Süddeutsche Zeitung

Bayern:Grüne wollen öffentliche Daten zu Disziplinarverfahren in der Polizei

Transparenz und Kontrolle sollen Vertrauen in die Beamten stärken, fordert ein Positionspapier - auch anlässlich dreier Redner bei der Berliner Corona-Demo.

Von Johann Osel

Nach den umstrittenen Bühnenauftritten von drei bayerischen Polizisten bei den Corona-Protesten in Berlin fordern die Grünen in einem Positionspapier, das Vertrauen in die Polizei durch "Transparenz und Kontrolle" zu stärken. Anlass für die Ideen, die Fraktionschefin Katharina Schulze und die aus München stammende stellvertretende Bundesvorsitzende Jamila Schäfer einbringen, sei auch die Kontroverse zu rassistischen Tendenzen bei polizeilichen Einsätzen, heißt es - sogenanntes Racial Profiling. Das noch unveröffentlichte Papier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, sieht "zielgenaue Verbesserungsmaßnahmen" vor: Etwa müsse das Innenministerium Zahlen sowohl von Verdachtsfällen als auch Disziplinarverfahren bei der Polizei im Kontext Extremismus statistisch erfassen und veröffentlichen.

"Weder undifferenzierte Anschuldigungen gegenüber der Polizei noch das Abblocken jeglicher Kritik bringen uns auch nur den kleinsten Schritt weiter", erklärt Katharina Schulze dazu - sondern eine sachliche Debatte und "die konstruktive Weiterentwicklung der Polizei".

Dass kürzlich bei der Berliner Demo, die auch Extremisten angezogen hatte, gleich drei Polizisten aus Bayern öffentlich sprachen, hatte bundesweites Aufsehen erregt. Kritiker wähnen ein "strukturelles Problem". Das Ministerium verwies auf eine umgehende Prüfung, die Beamten unterlägen der Treuepflicht und müssten bei privater politischer Betätigung "Mäßigung" zeigen. Insbesondere wenn es um Reichsbürgerideologie und extremistische Milieus gehe, "werden wir alle Hebel für harte Sanktionen in Bewegung setzen", teilte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mit.

Gegen einen der drei, einen Augsburger Kripo-Mann, wurde mittlerweile ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Gegen einen Dienstgruppenleiter aus Mittelfranken läuft bereits eines, da der Mann zuvor bei einer Augsburger Demo auffiel. Beide arbeiten zunächst im Innendienst. Im dritten Fall eines pensionierten Polizisten aus München dauert die Prüfung an, hier stünde theoretisch eine Kürzung der Ruhestandsbezüge im Raum.

Alle drei stellten sich als Polizisten vor - das ist problematisch

Laut Videos ließen sich die drei in Berlin anscheinend nicht zu klar verfassungsfeindlichen Aussagen hinreißen. So ging es um angebliche "Versklavung" durch Masken und eine "Abschaffung der Grundrechte durch die Regierung" - was die Meinungsfreiheit zulassen muss. Dass ein Beamter eine weiße Rose hielt (wohl eine Geste, wonach man sich in ähnlichem Widerstand wie im Dritten Reich befände), dürfte mindestens als geschmacklos gelten. Sehr problematisch ist die Tatsache, dass sich alle drei als Polizisten vorstellten und somit diese Autorität in Anspruch nahmen - und dass sie Kollegen zur "Remonstration" aufriefen. Womöglich haben die Sicherheitsbehörden noch weitere Erkenntnisse.

Jenseits aktueller Corona-Bezüge geht es den Grünen mit ihrem Vorstoß um Vorfälle wie den einer Chatgruppe bayerischer Polizisten mit antisemitischen Inhalten; oder um die nachweislich mindestens anderthalb Dutzend Beamte im Freistaat mit Affinität zur Reichsbürgerszene. Wie das Papier ausführt, solle neben Transparenz bei Disziplinarverfahren das "Dunkelfeld aufgehellt werden", um die Aufklärungsbereitschaft zu steigern. Dazu brauche es unter anderem einen unabhängigen Polizeibeauftragten.

Diese neu zu schaffende Stelle soll Bürgern wie Beamten selbst als Ansprechpartner dienen. In der Polizeiausbildung und danach sei eine stärkere Auseinandersetzung "mit Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" geboten; ebenso regelmäßige Supervision, "um die Sensibilität gegenüber demokratiefeindlichen Aussagen in der Polizei zu erhöhen" und Beamte mit verfassungsfeindlichen Einstellungen früh zu identifizieren.

Nicht zuletzt treten die Autorinnen für eine Studie zum "Racial Profiling" ein, eine wissenschaftliche Analyse also, inwiefern Polizeikontrollen aufgrund der Hautfarbe stattfinden. "Dies würde die Debatte über Rassismus in der Polizei versachlichen und endlich eine faktenbasierte Diskussion über Maßnahmen ermöglichen."

Bei Zweifeln an der Verfassungstreue wird man nicht eingestellt

Nun ist es keineswegs so, dass der Freistaat untätig ist. "Jedem einzelnen Verdachtsfall wird sorgfältig nachgegangen", hieß es kürzlich zum Rassismusstreit auf Anfrage aus dem Ministerium. Gleichwohl handele es sich, zumal angesichts des riesigen Personalkörpers der bayerischen Polizei, um "Einzelfälle". Grundsatzdebatten würden "vom politisch linken Spektrum in regelmäßigen Abständen aus der Mottenkiste gezerrt". Die Dienstaufsicht bei Verfehlungen funktioniere, die interne Ermittlung im Landeskriminalamt reagiere auch auf Bürgerbeschwerden. Die Ausbildung vermittele Berufsethik, politische Bildung und interkulturelle Kompetenz, fächerübergreifend werde Vorbeugung vor Diskriminierung thematisiert. Bei Zweifeln an der Verfassungstreue erfolge keine Einstellung. Mit Disziplinarverfahren werde der Dienstherr stets recht schnell aktiv, bestätigen auch Polizeigewerkschafter.

Die Grünen sehen trotzdem Handlungsbedarf. "Wir wollen die Qualität der Arbeit der Polizei und das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat erhöhen", bilanziert Jamila Schäfer. Gerade die CSU, so das Papier, erhebe den Vorwurf, Kritik an strukturellen Missständen nähre einen Generalverdacht und entzöge Beamten den Rückhalt. "Damit tut die CSU der Polizei keinen Gefallen." Die Grünen fordern auch Entlastung der Polizei, gute Arbeitsbedingungen und ausreichend Personal: Wachsender Druck, Überstunden und Konfrontationen mit Gewalt verursachten "stressbedingtes Fehlverhalten".

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SZ vom 07.09.2020/infu
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