die endlich Klarheit haben wollen. Und diejenigen, die sich eine gewisse Gleichgültigkeit zugelegt haben. Sie wundere sich, dass in den vergangenen drei Jahren "nichts entstanden ist" bei den Bürgern, sagt Karikaturistin Barbara Stefan. Immerhin gehe es in der Affäre um die Verflechtung zwischen Politik und Baubranche - und das in einer Stadt, in der die Immobilienpreise durch die Decke gehen. "Einen Protest, vielleicht sogar eine Demo", das hätte sie irgendwie schon erwartet, sagt Stefan.

Wer der Stadt den Puls fühlt, der spürt also gar nicht so viel. Etwas Spannung vielleicht, kurz vor dem Urteil. Aber auch Überdruss. Seit drei Jahren schwelt die Affäre, das produziert Ermüdungseffekte. Die Kuchenbuffet-Karikatur dagegen sorgt bis heute für Aufmerksamkeit. Sagt die Karikaturistin. Alle seien schon unter dem Bild gesessen, erzählt Barbara Stefan: der Oberstaatsanwalt, auch Volker Tretzel mit seinen Anwälten. Am Tag nach Tretzels Besuch habe es "eine anonyme Kaufanfrage" gegeben. Danach habe sich der Interessent nie wieder gemeldet.

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Quelle:
SZ vom 29.06.2019/kast
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