Polizei in Bayern:Rechts und Gesetz

Symbolbild: Ein Auto der bayerischen Polizei

Zehn rechtsextreme Fälle innerhalb der bayerischen Polizei seit 2016 sind vermerkt - dass sich diese Zahl in der Zukunft erhöhen wird, glaubt das Innenministerium derzeit nicht.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Hitlergruß, SS-Runen, rassistische Beleidigungen: Alles rechtsextreme Ausfälle bayerischer Polizisten. Alles Einzelfälle, meinen die einen. Die anderen sehen nur die Spitze des Eisbergs.

Von Lisa Schnell

2016 in Eichstätt: Ein Mann verschickt per Handy rechtsradikale Nachrichten. Sein Beruf: Polizist. 2019 in Augsburg: Rassistische Beleidigungen strömen aus einem Mund, der beim Eintritt in die Polizei Verfassungstreue versicherte. 2019 in Bamberg: Ein Hitlergruß ragt aus einer Gruppe. Der Mann, der seine Hand hebt: Polizist, Beamter, Staatsdiener.

Alles Fälle, die bis jetzt noch nicht bekannt waren und in einer Antwort des Innenministeriums an die SPD-Landtagsfraktion zu finden sind. Das Schreiben liegt der SZ vor. Wer es liest, den könnte ein ungutes Gefühl beschleichen. Auch in Bayern, wo eine Gruppe Münchner Polizisten antisemitische Videos in einer Chat-Gruppe teilte. Ausgerechnet Polizisten! Polizei und Justiz sollen die freiheitlich-demokratische Grundordnung schützen. Man könnte sagen: Sie sind die Wächter des Rechtsstaats.

Sie dürfen Gewalt anwenden und Menschen die Freiheit nehmen. Deshalb ist es besonders wichtig, dass sie auf dem Boden der Verfassung stehen. Und deshalb gehen die Alarmglocken an, wenn manche von ihnen es nicht tun. Sie schrillten in Frankfurt, als eine Anwältin von Rechtsextremen Drohbriefe bekam und die Spur zu einem Polizeicomputer führte. Sie läuteten in Sachsen, wo Polizisten Informationen an die rechte Szene durchgestochen haben sollen. Und sie setzten sich wieder in Bewegung in München. Immer schwangen die Fragen mit: Sind das bedauerliche Einzelfälle oder ist da mehr? Kann eine rechte Gesinnung womöglich an dem Ort besonders gut gedeihen, an dem sie bekämpft werden soll? Bei der Polizei?

Was im Licht der wenigen Zahlen zu erkennen ist, die es zu dem Thema gibt, erscheint zunächst mickrig. In den vergangenen vier Jahren (2016 - 2019) sind aus Bayern zehn Fälle bekannt, bei denen gegen Polizisten wegen einer Straftat aus rechter Gesinnung ermittelt wurde. Das sind 2,5 Straftaten pro Jahr bei mehr als 40 000 bayerischen Beamten, das betrifft weniger als 0,006 Prozent des Personalbestands. Auch wurden in Bayern von Polizisten keine Drohbriefe versendet oder Waffen gehortet und Feindeslisten verfasst wie anderswo. In Bayern hoben Polizisten die Hand zum Hitlergruß, stießen rassistische Beleidigungen aus oder teilten antisemitische und rechtsradikale Bilder, Nachrichten oder Videos, nicht nur in München. Die Disziplinarverfahren bei der Polizei laufen meist noch.

Im Justizbereich nennt das Ministerium drei Fälle in den vergangenen vier Jahren. Darunter ein schon bekannter Amtsrichter, der als Student in rechtsradikalen Bands sang. Noch nicht bekannt ist der Post, den ein Justizangestellter im Internet hinterließ: "Ich Deutschland judenfrei mache H.A.". Und die Art und Weise, wie ein Beamter im Justizwachtmeisterdienst seinen Handschuh verziert haben soll: mit den SS-Runen. Ein "Guten Morgen" an die Kollegen soll so ausgesehen haben: Hitlergruß und Hacken zusammenschlagen. Der Richter wurde entlassen, die zwei Angestellten sollen aus dem Dienst entfernt werden. Von einem Anstieg der Gefährdung geht das Innenministerium nicht aus. Also: viel Lärm um nichts?

