Süddeutsche Zeitung

Ausflugsziele in Bayern:Es droht der Freizeitkollaps

Die Bürger von Wallgau blockieren am Wochenende die Bundesstraße 11 und protestieren damit gegen immer mehr Durchgangsverkehr. Es ist ein weiterer Höhepunkt in der Debatte um den Overtourismus in Bayerns Bergen.

Von Christian Sebald, Wallgau

Wer auf dem Weg von München nach Südtirol den Automassen auf der Salzburger- und der Inntalautobahn ausweichen will, der nimmt erst die Garmischer Autobahn, zweigt ab Wolfratshausen auf die B 11 nach Innsbruck ab und fährt von dort in Richtung Brenner. Das ist zwar nicht schneller als die klassische Strecke über die A 8 und die A 93, ist aber nicht so stressig und landschaftlich ausgesprochen schön. Diesen Samstag sollte man die Strecke meiden. Von elf Uhr an macht eine Bürgerinitiative in Wallgau (Landkreis Garmisch-Partenkirchen) die B 11 für eineinhalb Stunden dicht. Der Grund: Die Wallgauer sind die Automassen in ihrem Ort leid. "So darf es nicht mehr weiter gehen", sagt Katharina Zunterer von der Bürgerinitiative. "Es gibt Tage, da kann kein Kind mehr über die Straße rüber, weil auf ihr die Autos so dicht an dicht unterwegs sind."

Die Kundgebung am ersten Feriensamstag in Wallgau ist ein weiterer Höhepunkt im Streit um den Overtourismus im Oberland südlich von München. Seit Wochen schon lassen viele Einheimische und Lokalpolitiker ihrem Verdruss auf die Städter freien Lauf, die an schönen Wochenenden den Tegernsee, den Walchensee und andere beliebte Ausflugsziele ansteuern oder Gipfel wie den Ross- und den Buchstein oder die Benediktenwand erklimmen. "Heimsuchung" zählt noch zu den eher harmlosen Ausdrücken, mit denen der vieltausendfache Ansturm bedacht wird. Man hört aber auch immer öfter kernige Schimpfworte wie "Grattler" oder "Saubären" - vor allem mit Blick auf den vielen Müll und Unrat, der sich an Sommerwochenenden regelmäßig an Ausflugszielen wie dem Walchensee ansammelt.

Nun also Wallgau. Die 1500-Einwohner-Gemeinde, die als Heimatort der Weltklasse-Biathletin Magdalena Neuner bekannt geworden ist, ist ein Bergidyll im oberen Isartal. In seinem Norden liegen so bekannte Gipfel wie der Herzogstand oder der Jochberg und eben der Walchensee, in seinem Süden erstreckt sich das felsige Karwendel. Wallgau ist denn auch ein klassischer Ferienort für Wanderer und Bergsteiger. Im Winter sind Skilangläufer und Rodler gerne zu Gast. Die zahlreichen Pensionen und Gästehäuser zeugen davon. Trotz des Tourismus hat sich der Ort seine bäuerliche Ursprünglichkeit bewahrt. An vielen Höfen und Häusern kann man feine Lüftlmalereien sehen. Wallgau war aber auch schon immer eine wichtige Station auf dem Weg nach Italien. Als der Dichterfürst Goethe im September 1786 dorthin reiste, legte er hier eine Rast ein.

In den vergangenen Jahren hat sich der Ort freilich stark verändert. Es ist vor allem die Verkehrsflut auf der B 11, die den Einheimischen immer mehr zu schaffen macht. Das sagt nicht nur Katharina Zunterer von der Bürgerinitiative. Sondern auch Bürgermeister Bastian Eiter. Die letzte Verkehrszählung habe die Gemeinde vor zwei Jahren veranlasst. "Die Spitzenwerte an schönen Tagen lagen damals bei 10 500 Pkw", sagt Eiter. "Seither hat die Flut aber garantiert nicht nachgelassen." Nach Eiters Schätzung fahren inzwischen in Spitzenzeiten mehr als 12 000 Autos auf der B 11 durch Wallgau hindurch. "Das beginnt am frühen Morgen und geht bis in den späten Abend", sagt auch Zunterer. "Es gibt Zeiten, da steht man mit seinem Auto eine Viertelstunde in der Hofeinfahrt und kann nicht auf die B 11 einfahren, weil dort ein Auto nach dem anderen durchrauscht."

Und die Flut wird weiter anschwellen. "Der Ballungsraum München wächst jedes Jahr um etwa 45 000 Einwohner", sagt Bürgermeister Eiter. "Natürlich wollen die Leute am Wochenende raus in die Berge und nach Italien. Aber für uns wird der Druck dadurch immer größer. Denn unser Landkreis Garmisch-Partenkirchen hat ja insgesamt nur doppelt so viele Einwohner wie München jedes Jahr wächst."

Für die Wallgauer ist keine Linderung in Sicht. Früher einmal war von einer Umgehungsstraße die Rede. Aber der Bund, der dafür zuständig ist, hat sie wieder aus dem Verkehrswegeplan gestrichen. Bei Tempo 30, Überwegen für Fußgänger oder anderen kleineren Maßnahmen ist Zunterer auch nicht wirklich optimistisch. Bisher habe man keine positive Resonanz auf solche Forderungen bekommen, außerdem wären dadurch ja nicht weniger Autos auf der Straße. Deshalb wollen die Wallgauer zumindest ihrem Frust Luft machen. Eineinhalb Stunden lang - von elf Uhr bis 12.30 Uhr - wird die B 11 am Samstag gesperrt. Nur Fußgänger können dann auf ihr durch den Ort spazieren.

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SZ vom 22.07.2020/wean
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