Es wird langsam eng im Tattoo-Studio „Hola Papaya Tattoo Atelier“ in München, unweit des Landtags. Schulter an Schulter quetschen sich am Mittwochmorgen Politiker und Medienvertreter aneinander, um einen Blick auf den Behandlungsstuhl zu erhaschen. Dort sitzt Thomas Zöller (FW), Patienten- und Pflegebeauftragter der Staatsregierung, und lässt sich gleich ein Tattoo stechen. Acht weitere Landtagsabgeordnete werden ihm an diesem Tag noch unter die Nadel folgen.
Eher ungewöhnlich ist das Motiv, das sich die Politiker stechen lassen: Das OPT.INK-Tattoo des Vereins „Junge Helden“ soll auf das Thema Organspende aufmerksam machen. Das Symbol zeigt zwei Halbkreise, die miteinander zu einem ganzen Kreis werden. Das soll für das Geschenk des Lebens stehen – sinnbildlich für die Organspende. Außerdem kann in die geometrischen Formen mit etwas gutem Willen das englische Akronym „Organ Donor“ (Organspender) gelesen werden.
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Mehr als 1200 Menschen warten allein in Bayern auf ein neues Organ, doch es gibt nicht mal 150 Spender im Freistaat. Transplantationsmediziner Bernhard Banas über die Gründe für die besonders niedrige Spendenbereitschaft – und was die Uni Regensburg dagegen tun will.
Allein in Bayern warten derzeit rund 1200 Menschen auf eine neue Niere, ein Herz, eine Leber oder ein anderes überlebenswichtiges Organ. Zwischen Januar und September 2024 gab es aber beispielsweise nur 118 postmortale Organspender. Ein Grund dafür ist die in Deutschland geltende Entscheidungslösung: Eine Organspende darf nur erfolgen, wenn die nächsten Angehörigen nach dem Tod oder der Verstorbene zu Lebzeiten zugestimmt hat, zum Beispiel auf einem Organspendeausweis. Doch den haben längst nicht alle.
Bevor sich Thomas Zöller aber auf den Behandlungstisch begibt, freut er sich über die „große Tattoo-Aktion aller demokratischen Abgeordneten“. Mit dabei waren sechs Parteikollegen, eine Abgeordnete der CSU, Andrea Behr, und der Grünen, Stefanie Schuhknecht. Zöller war froh über das parteiübergreifende Bündnis und zog sogleich Parallelen zum Politikbetrieb: „Auch bei der Pflegereform werden wir über Parteigrenzen hinweg zusammenarbeiten müssen.“ Die SPD hätte kommen dürfen, konnte aber keinen Tattoo-willigen Abgeordneten finden. Die AfD war nicht geladen.
Jetzt aber geht es los. Tätowiererin Peshy zeichnet die Kreise auf seinem Oberarm erst vor, dann taucht sie die Nadel in Tinte – und schon fährt sie surrend in Thomas Zöllers Haut. Ob es weh tut? „Nein“, sagt Zöller lächelnd, „aber man merkt die Nadel.“ Wenn der Eindruck nicht täuscht, wirkt er trotzdem etwas angespannt, zum Gespräch mit den Journalisten ist er trotzdem bereit. „Ich werde das Tattoo mit Stolz tragen“, sagt Zöller. Er hofft, möglichst oft darauf angesprochen zu werden und das Thema damit ins Gespräch bringen zu können. Auch wenn „Sterben kein schönes Thema ist“, müsse man darüber sprechen.
Politisch möchte er kurzfristig die sogenannte Widerspruchslösung umsetzen. Dabei wird, vereinfacht gesagt, von der Bereitschaft zur Organspende ausgegangen – außer man widerspricht aktiv. Umgesetzt sei das schon in Spanien: „Die sind uns meilenweit voraus.“ Langfristig aber strebt er eine Lösung an, bei der sich jeder mit der Frage der eigenen Organspende bewusst auseinandersetzen muss, zum Beispiel in Arzt-Gesprächen.
Persönlich ist Zöller schon seit Langem Organspender, 1997 ließ er sich über die DKMS, die Knochenmarkspenderdatei, registrieren. Tatsächlich konnte er 2008 einem „genetischen Zwilling“ helfen, der an Leukämie erkrankt war. Der Stein des Anstoßes für die Aktion war für Zöller aber das Gespräch mit einer Mutter, die 2010 ihre Tochter bei einem Verkehrsunfall verloren hat. Da sich die Tochter zuvor entschieden hatte, ihre Organe spenden zu wollen, konnten vier Menschen weiterleben. „Das war der Trigger für mich, ein solches Event zu veranstalten“, sagt Zöller, wenige Minuten nachdem sein neues Tattoo mit einem Pflaster abgeklebt wurde. Nach vier Tagen soll es wieder abgehen. Dann wird das Tattoo seinen Träger ein Leben lang als überzeugten Organspender ausweisen.