Neue Bundesregierung:Wie die Ampel-Beschlüsse in Bayern wirken könnten

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Neue Leitungen sollen bald das Land durchziehen - die Ampelkoalition will die Genehmigungsverfahren deutlich beschleunigen. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Straßenbau, Bildung, Naturschutz, Energiewende: Auf diesen Politikfeldern regiert der Bund im Freistaat mit, teilweise zum Ärger der CSU.

Von Sebastian Beck, Matthias Köpf, Clara Lipkowski, Christian Sebald und Viktoria Spinrad, München/Nürnberg

Die neue Bundesregierung kommt zwar ganz ohne Bayern in Ministerämtern aus, was aber nicht heißt, dass der Freistaat von Berlin aus nicht mitregiert wird. Im Gegenteil: Eine ganze Reihe von Vorhaben der Ampelkoalition hat konkrete Folgen für den Freistaat. Ein Überblick über die wichtigsten Punkte im Koalitionsvertrag, die Bayern betreffen:

Energiewende

Es hatte sich bereits in den Koalitionsverhandlungen abgezeichnet: Die neue Ampelkoalition will die bayerischen Blockaden bei der Energiewende nicht länger hinnehmen. Nach dem Willen von SPD, Grünen und FDP sollen die Bundesländer künftig zwei Prozent ihrer jeweiligen Landesfläche für die Windkraft reservieren. So soll es im Baugesetzbuch des Bundes festgelegt werden, heißt es im Koalitionsvertrag - und zwar bereits im ersten Halbjahr 2022. Die umstrittene Abstandsregel 10H, mit der die CSU den Ausbau der Windkraft in Bayern seit Jahren blockiert, dürfte damit schon bald obsolet sein. Außerdem entspricht das Zwei-Prozent-Ziel ziemlich genau den Berechnungen der Fachwelt zum Bedarf und Potenzial der Windkraft in Bayern.

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"Rein rechnerisch entspricht das in den nächsten zehn Jahren bayernweit ungefähr 150 neuen Windrädern im Jahr", sagt zum Beispiel Raimund Kamm vom Bundesverband Erneuerbare Energien. "Das ist ziemlich genau die Anzahl, die wir brauchen, wenn wir ein Drittel unseres Strombedarfs aus der Windkraft decken wollen."

Beim Verband der Energie- und Wasserwirtschaft, dem Zusammenschluss der Energieversorger in Bayern, argumentieren sie ähnlich. Aber auch bei den beiden großen Stromtrassen, die einmal Unmengen an Windstrom aus Norddeutschland nach Bayern transportieren sollen, will der Bund aufs Tempo drücken - indem er die Genehmigungsverfahren verkürzt und womöglich sogar komplett an sich zieht. In Bayern betrifft das den SuedLink und den SuedOstLink, die beide etliche Jahre im Verzug sind. Umweltverbände wie der Landesbund für Vogelschutz begrüßen die Beschleunigung, weil sie überzeugt sind, dass die Energiewende ohne die Stromautobahnen nicht gelingen kann. Der Bund Naturschutz, der auf eine dezentrale Energieversorgung setzt, übt dagegen scharfe Kritik.

Verkehr

Was die großen Verkehrsprojekte in Bayern betrifft, gibt es von der neuen Bundesregierung unterschiedliche Signale. Grün zeigt die Ampel vor allem für den Ausbau von "systemrelevanten Bahnstrecken", zu denen in Bayern laut Koalitionsvertrag vorrangig der Brennernordzulauf von München über Rosenheim bis Kiefersfelden gehört, außerdem der "Ostkorridor Süd" von Hof über Weiden bis Regensburg sowie die Strecke von Nürnberg Richtung tschechische Grenze und über Hof Richtung Leipzig und Dresden als sogenannte Sachsen-Franken-Magistrale.

