Süddeutsche Zeitung

Polizei in Bayern:Freistaat jagt Kriminelle im Gesundheitswesen

Eine neue Zentralstelle in Nürnberg soll sich speziell mit Straftätern beschäftigen, die Kassen und Patienten betrügen. Die neue Einheit ist dringend notwendig - denn immer mehr Kriminelle haben das Gesundheistwesen für sich entdeckt.

Von Dietrich Mittler, München/Nürnberg

"Unser Gesundheitswesen ist in Teilen ein Schlaraffenland für Kriminelle", dies ist mittlerweile ein geflügeltes Wort unter Bayerns Staatsanwälten. Ärzte, die die Behandlung von Patienten in Rechnung stellen, die sie nie gesehen haben. Pflegedienste, die ungelernte Hilfskräfte einsetzen, aber Fachkräfte abrechnen und dadurch Menschenleben aufs Spiel setzen, wenn etwa Pflegebedürftige künstlich beatmet werden.

Jahr für Jahr wird durch solche und ähnliche Straftaten das Gesundheitswesen in Bayern um Millionenbeträge geschädigt. Dem will die Staatsregierung jetzt noch energischer entgegentreten. Am Donnerstag stellte Justizminister Georg Eisenreich (CSU) in Nürnberg die neue Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen in Bayern (ZKG) vor.

"Solche Delikte im Gesundheitsbereich haben in den letzten Jahren immer größere Dimensionen erreicht", ist sich Eisenreich sicher. Und warum dies so ist, liegt für ihn klar auf der Hand. Mehr als 390 Milliarden Euro wurden allein 2018 im deutschen Gesundheitssystem umgesetzt, zitiert Eisenreich aus den Daten des Statistischen Bundesamtes. "Vor diesem großen Wirtschaftssektor machen Kriminelle nicht halt", lautet sein Schluss.

Wie hoch die Staatsregierung das Problem hängt, wird daran deutlich, dass es bislang im Bereich der bayerischen Justiz erst drei dem ZKG vergleichbare Institutionen gibt: die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus, die Zentralstelle Cybercrime Bayern sowie im Kampf gegen die organisierte Kriminalität die Zentrale Koordinierungsstelle Vermögensabschöpfung.

Am 15. September soll, wie Eisenreich ankündigte, die neue Zentralstelle in Nürnberg ihre Arbeit aufnehmen. Lob kam vom der Pressekonferenz zugeschalteten Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU): "Ich würde mich freuen, wenn andere Bundesländer dem Beispiel folgen", sagte er. Zustimmung kommt indes auch von Bayerns Krankenkassen. Sophie Schwab, die Leiterin der DAK-Landesvertretung Bayern, sagte auf Nachfrage: "Allein bei der DAK-Gesundheit sind 2018 und 2019 bundesweit insgesamt 2502 neue Hinweise auf gefälschte Rezepte, Schein-Behandlungen und manipulierte Rechnungen eingegangen - rund zehn Prozent mehr als im Zeitraum 2016/2017."

Es sei daher begrüßenswert, dass die Kräfte der Strafermittler nun noch besser koordiniert werden. Sigrid König, die Chefin des BKK Landesverbandes Bayern, sieht das ganz genauso. Doch sie hat Erwartungen an die neue Zentralstelle: "Auch der Aufbau mit Experten aus dem Gesundheitswesen und der IT muss nun zügig folgen."

"Das Entscheidende wird sein, dass diese neue Zentralstelle einen entsprechenden Unterbau bekommt"

König spricht mit ihrer Forderung allen aus dem Herzen, die sich bereits intensiv mit Abrechnungsbetrug und Korruption im Gesundheitswesen befassen mussten. Von deren Seite heißt es: "Das Entscheidende wird sein, dass diese neue Zentralstelle einen entsprechenden Unterbau aus medizinischem Fachpersonal, Pflegeexperten und ehemaligen Kassen-Mitarbeitern bekommt, um die komplizierte Ermittlungsarbeit auch tatsächlich durchführen zu können."

Wie hart die in der Praxis ist, wird deutlich an jenem Fall, den die Staatsanwaltschaft München I im vergangenen Oktober als "großen Schlag gegen die organisierte Kriminalität im Gesundheitswesen" bezeichnete. Das bei den Ermittlungen gegen mutmaßlich betrügerische Pflegedienste in Augsburg sichergestellte Material war so umfangreich, dass dessen Sichtung und Bewertung immer noch andauert, wie ein Branchen-Insider der SZ mitteilte: "Da musste extra eine Halle angemietet werden, um die beschlagnahmten Dokumente unterzubringen. Aber die Materie ist so kompliziert, dass die Ermittler gar nicht hinterherkommen."

Das heißt aber nicht, dass Bayern angesichts der Dimension der Machenschaften im Gesundheitswesen untätig wäre. Seit 2014 - initiiert durch den damaligen Justizminister Winfried Bausback (CSU) - wurden im Freistaat drei Schwerpunktstaatsanwaltschaften eingerichtet: München I, Nürnberg-Fürth und Hof. "Die haben hervorragende Ermittlungsarbeit geleistet", sagt der jetzige Justizminister Eisenreich. Doch die dort eingesetzten Staatsanwälte "waren auch noch für andere Bereiche mit zuständig", so der Minister. Die ZKG indes wird sich auf Betrug und Korruption im Gesundheitswesen konzentrieren können. Dazu wird die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg um zwölf neue Stellen verstärkt.

Aus den Reihen der Kassen kommen indes auch Zweifel, ob das ausreicht. "Der Flaschenhals liegt im Bereich der polizeilichen Ermittlungen - obwohl längst speziell für Delikte im Gesundheitsbereich ausgebildete Kripobeamte bereitstehen. Nur, da muss noch weit mehr passieren", sagte ein Insider.

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SZ vom 11.09.2020/lfr
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