Süddeutsche Zeitung

Politischer Aschermittwoch:Alles anders beim virtuellen Schlagabtausch

Das alljährliche Kräftemessen verläuft digital weniger krawallig als normalerweise. CSU und Grüne zeigen im Wahljahr Ambitionen zum Regieren, aber nicht zum Koalieren. Und dann deutet Söder schließlich Lockdown-Lockerungen an.

Von Andreas Glas und Johann Osel, Passau/München

Wer einordnen will, was hier in Passau passiert, sollte sich kurz dem widmen, was nicht passiert. Da ist keine Blaskapelle, die den Einmarsch in die Halle untermalt, nicht vor Ort jedenfalls. Die Kapelle schaltet sich diesmal per Video zu. Da ist auch kein bierseliges Hallenpublikum, das CSU-Chef Markus Söder auf die Bühne klatscht, nur Pappfiguren. Im Grunde ist da ja nicht mal eine Bühne. Stattdessen: Wohnzimmerkulisse. Willkommen beim politischen Aschermittwoch 2021.

"Anders", sagt Söder, als er um 11.07 Uhr vor die Kamera tritt, die diesen virtuellen Aschermittwoch der CSU hinaus ins Internet befördert. "Es fühlt sich irgendwie alles anders an." Aber anders kann ja interessant sein. Und in einem Wahljahr ist der Aschermittwoch auch jetzt noch ein guter Tag, um die politische Gemengelage auszuleuchten. Nicht nur in Passau, in der Dreiländerhalle, bei der CSU. Auch in München, im Muffatwerk, bei den Grünen. Hier schwarz, dort grün. Und bald Schwarz-Grün? Das ist ja die Frage, die sich bis zum Herbst zuspitzen dürfte. Und dann ist da noch ein Gedanke an diesem Tag: dass hier womöglich schon die Kanzlerkandidaten aufeinandertreffen, im Fernduell.

In München steht um 10.48 Uhr die Zuschalte von Annalena Baerbock aus Berlin an. Der grüne Aschermittwoch ist getaktet wie ein Bahnfahrplan. 10.04 Uhr Katharina Schulze, 10.12 Uhr Toni Hofreiter und so weiter. Die höchst bürgerliche Tugend der Pünktlichkeit? "Pointiert und zweckmäßig", meint Fraktionschefin Schulze, passend zur Situation. Die Szenerie im Muffatwerk wirkt wie eine Pflichtübung. Technische Anlagen, Bühne mit grüner Wand, keinerlei Zierrat. Sogar Claudia Roth ist für ihre Maßstäbe nahezu dezent gekleidet, ein einfarbiger Blazer in Dunkelrosa. Vielleicht ließe sich auch sagen: Alles ist fokussiert - aufs Arbeiten und Regieren.

Also Auftritt Baerbock, die Vielleicht-Kanzlerkandidatin. Wobei Anwesende beteuern: Robert Habeck spreche heute in Berlin, war auch schon in Bayern. Die Auswahl bedeute nichts. Baerbock redet wie in einer Pressekonferenz, in der Lage derzeit sei "kein Zoff gefragt". Sie streift Themen wie Rechtsterror und Klima, der Bundesregierung wirft sie mangelnde Entschlossenheit in der Pandemie vor. Regieren komme nicht von Reagieren, sondern "regere, lenken" - das sei gefragt. Auch beim Klima, weshalb diese Bundestagswahl so wichtig für die Zukunft sei. Attacken? Fehlanzeige.

In Passau eröffnet Söder seine Rede mit einer Feststellung: "Die Kulisse passt." Die Kulisse, das ist die Eckbank, ein Holztisch, ein Kachelofen, über der Tür ein Kruzifix. Sehr bauerntheaterhaft. An der Wand der übliche Söder-Klamauk: Star-Wars-Poster, Club-Wimpel, neben Stoiber und Strauß hängt in Holz gerahmt Molly, das Hundebaby der Söders. Der größte Bruch mit der Aschermittwoch-Tradition ist aber: Söder steht nicht. Er sitzt. Auch seine Rede ist anders. Weniger krawallig, ernsthafter als sonst in Passau. Die längste Strecke ist sie ein Best of Corona-Söder. "Durchhalten bitte", "kein zweites Ischgl", "Vorsicht mit Perspektive". Dazu das obligatorische Ranking: Inzidenz bei 54 in Bayern, Platz 13. Hinter Nordrhein-Westfalen, so Söder. Aber, bitte, "nicht falsch verstehen, das ist kein Wettbewerb".

Die Grünen geben sich kampfeslustig: "Wir kämpfen um die Pole Position", sagt die Landeschefin

Wirklich? Nun, beim NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet klingt tatsächlich nichts nach Wettbewerb, als er sich vor Söders Rede nach Passau zuschalten lässt. Der CDU-Chef und Kanzlerkandidatenkandidat hat nur Freundlichkeiten für die CSU ("wichtige politische Kraft") und ihren Parteichef ("die CSU wieder stark gemacht") parat. Söder revanchiert sich so für die Freundlichkeiten: "Merkel-Stimmen" gebe es bei der Bundestagswahl "nur mit Merkel-Politik". Ein Seitenhieb gegen Laschet, der sich kürzlich von der strengen Corona-Linie der Kanzlerin abgesetzt hat, die nahe an Söders Linie ist. Nach dem Hieb gegen den lockeren Laschet stellt Söder aber selbst Lockerungen in Aussicht. Sollten die Zahlen stabil bleiben, könnten "bald" mehr Kontakte erlaubt sein, mit zwei Hausständen; auch der Handel dürfe hoffen.

Dann, gegen Ende der Rede, sagt Söder: "Jetzt kommen wir zu den Grünen." Er sei ja "für mehr grün in Bayern, aber nicht für mehr Grüne". Und überhaupt, ums Grün kümmere sich die CSU schon selbst. Im Bund bleibe die FDP "der prioritäre Partner" der Union. Ist Baerbock keine Option? Die traue sich das Kanzleramt zu, obwohl sie keine Regierungserfahrung habe, "wie jemand, der sagt: Nächste Woche beginne ich mit der Fahrschule und übernächste Woche werde ich Formel 1-Weltmeister".

In München bei den Grünen greift auch Landeschefin Eva Lettenbauer zum Motorsport-Vokabular: "Wir kämpfen um die Pole Position." Der Regierungsanspruch, er taucht fast in allen Reden auf. Dazu gibt es Stoff für die grüne Seele, mit dem Ameisenbläuling, einem Schmetterling (Hofreiter) oder einem Bayern nicht nur für Horst und Hubert, sondern auch für Gülseren und Cemal (Roth). Wer gerade nicht redet, wartet auf seinem Stühlchen. Wie die Kinder im Turnunterricht, die der Reihe nach ans Reck gerufen werden. Auffällig: nichts zu Schwarz-Grün, bei niemandem. Hatte man zuletzt nicht heftig miteinander geflirtet?

Na ja, sagt Söder am Ende. In Bayern regiere die CSU mit den Freien Wählern, in Berlin mit der SPD. "Deswegen könnte es sein, dass wir das auch mit den anderen", den Grünen, "irgendwie hinbekommen."

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SZ vom 18.02.2021/lfr
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