Wichtige Vorhaben wie diese will die Koalition beschleunigen, ohne auf Umweltprüfungen zu verzichten. Klagen sollen vor dem Bundesverwaltungsgericht möglich sein. Beim Ostkorridor und der Sachsen-Franken-Magistrale ist sich die Bundesregierung einig mit der bayerischen Staatsregierung. Nach einem Treffen mit dem sächsischen Ministerrat hat das bayerische Kabinett erst am Dienstag vom Bund verlangt, den Ausbau beider Strecken zügig voranzutreiben und weitere Bahnstrecken zu elektrifizieren.

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Sehr viel strittiger ist die geplante neue Bahntrasse rund um Rosenheim in Richtung Brennerbasistunnel. Deutschland hinkt mit der Planung für die Brennerachse weit hinterher. Andreas Scheuer als vorerst letzter von - inklusive dem kommissarischen Ressortchef Christian Schmidt - insgesamt vier CSU-Verkehrsministern hat den Bund kurz vor der Bundestagswahl auf eine Trasse festgelegt, die weitgehend unterirdisch verläuft und daher mindestens sieben Milliarden Euro kosten würde. Die heftige Kritik in der Region ist trotzdem nicht verstummt, fast 20 Bürgerinitiativen und der Bund Naturschutz zweifeln an der Notwendigkeit des Vorhabens. Gegen das Beschleunigen von Planungsprozessen sei grundsätzlich nichts einzuwenden, aber "eine Beschleunigung von Blödsinn braucht niemand", sagt BI-Sprecher Thomas Riedrich.

Schon Scheuer hatte den Schwerpunkt beim aktuellen Bundesverkehrswegeplan 2030 - der Richtschnur für die Verkehrsprojekte des Bundes - vom Aus- und Neubau in Richtung Erhalt verschoben. Die neue Bundesregierung will bis 2025 weiter umschichten und zusammen mit Wirtschafts- und Umweltverbänden genau prüfen, welche Aus- und Neubauten wirklich nötig sind. Dies könnte etwa den sechsspurigen Ausbau der A 8 vom Chiemsee bis Salzburg betreffen, der speziell von den Grünen in Oberbayern heftig kritisiert wird und auch vom Bundesrechnungshof schon als unwirtschaftlich kritisiert wurde.

Allerdings betrachtet die Autobahngesellschaft des Bundes das Vorhaben vor allem als längst überfällige Erhaltungsmaßnahme. Schon die Sanierung und das bloße Anfügen von Standspuren brauche praktisch genauso viel Fläche wie der geplante Ausbau, heißt es von dort. Wenig Chancen geben Insider inzwischen der sogenannten B15neu auf einer ganz eigenen Trasse von Landshut Richtung Rosenheim, und auch die eine oder andere Ortsumgehung, mit der die jeweiligen Lokalpolitiker schon fest rechnen, dürfte wieder zur Disposition stehen.

Der Bund Naturschutz befürchtet, dass die Verkehrspolitik des neuen Verkehrsministers Volker Wissing (FDP) nahtlos an die von Scheuer anknüpft. "Formulierungen, dass mehr in die Schiene als in die Straße investiert werden soll oder der Fokus stärker auf Erhalt und Sanierung gelegt werden soll, sind viel zu schwammig, als dass sie eine Neuausrichtung er Verkehrspolitik erkennen lassen", sagt BN-Chef Richard Mergner.

Asylpolitik

Der Satz kommt erst einmal sehr unscheinbar daher, könnte aber das Ende der sieben "Ankerzentren" in Bayern besiegeln. Koalitionsvertrag, Seite 140, genau eine Zeile: "Das Konzept der Anker-Zentren wird von der Bundesregierung nicht weiterverfolgt." Was das konkret bedeutet, darüber rätseln jetzt Chefs ebenjener Zentren und auch das Innenministerium. "Wie sich die neue Bundesregierung die Unterbringung in der Praxis künftig vorstellt, bleibt unklar", teilt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Mittwoch auf Nachfrage der SZ mit. Die Zentren hätten sich aber bewährt, daher wolle man daran festhalten.

