Süddeutsche Zeitung

Aschermittwoch in Bayern:Vor der Draufhauerei

Der politische Aschermittwoch steht ins Haus, nach Pausen wegen Pandemie und Kriegsbeginn. Und im Landtagswahljahr werden sich CSU, Freie Wähler, Grüne, SPD, AfD und FDP wohl besonders verbal vermöbeln.

Von Andreas Glas und Johann Osel

Zuletzt war der Aschermittwoch gleich zweimal, was er nach Artikel drei des Bayerischen Feiertagsgesetzes eigentlich immer sein sollte: ein "stiller Tag". Erst wegen der Pandemie, dann wegen des Kriegsbeginns in der Ukraine. Nun ist Schluss mit Stille, beim Politischen Aschermittwoch 2023 treffen sich die Parteien wieder in mehreren niederbayerischen Städten, um sich gegenseitig verbal zu vermöbeln. "Fisch statt Fleisch, aber definitiv keine Schonkost", erwartet das Straubinger Tagblatt. Na, Mahlzeit!

Natürlich spart die CSU auch diesmal nicht mit Übertreibungen. Eine "Kathedrale der politischen Kultur" nennt Landesgruppenchef Alexander Dobrindt die Parteiveranstaltung in der Passauer Dreiländerhalle, diesem eher sterilen Zweckbau, der so gar nichts Kathedralenhaftes hat. Derweil hält sich Martin Huber an die ebenso bekannten wie monumentalen Sprachbilder, mit denen seine Partei ihren Politischen Aschermittwoch schon immer etikettiert. Vom "größten Stammtisch der Welt" spricht der CSU-Generalsekretär, vom "Hochfest der bayerischen Politik", von "gefühlt 10 000 Menschen" - obwohl nur gut 4000 Leute in die Halle dürfen. Wobei, diesmal könnte es sich wirklich knallvoll anfühlen, jedenfalls gemessen am Aschermittwoch 2021. Damals saß Parteichef Markus Söder in einer bauerntheaterhaften Stüberlkulisse und die Zuschauerschaft bestand aus Pappfiguren, deren Beifall pandemiekonform vom Band kam. Nun wird Söder wieder vor leibhaftigen Menschen sprechen, die ihm wohlgesonnen sein dürften. Auf 42 Prozent kam die CSU jüngst in einer Forsa-Umfrage, das kann sich sehen lassen beim Parteipublikum, das diesmal nicht von Niederbayern-CSU-Chef Andreas Scheuer eingepeitscht wird, der 2019 auch Buhrufe kassierte. Sondern von dessen wahrscheinlichem Nachfolger Christian Bernreiter. Ist halt Wahljahr, nichts soll die Stimmung trüben.

Hubert Aiwanger läuft sich ja schon länger warm für den Aschermittwoch, den die Freien Wähler in der Deggendorfer Stadthalle begehen. Auf Twitter holzt er praktisch pausenlos gegen die "grüne Blase" oder "linksgrüne Grasfresser". Vom "Krawallwanger" schreibt die Bild und stellt treffsicher fest, dass für den FW-Chef "jeden Tag Aschermittwoch" ist. Die Temperatur stimmt also bei Aiwanger, dessen Reden noch nie etwas für schwache Nerven waren. Bei ihm weiß das Publikum, was es kriegt, nur die Empfänger seiner Unverschämtheiten sind andere als früher. Gegen die CSU ballern, das funktioniert nicht mehr so gut, seit er selbst mit der CSU regiert. Beim bislang letzten Aschermittwoch hatte Aiwanger zumindest noch eine Warnung übrig für Söder, der damals mit den Grünen flirtete: "Immer gut aufpassen, wen Sie zur Tür reinlassen", sagte Aiwanger 2021. Inzwischen flirtet Söder nicht mehr, weshalb die CSU damit rechnen darf, dass Aiwangers Furor diesmal die anderen trifft.

