Polizeiaufgabengesetz:Ist das noch Präventivhaft oder schon Wegsperren?

Polizeiaufgabengesetz: Die Präventionshaft, die durch das Polizeiaufgabengesetz möglich wird, ist zurzeit vieldiskutiert. Mehrere Klimaaktivisten sind in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim eingesperrt. Dagegen demonstrierten Unterstützer.

Die Präventionshaft, die durch das Polizeiaufgabengesetz möglich wird, ist zurzeit vieldiskutiert. Mehrere Klimaaktivisten sind in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim eingesperrt. Dagegen demonstrierten Unterstützer.

(Foto: Felix Hörhager/dpa)

Eine kleine Gesetzesänderung gerät im Landtag zur Grundsatzdiskussion. Wieder einmal darüber, was die Polizei alles dürfen soll. Die Debatte ist alt, doch der Anlass ist ein neuer.

Von Andreas Glas

Joachim Herrmann will es kurz machen. Der Innenminister spricht über Gefahrenabwehr, über die Suche nach vermissten Menschen. Ein paar Minuten nur, dann sagt Herrmann (CSU): "Ich bitte Sie um eine zügige Beratung des Gesetzesentwurfes." Um es vorwegzunehmen: So ganz wird ihm das Parlament diesen Wunsch nicht erfüllen.

Eigentlich geht es an diesem Mittwoch im Landtag nicht um Grundsatzfragen, eher um juristische, wenn auch wichtige Details im Polizeiaufgabengesetz (PAG). Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde das Bundesrecht geändert, die Hürden für Datenabfragen sind höher geworden, etwa bei Telekommunikationsdaten. Das Landesrecht muss also angepasst werden, größtenteils Formsache, eigentlich. Aber es ist halt nicht irgendein Gesetz, das hier auf der Tagesordnung steht. Im Frühjahr 2018 gab es landesweit Proteste gegen eine Novelle des PAG. Zehntausende sahen die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger durch neue Befugnisse der Polizei bedroht.

Viereinhalb Jahre später ist die Debatte um das Gesetz zurück. Zuletzt haben bayerische Gerichte ja mehrere Dutzend Menschen in Präventivhaft geschickt, die sich auf Straßen festgeklebt hatten, um für Klimaschutz zu demonstrieren. Und so wächst sich Tagesordnungspunkt 1 c) dieses Plenarmittwochs zur Grundsatzdebatte aus. Es geht um die Frage, ob das PAG spätestens jetzt jede Verhältnismäßigkeit sprengt.

Auf jeden Fall, findet Katharina Schulze, Fraktionschefin der Grünen im Landtag. Sie ist der Meinung, dass die Staatsregierung die Gelegenheit nutzen sollte, um die Passage aus dem Gesetz zu streichen, die der Polizei bereits bei "drohender Gefahr" weitreichende Eingriffsrechte gewährt. Mit dieser Formulierung hatte die Staatsregierung die Hürden für vorbeugenden Gewahrsam ja deutlich niedriger gesetzt - bis zur Novellierung des Gesetzes im Jahr 2018 war nur von "konkreter Gefahr" die Rede. Weil die Staatsregierung aber "unbelehrbar" am aktuellen Stand festhalte, sieht sich Schulze bestätigt, dass das PAG "mit Rechtsstaatlichkeit gar nichts mehr zu tun hat". Dass jemand, der "eine Sitzblockade begeht", direkt "weggesperrt" werde, zeige nur, dass diejenigen, die gegen das PAG demonstriert haben, "mit ihren Befürchtungen recht hatten".

Was nicht allen bewusst ist: Die Präventivmaßnahmen, die das PAG möglich macht, kamen schon zum Einsatz, bevor der Kampfbegriff "Klimakleber" seinen Platz im deutschen Sprachschatz fand. Und zwar keinesfalls nur im Bereich der Terrorismusabwehr, mit der die Staatsregierung die Notwendigkeit der PAG-Novelle besonders begründet hatte, vor allem mit Blick auf islamistische Gefährder. Angeordnet wurden die Maßnahmen auch wegen Stalking und befürchteter Straftaten im häuslichen Umfeld: Drohungen gegen Ehepartner, Eltern oder Bekannte. Und erst kürzlich zeigte eine Anfrage von Grünen-Fraktionschefin Schulze beim Innenministerium, dass während der Pandemie in 191 Fällen ein präventiver Gewahrsam angeordnet wurde, nach Verstößen gegen Corona-Regeln.

"Eine Geisel für das Verständnis zwischen Bürger und Polizei", so nennt Horst Arnold (SPD) das PAG, das er für "nicht tragbar" hält. Alexander Muthmann (FDP) ist dagegen der Meinung, dass Präventivhaft grundsätzlich auch bei Delikten möglich sein müsse, die "im Strafmaß keine Gefängnisstrafe erwarten lassen". Ob er damit diejenigen meint, die sich aus Protest auf Straßen festkleben? Am Ende möchte der Innenminister dann doch noch etwas loswerden. Es gehe um eine Anpassung des Gesetzes, nicht um alles Mögliche, "was einem hier zum Thema PAG einfällt", sagt Herrmann - um dann selbst grundsätzlich zu werden, anders als er das geplant hatte. Dass Jochen Kopelke, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), am Mittwoch eine bundesweite Vorbeugehaft nach bayerischem Vorbild gefordert hat, sollte man "zur Kenntnis nehmen", sagt Herrmann.

Der Gesetzentwurf, um den es am Mittwoch eigentlich gehen sollte? Wird am Ende in den Innenausschuss verwiesen, wo weiter beraten wird. Danach wird im Landtag über den Entwurf abgestimmt.

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