Fakt ist: 2025 laufen entsprechende Pachtverträge des Freistaats aus - der betreibt die "Anker". Und einige Kommunen hätten schon lieber heute als morgen Zugriff auf die riesigen Flächen, um dringend geforderten Wohnraum zu schaffen, wie in Bamberg. Oder für Industriegebiete, siehe Geldersheim bei Schweinfurt. Doch da es auch nach 2025 Erstaufnahmeeinrichtungen geben wird, kursiert in manchen Behörden die Vermutung, dass die Zentren bleiben, aber anders bezeichnet werden. Fraglich ist trotzdem, ob die Zentren wie bisher als Großcamps für bis zu 1500 Menschen bestehen werden.

Die Idee der "Zentren für Ankunft, Entscheidung, Rückführung", wie sie offiziell heißen, war ursprünglich, Asylverfahren möglichst effizient zu entscheiden, mit entsprechenden Behörden direkt auf dem Gelände, etwa dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) oder dem jeweiligen Verwaltungsgericht. Doch Hilfsorganisationen übten massiv Kritik: Statt Menschen schneller durch das Asylverfahren zu leiten, blieben etliche bis zu zwei Jahre im "Anker" - und nicht wie im Koalitionsvertrag 2018 festgehalten maximal 18 Monate. Und das bei oft unzureichender Betreuung von Kindern und fehlenden Selbstverständlichkeiten wie Wlan.

Landwirtschaft

In Sachen Biobauern will der Bund offenbar von Bayern lernen. 30 Prozent Öko-Landbau bis 2030 haben sich SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag als Zielmarke gesetzt. Das ist anspruchsvoll. Denn es entspricht ungefähr einer Verdreifachung des Öko-Landbaus binnen acht Jahren. Zugleich liegt es exakt auf der Linie des Freistaats. Nach dem immensen Erfolg des "Volksbegehrens Artenvielfalt - Rettet die Bienen" vor bald drei Jahren hat es die Staatsregierung vorgemacht und sich 30 Prozent Öko-Landwirtschaft als Zielmarke bis 2030 vorgenommen.

Beim Ökolandbau hat die Bundesregierung das 30-Prozent-Ziel von Bayern abgekupfert. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Wie es derzeit aussieht, könnte der Freistaat durchaus erfolgreich sein. So zumindest steht es in einem aktuellen Monitoring-Bericht über die bisherigen Erfolge des Volksbegehrens, den der LBV in Auftrag gegeben hat. Aktuell fürchten die Biobauern in Bayern und im Bund allerdings um ihre Zukunft. An diesem Freitag entscheidet der Bundesrat über die Agrarsubventionen in Deutschland in den nächsten fünf Jahren. Die Programme sind noch von der alten Bundesregierung und der damaligen Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) entwickelt worden. Nach Worten von Hubert Heigl, dem Chef der Landesvereinigung für den ökologischen Landbau in Bayern (LVÖ), werden die Biobauern dabei gegenüber ihren konventionell wirtschaftenden Kollegen systematisch benachteiligt. "Sollten die neuen Programme tatsächlich wie geplant in Kraft treten, ist das 30-Prozent-Ziel Öko-Landbau kaum erreichbar", sagt Heigl - im Bund, wie auch in Bayern.