So ungefähr sieht das Peter Pytlik, Vize-Landesvorsitzender bei der Polizeigewerkschaft (GdP), der sagt: "Dass solche Dinge vorkommen können, ist menschlich. Das sind ganz große Ausnahmefälle." Dabei gebe es wichtigere Probleme, etwa die Angriffe auf die Polizei in Leipzig in der Silvesternacht. Eine Tendenz nach rechts erkenne er nicht bei den Kollegen: "Ich seh' das Problem nicht so wie manche Politiker." Mit manchen Politikern sind nicht nur Vertreter von SPD oder Grünen gemeint, die sich erwartungsgemäß besorgt äußern. Stefan Schuster von der SPD etwa, der die Anfrage gestellt hat und die Staatsregierung zu "erhöhter Wachsamkeit" auffordert.

Nein, es sind auch Politiker der Union, die aufgerüttelt zu sein scheinen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will eine neue Zentralstelle für die Bekämpfung von Rechtsextremismus im öffentlichen Dienst gründen. Bei CSU und CDU ist die Sorge zu spüren, dass sie unter den traditionell konservativ geprägten Polizisten Anhänger an die AfD verlieren. Es scheint also doch etwas in Bewegung zu sein, zumindest ist die Sensibilität höher und Rafael Behr sagt: "Es wurde auch höchste Zeit."

"Das Dunkelfeld ist höher"

Behr ist Professor für Polizeiwissenschaften an der Polizeiakademie Hamburg und redet nicht gern von Einzelfällen. Statistiken wie sie das Innenministerium erhebt, nennt er "die Spitze des Eisbergs": "Das Dunkelfeld ist höher. Es gibt genügend Fälle, die einfach verschwinden", sagt er. Etwa, weil nur aufgelistet werde, was strafrechtlich relevant sei. Wie viel Rechtsextreme bei der Polizei seien, könne man gar nicht sagen, sagt Behr. Die jüngsten Studien wurden in den Neunzigerjahren gemacht, als wegen der Republikaner eine ähnliche Diskussion geführt wurde wie jetzt mit der AfD. Das Ergebnis damals: Bei der Polizei gebe es nicht überdurchschnittlich mehr Fremdenfeindlichkeit.

Auf die Anzahl aber kommt es Behr nicht an. "Man kann sich nicht auf die statistische Normalverteilung berufen, weil Polizei und Justiz über privilegierte Machtbefugnisse verfügen." Polizisten hätten das Gewaltmonopol, sie bekämen immer mehr Befugnisse. Kurz: Ein rechtsextremer Polizist kann mehr Schaden anrichten. Um das zu verhindern, müsse sich auch die Polizei ändern, sagt Behr. Denn ja, ihre Strukturen könnten Rechtsextremismus begünstigen.

Behr meint einmal die Arbeitsbedingungen: Wenn ein Polizist sehe, wie einer 40 Straftaten verüben kann, aber trotzdem nicht im Gefängnis landet, sei das frustrierend. Dann stelle sich das Gefühl ein, nicht das zu dürfen, wofür man eigentlich da sei. Ein Gefühl, das die AfD aktiv bedient. Zum Zweiten: Die Arbeitsweise der Polizei stütze eine gewisse "Autoritätsorientierung". Eher schlechte Bedingungen für antiautoritäre Reflexe, Zivilcourage, Whistleblower. Wer seinen Kollegen beim Vorgesetzten melde, gelte oft als Kollegenschwein.

Was helfen würde? Behr sagt: ein unabhängiger Polizeibeauftragter, eingesetzt vom Landtag, bei dem auch die Abteilung interne Ermittlungen angesiedelt werden könnte, damit Kollegen nicht gegen Kollegen ermitteln. In Bayern übernimmt dann das LKA. Oder eine andere Ausbildung. Fächer wie Ethik oder politische Bildung würden oft stiefmütterlich behandelt. Gerade in Bayern sei die Ausbildung so etwas wie ein "geschlossenes System".

An der Polizeihochschule unterrichten fast ausschließlich Beamte mit A-Besoldung. So frei reden wie Behr dürften sie wohl gar nicht. Von den mehr als 4900 Unterrichtseinheiten entfallen 253 auf politische Bildung und Berufsethik. Das sei schon "ein hoher Stellenwert", teilt das Innenministerium mit. Einen Beauftragten lehnt es ab, die vorhandenen Kontrollinstrumente genügten. Und eine Zentralstelle wie sie Seehofer, immerhin Parteikollege, einrichtet und die SPD fordert? Erst mal das für 2020 geplante Konzept der Innenministerkonferenz gegen Rechts abwarten.

Bayern ist außer dem Saarland übrigens das einzige Land, in das Kritiker Behr noch nicht von der Polizei eingeladen wurde. Er würde gerne kommen.

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