Anfrage im Landtag:Wenn sich Polizisten Daten erschleichen

Polizisten in Frankfurt

Informationen, die nichts mit ihrem Dienstgebrauch zu tun hatten, besorgten sich Beamte unter anderem im bundesweit verwendeten System Inpol.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Immer wieder kommt es in Bayern zu unrechtmäßigen Abfragen durch Beamte an Dienstcomputern. Die Grünen fordern strengere Kontrollen, die "NSU 2.0"-Affäre sei eine Warnung. Doch in der Praxis ist das gar nicht so einfach.

Von Johann Osel

In Bayern gibt es jährlich Dutzende Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen Polizisten, weil sie auf Computern ihrer Dienststellen unrechtmäßig Daten abfragten. Von 2017 bis Mitte vergangenen Jahres (dem Stichtag einer Anfrage der Grünen an die Staatsregierung) wurden insgesamt 182 Verfahren bei den Polizeibehörden eingeleitet. Viele Fälle umfassten mehrere Abfragen.

Informationen, die nichts mit ihrem Dienstgebrauch zu tun hatten, besorgten sich Beamte unter anderem im bundesweit verwendeten System Inpol, das Strafanzeigen, Haft- oder Erkennungsdienstdaten aufführt, im Verkehrssünderprogramm, Ausländerzentralregister oder auch in der Einwohnermeldedatei.

Das sei nicht nur eine "stattliche Zahl" in dreieinhalb Jahren, sondern auch lediglich ein "Hellfeld", sagt Katharina Schulze, Fraktionschefin und innenpolitische Sprecherin der Grünen. Zudem zeige ihre Recherche, dass die Entdeckung nur über "rudimentäre Stichproben" geschehe. "Aufgrund der geringen Kontrolldichte wissen wir nichts über eine möglich erhebliche Dunkelziffer. Die Zahl der anlassunabhängigen Stichprobenkontrollen muss weiter erhöht und systematisiert werden", fordert Schulze. Eigentlicher Anlass ihrer Anfrage ist die "NSU 2.0"-Affäre, die rechtsextremistische Drohbriefserie, bei der etwa in Hessen auf personenbezogene Daten aus Polizeicomputern zurückgegriffen wurde.

Wie das bayerische Innenministerium mitteilt, befinde sich unter den 182 Verfahren kein politisch motivierter Fall. Schulze warnt am Beispiel NSU 2.0 jedoch davor, "welches Gefahrenpotenzial von unrechtmäßigen Datenabfragen ausgehen kann" - zumal bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main dazu eine Spur auch nach Bayern führe. Bei einem ehemaligen Landshuter Polizisten hatte es 2020 eine Hausdurchsuchung gegeben.

Laut Innenministerium trifft die Polizei "eine Vielzahl von Maßnahmen, um Missbrauch vorzubeugen und sicherzustellen, dass auf die polizeilichen Datenbestände nur innerhalb der gesetzlichen Vorgaben zugegriffen wird". Dazu gehörten zum Beispiel Schulungen, persönliche Passwörter und die automatische Sperrung des Monitors bei Inaktivität.

Für jeden Datenabruf bestehe eine klare Zuordnung zu mitprotokollierten Benutzerdaten. Überprüft werden könnten Zugriffe somit einerseits zielgerichtet bei Verdacht. Andererseits setze man auf anlassunabhängige, technisch automatisierte Stichproben. Das Verfahren gibt es seit dem Jahr 1998 mit bayernweit zehn Stichproben am Tag, erst kürzlich wurde es auf 100 Stichproben ausgeweitet.

Die 182 Verfahren dürften sowohl aus anlasslosen Routinekontrollen stammen als auch aus Fällen, in denen nach Auffälligkeiten intern ermittelt wurde. Statistische Schwerpunkte sind die Präsidien in München (35 Fälle in dreieinhalb Jahren) und Mittelfranken (32). In 19 Fällen landesweit wurden die widerrechtlich erlangten Daten nachweislich innerhalb der Behörde oder an externe Personen weitergegeben. In solchen Fällen folgen in der Regel strafrechtliche Ermittlungen und ein förmliches Disziplinarverfahren. Ansonsten gibt es meistens eine Geldbuße.

Katharina Schulze findet, dass der Ministerpräsident seiner "Fürsorgepflicht" für die Bürgerinnen und Bürger "nicht gerecht" werde.

"Die Zahl der anlassunabhängigen Stichprobenkontrollen muss weiter erhöht und systematisiert werden", fordert Grünen-Fraktionschefin Schulze

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Hört man sich in Polizeikreisen um, fällt ein Wort häufig: "Neugier". Demnach bezogen sich Abfragen nicht selten darauf, dass ein Kollege Ärger mit dem Gesetz hat. Oder auf Ermittlungen zu Prominenten. Alleine der Fall eines Fußballprofis, der in München sein Haus angezündet hat, habe bayernweit Polizeicomputer quasi glühen lassen. Dazu kämen private Interessen, Beispiel: Der junge Beamte, dem eine attraktive Dame auffalle und der eine Halterabfrage als Flirtanbahnung missbrauche. Oder mitunter "die berühmten Spezl-Dienste".

Jürgen Köhnlein, der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, betont auf Anfrage: "Ja, es gibt Fälle von unsensiblem Umgang mit Daten, aber es wird immer weniger. Die Kolleginnen und Kollegen sind sensibilisiert." Die jetzige Verzehnfachung der Stichproben, wenn auch von niedrigem Niveau aus, sei "da ein klares Signal. 100 ist eine andere Hausnummer und trägt sicherlich weiter zur Sensibilisierung bei." Es sei nach vielen Jahren nötig gewesen, den Umfang weiterzuentwickeln.

Bayerns Datenschutzbeauftragter Thomas Petri berichtet von "unregelmäßigen Beschwerden" zum Thema. Die 100er-Marke bei den Stichproben sieht er als "überfälligen Schritt". Lobenswert sei auch, dass Missbrauch geahndet werde. Es gehe um hochsensible Daten von Bürgern, an denen sich keiner "aus privatem Interesse zu delektieren" habe: "Neugier mag menschlich sein, ist aber hier nicht erlaubt", sagt Petri. Die Polizei habe ein Eigeninteresse daran, das alles korrekt laufe - zumal eine Datenweitergabe an Kriminelle oder zu politischen Zwecken (wenn auch ihm in Bayern nicht bekannt) nie auszuschließen sei.

Eben deshalb stellt sich Schulze eine Erhöhung der Stichproben vor oder gar einen digitalen Check aller Abfragen: "Das muss doch heutzutage automatisch und allumfassend funktionieren." Eine weitere Erhöhung ist laut Ministerium "derzeit nicht vorgesehen". Auch Köhnlein hält den Status quo für ausreichend, eine Ausweitung hätte keinen zusätzlichen Effekt. Der digitale Automatismus sei auch nur anfangs einer: Jede zufällig verlangte Stichprobe werde vom Vorgesetzten geprüft und per Unterschrift bescheinigt. "Eine Vielzahl von Stichproben jeden Tag würde die tägliche Arbeit in einer Dienststelle blockieren."

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