Bürgerpreis 2024:Kampf gegen Antisemitismus und Hass: Landtag ehrt besondere Initiativen

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Jüdische Kultur erleben: Dieses Ziel hat der Schulprojekttag der Initiative „Alef-Bet“ an der Maria-Ward-Mädchen-Realschule in Bamberg. Dazu hat Musiker Danny Donner einen Projektchor auf die Beine gestellt. (Foto: Arno Schimmelpfennig/Alef-Bet, Projekt 2025 - Arche Musica.)

„Nie wieder ist jetzt!“ Unter diesem Motto hat der bayerische Landtag Projekte gegen Antisemitismus und das Vergessen gesucht. Ein Blick auf die Gewinner – und was sie mit ihrem Preisgeld vorhaben.

Von Benedikt Heider, München

Unter dem Motto „Nie wieder ist jetzt!“ hatte der Landtag in diesem Jahr Projekte gesucht, die sich „mit großem Engagement der Erinnerungskultur verschreiben und sich dafür einsetzen, dass sich Ereignisse aus der Geschichte nicht wiederholen“. Explizit waren Jugend-Initiativen aufgefordert, sich für den Bürgerpreis zu bewerben. Wen zeichnet der Landtag 2024 aus? Ein Blick auf die Gewinner.

Angesprochen auf das drittplatzierte Projekt „Alef-Bet“ kommt Barbara Hauck ins Schwärmen. „Ich bin ganz begeistert“, sagt die Direktorin der Bamberger Maria-Ward-Mädchen-Realschule. „Alef-Bet“ hat sich die Vermittlung von „Basiswissen zum Thema jüdisches Leben, dem Staat Israel und Antisemitismus“ zur Aufgabe gemacht, heißt es in der Selbstbeschreibung des Projekts. Hauck ist so überzeugt von der Idee, dass die Initiative gerade zum zweiten Mal an ihrer Schule zu Besuch war. Mit dabei: die Bamberger Rabbinerin Yael Deusel, Tim Kurockin vom Projekt „Meet a Jew“, der israelische Musiker Danny Donner und viele andere.

Fasziniert berichtet Hauck, wie ihre Schülerinnen binnen weniger Stunden hebräische Lieder gelernt, Essen aus jüdischer Tradition zubereitet und in Gesprächsrunden mit Jüdinnen und Juden etwas über deren Leben, Kultur und Alltag erfahren haben. „Das Projekt ist nicht theorielastig, sondern ganz praktisch“, erzählt Hauck. Abstrakte Themen bekämen mit dem Besuch von Betroffenen ein Gesicht, sagt sie.

Als Lehrerin sei es ihr wichtig, dass ihre Schülerinnen „ein bisschen verändert“ aus dem Schulhaus gingen. „Manche waren am Anfang noch etwas skeptisch“, sagt Hauck. „Aber sie kamen schnell ins Gespräch und waren dann mit großer Begeisterung dabei.“ Vor allem Antisemitismus und Probleme jüdischer Menschen seien beim Projekttag thematisiert worden. Aufgrund der gesellschaftlichen Stimmung wünscht Hauck dem Projekt eine große Verbreitung und viele Unterstützer. „Wenn ich als Schülerin ein solches Projekt gehabt hätte, hätte ich mich viel mehr mit solchen Themen auseinandergesetzt“, glaubt sie. Für 2025 hofft sie auf einen erneuten Besuch von „Alef-Bet“ zu den Schulprojekttagen.

„Wenn ich als Schülerin ein solches Projekt gehabt hätte, hätte ich mich viel mehr mit solchen Themen auseinandergesetzt“, sagt Barbara Hauck, Direktorin der Maria-Ward-Realschule in Bamberg. (Foto: privat)

„Mit dem Preisgeld können wir die zweite Auflage unseres Bildbandes drucken. Da kommt dann das Logo des Bürgerpreises drauf“, sagt Sabine Prigandt-Kolb. Sie ist Leiterin der Offenen Hilfe für Menschen mit Behinderung in Miltenberg und Initiatorin des Projekts „Nie wieder!“. Ihr Engagement hat es auf den zweiten Platz des Bürgerpreises geschafft. Prigandt-Kolb ist stolz auf ihren Bildband. Er enthält die Arbeit von Menschen mit Behinderung und einer Gruppe hochbegabter Schülerinnen und Schüler.

