Sprache:Aiwangers Bävärian English ist nicht lustig

Bayern Aufmacher Illus Aiwanger

Hubert Aiwanger ist seine Herkunft anzuhören.

(Foto: Foto: Hannes Magerstaedt/Getty, Illustration: Alper Özer/SZ)

Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger wurde mit seinem dialektgefärbten Englisch auf Twitter zum Ziel von Gehässigkeiten. Ist das schon Diskriminierung?

Von Hans Kratzer

Kommt die Rede auf den Sprachklang des bayerischen Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger (Freie Wähler), fällt so manchem Zuhörer das Schmunzeln nicht schwer. Aiwanger ist zwar ein versierter Rhetoriker, aber mit seinem stark o-lastigen Redefluss ("Opfesoft") läuft er immer wieder Gefahr, sich liebevollem, manchmal auch beißendem Spott auszusetzen. Er selber ist natürlich auch nicht zimperlich im Umgang mit politischen Gegnern, die er gerne mit starken Kraftausdrücken attackiert.

Beim Münchner Start-up-Festival "Bits & Pretzels" aber sorgte Aiwanger in ganz anderer Hinsicht für Wirbel. Er hatte es nämlich gewagt, seine Rede auf Englisch vorzutragen. Mit seiner mundartlich gefärbten Intonierung löste er jedoch in Teilen des Publikums ernst zu nehmende Irritationen aus. Besonders pikiert zeigten sich die TV-Moderatoren Jan Böhmermann und Joko Winterscheidt, die dem Anschein nach Lachkrämpfe erlitten. "Richtigen Superlachflash bei Hubert Aiwangers Alpha-Rede vorhin bekommen", twitterte Böhmermann und erntete sogleich hämischen Beifall der Twitter-Gemeinde ("Selten so fremdgeschämt!", "So lächerlich ...!").

Nun ist Aiwanger nicht der Erste, der wegen einer alternativen Aussprache des Englischen medial durch den Kakao gezogen wird. Ein ähnliches Schicksal widerfuhr bereits dem deutschen EU-Kommissar Günther Oettinger, dem bayerischen CSU-Politiker Erwin Huber und dem inzwischen gestorbenen FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle.

In den jetzigen Zeiten einer schier überbordenden Political Correctness fällt aber auf, dass vor allem jene Protagonisten, die in ihren Sendungen und Plattformen stets ganz hohe moralische Ansprüche formulieren und unentwegt bemüht sind, die subtilen Mechanismen der Diskriminierung aufzudecken, nicht davor zurückschrecken, Menschen wegen ihrer Sprache auszulachen. Kurz gefragt: Ist das Auslachen des Englisch sprechenden Aiwanger nicht auch eine Form von Diskriminierung, ähnlich, wie wenn Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder ihres Geschlechts verächtlich gemacht und benachteiligt werden?

Der Schweizer Soziolinguist Péter Maitz von der Universität Bern sieht in der Reaktion von Teilen des Publikums tatsächlich "einen Keim der Diskriminierung, vor allem aber eine Stigmatisierung". Wenn man einen Sprecher auslache, werte man eine bestimmte Sprachform ab und verbinde damit negative Charaktereigenschaften und eine gewisse Provinzialität. Zur Diskriminierung komme es dann, sagt er, wenn damit eine soziale Benachteiligung einhergehe.

Sein Kollege, der Augsburger Sprachwissenschaftler Werner König, hat dieses Phänomen intensiv erforscht, sein Ergebnis ist ernüchternd. Nach wie vor werden in Deutschland Menschen wegen ihrer von der Norm abweichenden deutschen Sprechweise benachteiligt. Das Vorurteil, der Norden sei dem Süden sprachlich überlegen, bewirke, dass dortige Mundartsprecher diskriminiert werden, hat König festgestellt. Bei Bewerbungsgesprächen reiche oft schon eine Klangfärbung aus, um aussortiert zu werden. Er fordert deshalb, diesem Thema dringend dieselbe Achtsamkeit entgegenzubringen wie dem Komplex Diskriminierung in anderen Lebensbereichen.

Josef Kraus, der ehemalige Präsident des deutschen Lehrerverbands, vermutet hinter dem Verlachen von Englisch sprechenden Politikern ein "deutsches Identitätsproblem. Es geht doch nicht um den Klang, sondern um die Frage, ob der Inhalt der Rede semantisch rüberkommt". In jeder Debatte in der Uno, in der Englisch gesprochen werde, könnten 90 Prozent der Sprecher ihre Herkunft phonetisch nicht verleugnen, hat Kraus festgestellt. Das gehöre zur Individualität des Menschen. Ein Politiker wie Aiwanger könnte sich natürlich einem Sprachtraining unterziehen und sich damit dem von einer Elite gewünschten nasalen Englisch annähern. "Dann wäre er aber nicht mehr der Aiwanger", sagt Kraus.