Naturschutz

Es ist ein lapidarer Satz: "Das europäische Naturschutzrecht setzen wir eins-zu-eins um", heißt es auf Seite 37 des Koalitionsvertrags von SPD, Grünen und FDP. Aber der Satz hat Sprengkraft, gerade für Bayern. Denn der Freistaat hinkt bei der Umsetzung des europäischen Naturschutzrechts massiv hinter her. Nach Einschätzung von Fachleuten wie Andreas von Lindeiner, dem obersten Artenschützer beim Landesbund für Vogelschutz, sogar deutlich weiter als andere Bundesländer. Wenn der Bund deshalb die beiden großen Naturschutz-Rechtsverfahren friedlich beilegen will, welche die EU-Kommission in diesem Jahr gegen Deutschland in Gang gesetzt hat, wird er vor allem auf die Staatsregierung einwirken müssen, damit sie die Naturschutz-Vorgaben der EU einhält. Das eine Verfahren betrifft die FFH-Gebiete und ihr Management, also das Kernstück des europäischen Naturschutzes. Das andere bezieht sich auf den Schutz von naturnahen Wiesen - wo laut LBV der Freistaat gegenüber der EU-Kommission Verluste von mehr als 80 Prozent einräumen musste.

Der Verdacht gegen den Wolf hat sich nicht bestätigt. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Beim Streit um die Rückkehr der Wölfe sieht die Sache ähnlich aus: Auch dabei bekennt sich die Ampelkoalition dazu, das Europarecht und damit den extrem hohen Schutz der Raubtiere zu achten. Die bayerische Forderung nach einer Erleichterung von Abschüssen dürfte weiter ins Leere laufen.

Cannabis

Eine besonders strikte Drogenpolitik zählt seit vielen Jahren zu den Markenzeichen der CSU, selbst vergleichsweise kleine Delikte werden konsequent verfolgt. Im Jahr 2020 wurden in Bayern alleine 28 228 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz in Zusammenhang mit Cannabis registriert - dazu zählen in erster Linie Menschen, die mit Gras erwischt wurden. Diese Delikte werden künftig zum großen Teil wegfallen, wenn die Bundesregierung ihr Vorhaben umsetzt und die "kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften" erlaubt. Die Gewerkschaft der Polizei in Bayern befürchtet, dass die Arbeit deshalb nicht weniger wird und auch der Konsum härterer Drogen zunimmt. Ähnlich sieht das Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU): "Eine Cannabis-Freigabe schafft mehr Probleme als sie löst. Ein Rauschmittel zu legalisieren, das schwere gesundheitliche Schäden verursachen kann, macht keinen Sinn. Die Hemmschwelle, Cannabis zu konsumieren, wird deutlich sinken. Gerade im Straßenverkehr ist Cannabiseinfluss hochgefährlich."

Kiffen? Bayerns Innenminister Joachim Herrmann findet das überhaupt nicht cool. Er würde gerne die strikte Drogenpolitik des Freistaats weiter verfolgen. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Bildung

Dass Bildung Ländersache bleibt, darauf achten die Ministerpräsidenten und ihre Kultusminister eifersüchtig und genau, allen voran die aus Bayern. Die neue Ampelkoalition will trotzdem die Rolle des Bundes als Unterstützer stärken und ein "Kooperationsgebot" für alle staatlichen Ebenen einführen. Gelingen soll die Kooperation unter anderem durch Bildungsgipfel, zivilgesellschaftliche Beratungsrunden und Arbeitsgruppen, an denen es freilich bisher auch schon nicht gemangelt hat.

Wichtiger ist, dass der Bund generell die öffentlichen Ausgaben für die Bildung steigern, weiterhin Bundesmittel in den Ganztagsunterricht stecken, das Geld leichter abrufbar machen und einen "Digitalpakt 2.0" schließen will. All das biete "Möglichkeiten, Bildung nachhaltig zu verbessern und somit mehr Bildungsgerechtigkeit zu schaffen", lobt etwa die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, Simone Fleischmann, das Vorhaben. Unter anderem der BLLV hatte schon bisher gefordert, das derzeitige Kooperationsverbot zu kippen und durch eine Pflicht zur Zusammenarbeit von Bund und Ländern zu ersetzen. Entscheidend ist für Fleischmann aber, was am Ende wirklich in den Schulen ankommt. "Angesichts des bestehenden und weiterhin zu erwartenden Lehrkräftemangels sowie des fehlenden Personals im frühkindlichen Bereich, bleiben deshalb viele Fragen offen.

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