Fachkräftemangel:Alarmstufe Rot in der Pflege

Bundestag soll Pflegereform beschließen

Schon jetzt fehlt es in Bayerns Krankenhäusern und in der Altenpflege an Pflegekräften. Doch die Lage droht sich weiter zu verschärfen.

(Foto: dpa)

Nur jeder Fünfte ist laut einer Studie überzeugt, dass er den Beruf bis zur Rente durchhalten kann. Das hat Folgen für die Patienten.

Von Dietrich Mittler

Bereits jetzt fehlt es in Bayerns Krankenhäusern und in der Altenpflege an Pflegekräften. Fachkräfte, die in Zeiten der Corona-Krise dringend gebraucht werden. Doch die Personalsituation im Pflegebereich droht sich weiter zu verschärfen, wie eine aktuelle Umfrage der Gewerkschaft Verdi ergeben hat. "Nur 19 Prozent der befragten Beschäftigten des bayerischen Gesundheitswesens gehen davon aus, dass sie unter den bestehenden Bedingungen bis zum gesetzlichen Rentenalter durchhalten können - und 81 Prozent sehen das nicht so", sagte am Mittwoch Robert Hinke, bei Verdi Bayern zuständig für den Bereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen. Diese Aussagen seien ein eindeutiges "Alarmsignal".

Georg Sigl-Lehner, Präsident der Vereinigung der Pflegenden in Bayern, verwundert dieses Ergebnis nicht. "Arbeiten bis zur Rente, dies ist für viele Pflegekräfte gar nicht möglich, weil sie das rein körperlich nicht schaffen", sagt er - aufbauend auf seine Erfahrung als Leiter einer Altenpflegeeinrichtung. Unter vielerlei Hinsicht sei die Pflege eine äußerst anstrengende Arbeit: Körperlich etwa unter dem Gesichtspunkt, dass Pflegebedürftige oft gehoben werden müssten. Und psychisch, weil mittlerweile ein Großteil der stationär Gepflegten demenziell beeinträchtigt sei.

Anfang dieser Woche hat Sigl-Lehner eine langjährige Mitarbeiterin in den Ruhestand verabschiedet. Die letzten sieben Jahre bekam sie die Möglichkeit, in der körperlich weniger fordernden Tagespflege tätig zu sein. "Sie war hoch qualifiziert, fachlich versiert und ging äußerst empathisch auf die alten Menschen ein", beschreibt Sigl-Lehner die frühere Mitarbeiterin. Beim Abschied teilte sie ihm mit: "In der direkten Pflege hätte ich es körperlich nicht mehr geschafft." Für Sigl-Lehner ergibt sich aus solchen Erlebnissen eine politische Forderung: "Es muss uns bald etwas einfallen, unter welchen Bedingungen Pflegekräfte tatsächlich bis zur Rente arbeiten können."

Für die Verdi-Studie unter dem Titel "Sag uns, wie es ist!" waren in Bayern gut 2000 Beschäftigte aus Krankenhäusern, Psychiatrien, Altenpflege-Einrichtungen und Servicebetrieben befragt worden. Die Ergebnisse sind besorgniserregend. So etwa berichteten 28 Prozent der Altenpflegerinnen und Altenpfleger, dass ein fachlicher Austausch mit Teamkollegen nur sehr eingeschränkt oder gar nicht stattfinde. "Das dürfte die verheerende Wirkung der Pandemie in zahlreichen Einrichtungen der Altenpflege miterklären", sagte Hinke unter Anspielung auf die hohen Infektionsraten in Bayerns Altenpflege-Einrichtungen, die erst durch die Impfkampagne eingedämmt werden konnten. Sein Fazit: "Personalmangel gefährdet Leben."

"Die Rahmenbedingungen, unter denen Pflege geleistet wird, zeigen mehr als deutlich, dass die Situation vielerorts nur unter größten Belastungen zu bewältigen ist", betont auch Generaloberin Edith Dürr als Vorstandsvorsitzende der Schwesternschaft München vom Bayerischen Roten Kreuz. Zu ihrer Kundgebung am Dienstag hatte sie Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) als Gast, der sich prompt mit der Forderung der Schwesternschaft nach "Strukturveränderungen in der Pflege" solidarisch zeigte. Holetschek hatte bereits zuvor betont, er habe schon Mitte März "die Eckpunkte für eine zukunftsfeste Pflegereform vorgelegt". Es gelte, in der Pflege "langfristig gute Jobperspektiven zu schaffen".

Wie notwendig Reformen sind, belegen die Zahlen, die Verdi nun vorgelegt hat. 50 Prozent der Krankenhausbeschäftigten berichten demnach, "dass notwendige Dekubitus-Prophylaxen, die ein schmerzhaftes Wundliegen bettlägeriger Patienten verhindern sollen, "nur zum Teil, eingeschränkt oder gar nicht stattfinden können". Überdies ergab die Umfrage, dass 42 Prozent der Pflegenden in Bayerns Kliniken ihre gesetzlich vorgeschriebenen Pausen "nur sehr eingeschränkt oder gar nicht nehmen".

Problematisch sind aus Sicht von Verdi auch die Rückmeldungen aus den psychiatrischen Einrichtungen. "Ein gutes Stationsmilieu zu schaffen, ist in solchen Einrichtungen entscheidend für den Genesungserfolg und für die Vermeidung von Gewalt", betonte Verdi-Fachbereichsleiter Hinke. "Doch nur 29 Prozent der Beschäftigten können sich dafür die nötige Zeit nehmen", zitierte er aus der neuen Erhebung. Verstörend seien auch die Schilderungen aus Pflege-Einrichtungen. 41 Prozent der Beschäftigten fehle die Zeit, mit den alten Menschen Gespräche zu führen und zuzuhören. Nehme man die Beschäftigten hinzu, die das nur zum Teil gewährleistet sehen, summiere sich der Anteil auf 70 Prozent. Die Aussage, die Hinke ebenfalls als brisant einstuft: "Bei 15 Prozent ist selbst die Grundpflege nur sehr eingeschränkt oder gar nicht zu gewährleisten."

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