Auch die aus der Oberpfalz stammende SPD-Bundestagsabgeordnete Marianne Schieder, deren Sprache bildhaft und reich an Diphthongen ist, hat schon viel Spott einstecken müssen. Sogar in die "ZDF Heute-Show" hat sie es geschafft, nachdem sie den Bundestag mit einem markigen Spruch im schönsten oberpfälzischen Slang erfreut hatte. Der Moderator Oliver Welke erheiterte das Publikum mit der Diagnose, die Debatte im Bundestag sei "leider nicht durchgehend in deutscher Sprache geführt worden".

Als gebildete Juristin weiß Frau Schieder natürlich, dass die ou-Laute der Oberpfalz zumindest in der englischen Literatur als vornehm gelten. "Aber mir ist das total egal, was die Spötter über mich sagen", sagt sie. "Ich sehe keinen Anlass, mich zu verstellen. Verstehen muss man mich natürlich schon." Sie frage sich aber schon, wo man sich das Recht hernehme, über einen Sprachklang zu lachen? "Du hörst die Tonlage sowieso immer raus."

"Ein niederbayerischer Dickschädel kann diese Kritik schon verkraften"

Der ehemalige CSU-Chef Erwin Huber nahm solche Kritik einfach in Kauf. "Meine Englisch-Reden waren ja fast Kult", sagt er. Aber er habe damit eine erhöhte Aufmerksamkeit erzielt. Aggressiv attackiert habe man ihn nicht, aber die heute übliche Hemmungslosigkeit habe es da noch nicht gegeben. "Ich wurde halt derbleckt." Huber rät Aiwanger, er solle weiterhin den Mut haben, so zu reden, wie ihm der Schnabel gewachsen sei. "Ein niederbayerischer Dickschädel kann diese Kritik schon verkraften."

Sepp Obermeier, der Vorsitzende des Bundes Bairische Sprache, sieht im Fall Aiwanger eine astreine Diskriminierung. Ihn ärgert es, wenn Menschen als Hinterwäldler hingestellt werden, auch wenn sie sich, wie Aiwanger, manchmal exotisch artikulieren. Sogar Thomas Mann habe individuell Englisch gesprochen und Stilblüten produziert. Obermeier hält überdies Moderatoren wie Böhmermann vor, die englischen Zwielaute falsch auszusprechen, "und dann das Zäpfchen-R, das ist ja auch kabarettreif".

"Soziale Benachteiligung durch Sprache hat in Deutschland eine lange Tradition", sagt Sprachwissenschaftler Maitz. Dialekt werde nach wie vor als Sprache des Bauernvolks begriffen, das gebildete Bürgertum achte darauf, anders zu sprechen. Seit dem 19. Jahrhundert gelte das Norddeutsche als Maßstab für Sprachrichtigkeit, nicht das Südhochdeutsche, dessen Sprecher bei passender Gelegenheit Gefahr liefen, diskriminiert zu werden.

Maitz rät dazu, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Gesellschaft für viele Formen der Diskriminierung sensibler werde, neben Hautfarbe, Religion und Geschlecht eben auch für die Sprache. Man schäme sich nicht, manche Menschen wegen ihrer Sprache auszulachen und mit Häme zu überziehen. "Dieser Mechanismus unterscheidet sich durch nichts von einer Diskriminierung aus anderen Gründen."

Maitz hält die sprachliche Normierungswut für ein spezifisch deutsches Phänomen. "In der Schweiz und in Österreich gibt es diesbezüglich eine viel höhere Toleranz. Deutschland ist da am dogmatischsten." Von Rassismus will Maitz dabei nicht reden. Es handle sich vielmehr um einen Linguizid. Deutschland arbeite intensiv daran, dass von der Norm abweichende Mundarten und Sprachvarietäten aufgegeben werden.

Zuspruch erhielt Aiwanger nicht zuletzt vom Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung, Dominik Meier. "Die deutschen Politiker sind, was Fremdsprachen betrifft, viel, viel besser als die Amerikaner oder die Franzosen. Die sprechen nämlich fast gar keine", sagte er der Presse-Agentur dpa. "Wenn ein deutscher Politiker sich auf eine Bühne vor 150 Leute stellt und Englisch spricht, obwohl er weiß, dass er es nicht gut kann, dann bewerte ich das als positives Zeichen der Offenheit." Als Vertreter einer Exportnation sei es wichtig, ein solches Zeichen zu senden. "Da sollte man sich von all den hämischen Zwischenrufen und vom Gelächter nicht entmutigen lassen."

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