Wann und wo sollte man „in die Schwammerl“ gehen?
Nach warmen Sommermonaten und einigem Regen ist im Herbst, zwischen Ende September und Anfang Oktober, normalerweise Schwammerl-Hochsaison. Doch aufmerksame Sammler fanden bereits im Frühjahr Herbstpilze, im Juli vergangenen Jahres erlebte Bayern sogar eine wahre Steinpilzflut. Was ist da los? „Dieses Jahr ist völlig verrückt, der Klimawandel haut voll rein“, sagt einer, der es wissen muss: Christoph Hahn ist promovierter Mykologe, Präsident der Bayerischen Gesellschaft für Mykologie und schwärmt trotz des durchwachsenen Pilz-Jahres: „Gerade schießen sie überall in die Höhe!“
Für den Steinpilz, den beliebtesten aller Ess-Pilze, herrsche besonders in und um München ein hoher Sammeldruck – und nur gekonnte Pilz-Sucher werden noch fündig. Im Bayerischen Wald hingegen, wo weniger Menschen suchen und die Böden saurer sind, stehen die Chancen besser. Auch Maronenröhrlinge, Parasolpilze und Pfifferlinge gebe es in zufriedenstellender Zahl. Letzterer ist laut Hahn auch am Alpenrand wieder häufiger zu finden.

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Welche Ausrüstung braucht es für die Schwammerl-Suche?
Da muss der Mykologe nicht lange überlegen: „Korb ist Kultur!“ Plastiktüten? „Die finde ich gruselig.“ Das hat aber nicht nur Gründe der Tradition, sondern auch ganz praktische: Im Korb sind Pilze luftig gelagert, in der Tüte zergehen sie wie eine Suppe, was im schlimmsten Fall zu einer Lebensmittelvergiftung führt.
Die Frage nach dem richtigen Messer ist für Hahn „zweischneidig“. Erfahrenen Schwammerl-Suchern bietet es Vorteile: Beim Abschneiden erkennen sie sofort, ob der Pilz von Maden befallen ist und wer gleich putzt, hat zuhause weniger Dreck. Anfänger sollten den Pilz aber unbedingt komplett aus dem Boden drehen und ungeputzt mitnehmen, bevor man das Fundstück von einem Experten überprüfen lässt. „Sonst gehen wichtige Bestimmungsmerkmale verloren“, sagt Hahn.
Wann sollte ein Pilz-Berater die gefundenen Pilze überprüfen?
Immer, wenn man unsicher ist, meint der Mykologe. Denn: „Unbekannte Pilze zu essen ist Glückssache.“ Die vielen Pilz-Bestimmungs-Apps, die Schwammerl oft nach einem Scan benennen können, sind zwar eine nette Spielerei, doch der Profi warnt: „Bestimmen heißt nicht essen. Niemals sollte man sein Leben dranhängen“. Die vielen Details, Merkmalskombinationen, oder der Geruch seien von Apps oder Büchern nicht erfassbar.
Können auch essbare Pilze gefährlich werden?
Ess-Pilze sind nicht frei von Risiko. Wenn sie mehrfach gefroren und wieder aufgetaut sind, gehen deren Zellen kaputt und Bakterien können sich schneller verbreiten. „Das sehe ich von außen nicht und bekomme vielleicht eine Lebensmittelvergiftung“, warnt Hahn. Auch sind die meisten Pilze roh giftig und erst gut durchgebraten genießbar.
Welche Gefahren lauern bei der Pilzsuche sonst noch?
Hinlänglich bekannt sind die klassischen Giftpilze, die Speisepilzen oft sehr ähnlich sehen. „Bei einem weißen Pilz mit Lamellen denken viele: Den kenne ich!“, sagt Hahn. Der Unterschied zwischen dem Champignon und dem tödlichen Knollenblätterpilz liegt im Detail – und dafür braucht es Expertise.
Ein fast noch größeres Problem ist für Hahn aber die Zuwanderung neuer Arten über die Alpen. Schuld ist das Klima: „Die Sommer werden heißer, die Winter kürzer und Frostperioden sind nicht mehr so streng.“ War der Wiesenchampignon früher ein beliebter Speisepilz in Bayern, ist der „Falsche Wiesenchampignon“ seit Kurzem auch heimisch – und giftig. Die Arten sehen sich so ähnlich, dass sie sogar manche Pilz-Berater nicht mehr freigeben.
Auch die Geschichte des „Parfümierten Trichterlings“ lässt aufhorchen: Über Nordafrika, Spanien und Frankreich ist der Giftpilz zugewandert, der dem „Fuchsigen Trichterling“ zum Verwechseln ähnlich sieht. Nach dem Genuss des Giftpilzes erleiden Betroffene so starke Schmerzen in Händen und Füßen, dass es sich anfühlt, als würden sie verbrennen.
In Frankreich gab es deshalb schon mehrere Todesfälle. Die Menschen sterben an Kreislaufüberlastungen oder Suizid, so unerträglich sind die Schmerzen, die bis zu einem halben Jahr anhalten. „Das ist das Heftigste, was wir an Klimawandel neu dazubekommen haben“, sagt Hahn. Entdeckt wurde der Pilz auch in Österreich und der Schweiz, in Bayern gibt es erst eine unbestätigte Meldung. Doch Hahn ist sicher: „Der müsste schon angekommen sein.“
Was hat es mit der radioaktiven Belastung von Pilzen auf sich?
Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 ist besonders in Bayern radioaktiver Regen gefallen, der einige Regionen bis heute mit dem potenziell krebserregenden Caesium-137 belastet. Betroffen sind vor allem der Bayerische Wald, Berchtesgaden, der Alpenkamm und einige Gebiete im Alpenvorland, erklärt Hahn. Auch im Donaumoos südwestlich von Ingolstadt wurden nach Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) hohe Werte gemessen. Besonders viel Caesium-137 nehmen Maronen-Röhrlinge, Trompetenpfifferlinge und Semmel-Stoppelpilze auf.
Gibt das Anlass zur Sorge für Schwammerl-Sammler?
„Wenn ich manchmal Pilze genieße, habe ich noch kein signifikantes Krebs-Risiko“, meint Hahn. Laut Präsidentin des BfS, Inge Paulini, gilt, selbst wenn Pilze die Grenzwerte überschreiten: „Solange man sie in Maßen verzehrt, führen sie nur zu einer geringen zusätzlichen Strahlendosis.“ Wer sehr regelmäßig Pilze isst, sollte aber trotzdem überlegen, auf weniger belastete Arten wie Steinpilze oder Pfifferlinge auszuweichen, rät Hahn.
Wie macht sich eine Pilzvergiftung bemerkbar?
„Die meisten Pilze lösen Magen-Darm-Symptome aus“, sagt der Mykologe. Bei Übelkeit, Völlegefühl, Erbrechen oder starken Bauchschmerzen nach dem Pilzgenuss heißt es: Ab zum Arzt! Selbst wenn die Symptome nach einigen Stunden wieder verschwinden, bleibt die Gefahr. Während der vermeintlichen Besserungsphase kann die Leber angegriffen werden. Christoph Hahn appelliert deshalb: „Jede zehn Minuten, die man vertrödelt, ist die Gefahr zu sterben größer.“