"Ihre großen Trümpfe" bieten die Grünen nach eigenen Worten in Landshut auf: die Bundesvorsitzende Ricarda Lang sowie das Spitzen-Duo für die Landtagswahl Ludwig Hartmann und Katharina Schulze. Lang war bereits kürzlich in Bayern zu Gast, bei der Klausur der Fraktion in Bad Wörishofen. Dort wiederum gab Hartmann ein ambitioniertes Ziel aus: "20 Prozent plus ein sehr, sehr dickes X". So stark nämlich müsse seine Partei im Herbst werden, damit man bei der Regierungsbildung nicht an ihr vorbei komme. Die Lage der Grünen: Sie wollen regieren, haben aber noch keine Perspektive dafür. In Umfragen sind sie konstant bei den gut 18 Prozent von 2018, ein offenbar erarbeitetes Stammpotenzial. Söder hat Schwarz-Grün aber ausgeschlossen, eine andere Mehrheit liegt derzeit außerhalb jeder Vorstellungskraft. Die Grünen wollen die Wahl daher zur "Volksabstimmung über die Energiepolitik in Bayern" stilisieren - und der Aschermittwoch dürfte der Auftakt dazu werden. Spannend wird: Wie harsch geht es gegen die CSU, mit der man ja eigentlich gern koalieren würde?

Die SPD bietet dieses Jahr keine Berliner Prominenz auf. Als das bekannt wurde, kamen es aus der CSU prompt Witzeleien: Kanzleramt und Willy-Brandt-Haus hätten die Landtagswahl für die bayerischen Genossen wohl schon abgeschrieben. Iwo, heißt es bei der SPD, eine bewusste Entscheidung: Im Wahljahr solle der Spitzenkandidat Florian von Brunn im Zentrum stehen. Und tatsächlich hatte Bundesparteichef Lars Klingbeil kürzlich die Fraktion im Landtag besucht und betont, dass Brunn und seine Leute 2023 auf ordentlich Wahlkampfhilfe aus Berlin zählen können. Auftreten werden in Vilshofen die beiden neuen Generalsekretäre, Ruth Müller und Nasser Ahmed.

Die AfD lädt nach Osterhofen ein, es sprechen Landeschef Stephan Protschka und die niederbayerische Listenführerin Katrin Ebner-Steiner. Erwartet wird Gerald Grosz, österreichischer Publizist und Ex-Politiker bei FPÖ und BZÖ. In einem Video der Bayern-AfD zum Aschermittwoch zetert Grosz etwa, dass die Grünen "die Identität der Mehrheitsgesellschaft" verleugneten. Damit dürfte der Ton für das Treffen gesetzt sein, bei dem traditionell nicht nur Mitglieder und Sympathisanten, sondern auch Verfassungsschützer genau zuhören.

Bundesfinanzminister Christian Lindner trifft in Dingolfing auf eine bayerische FDP, die Aufmunterung wohl bitter nötig hat. Zuletzt in Berlin und davor bei anderen Wahlen konnten Landeschef Martin Hagen und seine Leute den Liberalen andernorts beim Scheitern zuschauen - der Ampel-Malus, verflixt. Laut jüngsten Umfragen käme die FDP auch nicht mehr ins Maximilianeum. Wohlweislich will Hagen im Wahlkampf "FDP pur" vertreten und sich auf keinen Fall in einem Ampel-Lager verorten. Erwartbar ist, dass Lindner keine Lobreden auf die Ampel mit nach Dingolfing bringt - sondern betont, welche Positionen man in Berlin tatsächlich durchgesetzt hat. Oder, wie es in FDP-Kreisen heißt, "was wir gegen SPD und Grüne an schlimmeren Dingen verhindert haben".

Auch die außerparlamentarische Opposition begeht den Aschermittwoch. Die Linke lädt auf ein Schiff in Passau, mit Bundeschefin Janine Wissler. Die ÖDP plant in Passau auch eine besondere Aktion: Ein Söder-Double soll Fracking-Bohrungen nahe der CSU-Halle inszenieren. Die Bayernpartei in Vilshofen pocht darauf, "das Original" zu sein. Eine ältere Tradition der Bauernschaft, beim Viehmarkt am Aschermittwoch politische Reden zu halten, wurde von ihr nach dem Zweiten Weltkrieg wiederbelebt.

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