Schon länger hatte Prigandt-Kolb die Idee, öffentlichkeitswirksam auf die Ausgrenzung und schließlich die Euthanasie von Menschen mit Behinderung während der Nazi-Diktatur aufmerksam zu machen. Auch heute gebe es solche Tendenzen, sagt sie. Gemeinsam mit einer Kollegin arbeitete sie sich in die NS-Verfolgungsgeschichte ein. Nach einigen Vorbereitungstreffen fuhren die beiden Frauen mit einer Gruppe in die Gedenkstätte Grafeneck. Hier fand die sogenannte Aktion T4 statt. Unter nationalsozialistischer Herrschaft wurden an diesem Ort 10 654 Menschen mit geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen ermordet.

„Die Gruppenmitglieder waren sehr betroffen bei dem Besuch“, erinnert sich Prigandt-Kolb. „Eine Person sagte zu mir ‚Das gleiche Schicksal hätte mich auch ereilt‘.“ In den Wochen danach arbeiteten sie gemeinsam den Besuch auf. Währenddessen malte eine andere Gruppe anhand alter Fotos Porträts Ermordeter. „Als die Porträts dann fertig waren, hat sich eine Gruppe hochbegabter Schüler daran gemacht, die Biografien der Porträtierten literarisch zu bearbeiten“, sagt Prigandt-Kolb.

Sabine Prigandt-Kolb ist Leiterin der Offenen Hilfe der Lebenshilfe Miltenberg und Initiatorin des Projekts „Nie Wieder!“. (Foto: privat)
Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten zusammen an dem Projekt „Nie Wieder!“. Hier malt Künstler Helmut Gramlich ein Porträt des Euthanasieopfers Wilhelm Dallmeyer. (Foto: privat)

Abschließend trafen sich alle Beteiligten zu einer Vernissage in Kleinwallstadt. Die Ergebnisse der Projektgruppen finden sich nun in dem Bildband der Aktion. Mit dem Preisgeld möchte Prigandt-Kolb die Neuauflage ihres Bildbandes und auch weitere Ausstellungen finanzieren, um weiter auf die Situation von Menschen mit Behinderung während der NS-Zeit und heute aufmerksam zu machen. „Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht“, sagt sie. Die Künstlerinnen und Künstler hätten zudem große Freude, durch ihre Ausstellung zu führen. Die nächste Ausstellung sei schon in Planung – sie soll im Herbst in der Synagoge Großkrotzenburg stattfinden.

Den ersten Platz des Bürgerpreises belegt der „Erinnerungsort Badehaus“ aus Wolfratshausen. In dem multimedialen Museum wird die Geschichte des Ortes als NS-Mustersiedlung thematisiert, erforscht und dokumentiert. Besonders junge Menschen sollen in Wolfratshausen animiert werden, sich zu begegnen und aus der Geschichte zu lernen. Das Projekt hat sich den Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und rechtsextreme Gesinnungen zur Aufgabe gemacht.

Seit rund 20 Jahren schreibt der Landtag seinen Bürgerpreis aus. 2024 bewarben sich 84 Projekte. Eine Jury aus Vertretern und Vertreterinnen der Landtagsfraktionen, des bayerischen Gemeinde- und Städtetags sowie der bayerischen Landtagspresse wählt die Gewinner aus. Der Preis ist mit 50 000 Euro dotiert und gestaffelt: Der Erinnerungsort „Badehaus“ erhält 25 000 Euro; das Inklusionsprojekt „Nie Wieder!“ 15 000 Euro und das Forschungs- und Bildungsprojekt „Alef-Bet“ 10 000 Euro. Die Preisverleihung findet am 17. Oktober im Landtag statt.

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