Wenn im Juli in Berlin der Christopher Street Day (CSD) stattfindet, werden am Bundestag keine Regenbogenflaggen wehen, anders als in der Vergangenheit. Am Münchner Maximilianeum dagegen schon. „Auch heuer hissen wir vorm Landtag wieder die Regenbogenfahne“, sagt Parlamentspräsidentin Ilse Aigner (CSU) auf Nachfrage und mit Blick auf den Münchner CSD, der an diesem Wochenende stattfindet. Die Flagge stehe für Vielfalt, Toleranz und Offenheit, „also für sehr demokratische Werte“. Sie positioniert sich damit anders als ihre Unionskollegin Julia Klöckner (CDU), Präsidentin des Deutschen Bundestags.
Neben dem Hissen der Regenbogenfahne hat die Bundestagsspitze auch die Teilnahme des queeren Netzwerks von Parlamentsbeschäftigten am Berliner CSD untersagt. Grüne und Linke protestierten scharf gegen diese Entscheidung. Dies sei „ein politisches und moralisches Versagen auf ganzer Linie“, schrieben Linken-Abgeordnete an Bundestagspräsidentin Klöckner. „Ein gesellschaftspolitischer Rückschritt“, kritisierte auch Verdi-Chef Frank Werneke und sprach von einem „Einknicken vor rechten Tendenzen“.

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Die Regenbogenflagge sei „ein Symbol für Gleichberechtigung, für Akzeptanz und Solidarität mit queeren Menschen. In anderen Kulturen steht der Regenbogen übrigens für Frieden und Hoffnung“, betont Landtagspräsidentin Aigner. Zuvor hatten auch die Landtagsspitzen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen versichert, die Flagge während der diesjährigen CSD-Feiern in Stuttgart und Düsseldorf hochzuziehen.
Vor wenigen Wochen erst hatte die bayerische AfD-Landtagsfraktion den Versuch unternommen, die Regenbogenflaggen an allen öffentlichen Gebäuden zu verbieten – per Gesetzentwurf. Die übrigen Fraktionen sprachen sich dagegen aus. Also auch die CSU, deren Redner Peter Wachler von einem „Angriff auf die Toleranz“ und „die freiheitlich-demokratische Grundordnung in ihrer gelebten Form“ sprach.
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) pflegte zuletzt einen doppeldeutigen Umgang mit queeren Themen. Einerseits schränkte er das Gendern an Schulen und Universitäten ein und bezeichnete das Selbstbestimmungsgesetz als „ideologischen Unsinn“. Andererseits gab er ein Schutzversprechen für „jede Liebe“ und kündigte einen bayerischen Aktionsplan für sexuelle Vielfalt an. Während der Fußball-Europameisterschaft 2021 ließ Söder die Regenbogenfahne auch an der Münchner Staatskanzlei hochziehen, bei einem Spiel in der Münchner Arena trug er eine Corona-Schutzmaske in Regenbogenfarben, um ein Zeichen gegen Homophobie zu setzen.

Lange gehörte ein homophober Unterton zur CSU-Rhetorik. Noch 2013 sagte der damalige Generalsekretär Alexander Dobrindt, dass seine Partei eine Stimme „gegen eine schrille Minderheit“ sei. Seit 2017 gibt es einen Landesverband der LSU, der Lesben und Schwulen in der Union. Vor zwei Jahren hat deren Vorsitzender Jakob Schneider die ambivalente Haltung der CSU im SZ-Interview verteidigt. Über Parteichef Söder sagte er: „Es ist doch seine Aufgabe als Landesvater, dass er alle ins Boot holt und vermittelt. Auch diejenigen, die es als Gefahr sehen, dass sich die Gesellschaft verändert. Ich finde das richtig.“
Die aktuelle Fahnendebatte fällt in eine Zeit, in der queere Menschen unter wachsendem Druck stehen. Im brandenburgischen Bad Freienwalde hatten Vermummte kürzlich ein Fest für Demokratie und Vielfalt angegriffen. Auch in Regensburg gab es Berichte über eine Bedrohung. Dort findet der diesjährige CSD am 5. Juli anders statt als zunächst geplant. „Es gab ein Drohschreiben“, sagte CSD-Organisator Alexander Irmisch dem Regensburger Internetportal regensburg-digital.
Damit ist nach SZ-Informationen wohl ein Post in einem sozialen Netzwerk gemeint, aus dem eine Bedrohung für CSD-Veranstaltungen abzulesen ist. Dieser soll sich aber weder auf Regensburg noch auf Bayern beziehen. „Es liegen keine konkreten Gefährdungshinweise vor“, sagt eine Polizeisprecherin. Die Strecke des alljährlichen Umzugs wurde trotzdem verändert und gekürzt. Statt durch die engen Gassen der Altstadt zu ziehen, gibt es laut Veranstaltern eine stationäre Kundgebung am Domplatz, von dort geht es weiter zu einem Straßenfest.
In ihrem Antrag für eine Gesetzesnovelle hatte die AfD-Landtagsfraktion „ein unübersichtliches Sammelsurium verschiedenster Fahnen“ an öffentlichen Gebäuden in Bayern kritisiert. Dass nicht mehr nur Schwarz-Rot-Gold und Weiß-Blau als klare Hoheitssymbole gehisst würden, verwirre die Bürger und bremse deren „Identitätsgefühl“. Abseits von Staatsbesuchen sollten demnach künftig ausschließlich die Flaggen der Bundesrepublik, des Freistaats oder der jeweiligen Kommune angebracht werden dürfen. Landtagspräsidentin Aigner teilt auf Nachfrage mit: „Die Bayernflagge und die Deutschlandflagge werden für den Regenbogen nicht abgehängt – beide wehen selbstverständlich ganz oben auf dem Maximilianeum“.