Landespolitik:Die Ergrünung des Markus Söder

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Der Ministerpräsident verpasste sich 2019 einen Imagewandel, die politische Agenda des Freistaats ist von Umweltthemen geprägt. Auch deswegen, weil das Volksbegehren zur Artenvielfalt enorm erfolgreich war. Ein Rückblick.

Von Wolfgang Wittl

Wer sich so oft und gerne fotografieren lässt wie Markus Söder, lebt in der Gefahr, dass nur wenige Bilder wirklich in Erinnerung bleiben. Fotos wie das in der Gondel, als gleite der damalige Finanzminister Söder durch Venedig und nicht durch den Nymphenburger Kanal. Auch der Machtwechsel am Nürnberger Parteitag 2017 lieferte Bilder für die CSU-Ewigkeit: Söder, der designierte Ministerpräsident, reißt den Arm seines Vorgängers Horst Seehofer vor lauter Übermut fast bis unters Hallendach. Das Foto des Jahres 2019 stammt zweifellos aus dem Hofgarten hinter der Staatskanzlei. Im Anschluss an eine Kabinettssitzung umarmt Söder einen Baum, als wäre er seine Liebste. Um ihn herum ist alles grün, Rasen, Blätter, einfach alles. Besser lässt sich die Ergrünung eines schwarzen Ministerpräsidenten nicht inszenieren.

Söders frischer Anstrich hat einen Grund: Umwelt- und Klimaschutz prägen die Agenda des Freistaats, wie man es nur nach den Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima kannte. Diesmal kommt der politische Urknall für die Staatsregierung nicht aus der Ukraine oder aus Japan, er kommt aus der Mitte der Gesellschaft. 1,741 Millionen Menschen unterschreiben das von der ÖDP angestoßene Volksbegehren "Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern - Rettet die Bienen", 18,3 Prozent der wahlberechtigten Bürger. Obwohl sich die Menschen im unwirtlichen Winter in die Rathäuser aufmachen müssen, ist es das erfolgreichste Volksbegehren in Bayern. Söder, der neuerdings Sanfte, fasst für sich den Entschluss: Gegen diesen Volkswillen möchte er keine Politik machen, eine Spaltung wie im Landtagswahlkampf will er unbedingt vermeiden.

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Die CSU fügt sich dem Plan ihres Chefs nur widerwillig. Anfang April überrumpelt Söder die Landtagsfraktion, in einer gerade mal einstündigen Sitzung stellt er die Abgeordneten vor vollendete Tatsachen. Söder wirbt um Zustimmung zum Volksbegehren; die Pressekonferenz, in der alles verkündet werden soll, wartet bereits nebenan. Beim Koalitionspartner Freie Wähler stimmen sogar fünf Abgeordnete gegen die Annahme des Volksbegehrens. Es sind die Vorboten eines Grummelns und Grollens, das die bayerische Politik über dieses Jahr hinaus beschäftigen wird: Die Bauern fühlen sich zu alleinschuldigen Umweltsündern abgestempelt, jahrelang aufgestauter Frust bricht sich Bahn. Da hilft es wenig, dass die Regierungsfraktionen ein sogenanntes Versöhnungsgesetz verabschieden. Oder dass Söder den runden Tisch zum Artenschutz vom früheren Landtagspräsidenten Alois Glück leiten lässt, an sich ein kluger Schachzug. Der gesellschaftliche Frieden, den der Ministerpräsident erhofft hat, lässt auf sich warten.

Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler, trägt Söders Klimapläne mehr aus Koalitionsräson denn aus Überzeugung mit. Eigentlich ist Aiwanger Wirtschaftsminister, doch nicht nur in der CSU fragt man sich, ob Aiwanger sich eher als Landwirtschaftsminister versteht. Als der Vize-Ministerpräsident bei Auftritten am Land wiederholt von Kabinettsbeschlüssen abrückt, tadelt ihn Söder: In München mitentscheiden und sich draußen vom Acker machen, so gehe es ja nicht. Die meiste Zeit arbeitet die schwarz-orange Koalition jedoch geräuschlos. Zur einjährigen Bilanz schwören sich die Chefs weitere Treue. "Dieses erste Jahr hat auf alle Fälle Lust auf mehr gemacht", gelobt Aiwanger. "Das ist eine Modellkoalition, sie hat auch Zukunft", findet Söder. Um sich einander ihrer Harmonie zu versichern, braucht es nicht viel. Der größte Unterschied zu früher sei doch, sagt Söder: "Du beschimpfst jetzt die Grünen und nicht mehr uns." Aiwanger: "Genau!"

Die Bayern standen Schlange, um für das Volksbegehren zur Artenvielfalt zu unterschreiben. Das nötige Quorum wurde locker erreicht. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Opposition? Sie tut sich schwer, Söders rasantem Imagewandel zu folgen. Bei manchen Themen machen Grüne, SPD und FDP gemeinsame Sache, nie aber mit der AfD. Sie fällt nach außen durch ungewöhnlich viele Rügen und peinliche Provokationen auf, etwa bei einer Gedenkveranstaltung für NS-Opfer. Intern zerfällt die AfD in zwei Gruppen, sichtbar bei der Wahl zum Fraktionsvorstand, die acht von 20 Abgeordneten boykottieren. Die kränkelnde SPD macht vor allem Schlagzeilen durch einen Rückzug: Landeschefin Natascha Kohnen tritt nicht mehr als stellvertretende Bundesvorsitzende an. Die Grünen dagegen kommen kaum hinterher mit dem Zählen ihrer neuen Mitglieder und Ortsverbände. Als Oppositionsführer im Landtag treiben sie bereits das nächste Volksbegehren voran, dann zum Flächenverbrauch.

Auch das ist 2019: Immer mehr wird Politik fernab vom Landtag gemacht - in der dominanten Staatskanzlei, durch Unterschriften, in Gerichten. Ein Volksbegehren zum Pflegenotstand wird gestoppt, eines zum Mietenstopp ist in Arbeit. Der CSU fliegen Beschlüsse aus Zeiten des Flüchtlingsstreits um die Ohren: Eine Kommission mahnt Entschärfungen beim umstrittenen Polizeiaufgabengesetz an, der Verfassungsgerichtshof kassiert Teile des Integrationsgesetzes. Auch dabei zeigt Söder kein Interesse, Kämpfe vergangener Tage neu auszufechten. Er trifft sich lieber mit dem grünen Kollegen Winfried Kretschmann und Fridays-for-Future-Aktivisten.

Mit einer Hightech-Agenda findet Söder sein Lieblingsthema, milliardenschwere Investitionen in Wissenschaft und Wirtschaft sollen Bayern zukunftsfest machen. Dafür gibt er sogar das von seinem Vorgänger Horst Seehofer ausgerufene Ziel des Schuldenabbaus bis 2030 auf. In der Bevölkerung kommt der Kurs offenbar an: Bei der Europawahl klettert die CSU auch wegen ihres Spitzenkandidaten Manfred Weber über 40 Prozent, auch in Umfragen legt sie zu. Nur der Zorn der Bauern lässt nicht nach. Die letzten Fotos des Jahres zeigen Agrarministerin Michaela Kaniber inmitten Tausender protestierender Landwirte.

© SZ vom 31.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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