Süddeutsche Zeitung

Architektur:O du schöne Oberpfalz

Das Architektenehepaar Berschneider prägt seit Jahrzehnten seine Heimatregion mit wegweisenden Bauten. In einer Monographie werden die Werke der beiden nun gebündelt präsentiert.

Von Hans Kratzer

Die Oberpfalz wird seit jeher chronisch unterschätzt. Überdies werden die kulturellen Leistungen dieser Region von Leuten, die sich für besonders lustig halten, auf gewisse ou-Laute reduziert, es ist ein Jammer sondergleichen. Natürlich war dieses alte Grenzland von Kargheit geprägt, junge Menschen wanderten scharenweise ab, und es hat lange gedauert, bis die Lebens- und Wohnverhältnisse moderne Standards erreichten. Der Journalist Wolfgang Jean Stock erinnert sich gut daran, wie er früher über schmale, oft bucklige Straßen gefahren ist, vorbei an Ortschaften mit verfallenen Häusern, "in denen die frühere Zeit festgefroren schien".

Selbst die Staatsregierung nannte die Oberpfalz, auch Steinpfalz genannt, noch in den 50er-Jahren ein Notstandsgebiet. Bis dann schlagartig eine Dynamik einsetzte, die den Landstrich zwischen Regensburg und Tirschenreuth tüchtig auffrischte. Es ging aufwärts, wirtschaftlich, kulturell und nicht zuletzt in der Architektur, obwohl beim Bauen auch Irrwege beschritten wurden. Modernisierung hieß damals: Baudenkmäler müssen abgerissen werden. Der Architekturkritiker Peter M. Bode bezeichnete diesen Raubbau 1976 als "Harakiri auf dem Lande".

Trotz allem sollte die dortige Baukultur eine wegweisende Entwicklung nehmen. Wie ein Fanal wirkte im Frühjahr 2000 eine in Neumarkt gezeigte Ausstellung über Architektur in der Oberpfalz, an der auch der Neumarkter Architekt Johannes Berschneider beteiligt war. Seine Kunst, die moderne Elemente und regionale Tradition zusammenband, sollte in den folgenden Jahren stilprägend für die Oberpfalz werden und Maßstäbe für neues Bauen setzen. Berschneiders Entwürfe setzten einen scharfen Kontrast zu jenem stilistischen Wildwuchs, der viele Wohn- und Gewerbesiedlungen mehr verschandelt als auszeichnet. Zusammen mit seiner Frau Gudrun hat Berschneider vom Städtebau bis zum Innenausbau mehr als tausend Projekte entworfen, geprägt von einem Stil, dem der Architekt Mauritz Lüps das Etikett "regionale Weltläufigkeit" verpasste. "Er verkörpert eine neue Zeit, ohne dass die heimischen Wurzeln geleugnet werden", sagt der Architekturkritiker Stock.

Er hat zusammen mit dem Journalisten Till Briegleb an einer soeben erschienenen Werkmonografie mitgearbeitet, die den Berschneider-Kosmos opulent dokumentiert. Das in ockergelbes Leinen gehüllte und mehr als zwei Kilogramm schwere Buch präsentiert die bekanntesten Objekte von Berschneider+Berschneider, dazu Liebhaberprojekte. Wilhelm Koch, der das Buch konzipierte und grafisch gestaltete, beschwört die Bedeutung dieser Architektur gerade in Zeiten, in denen sich jeder seine italienische Villa baue oder sich einzäune wie in einer Käfighaltung. Das Buch zeige nur die Spitze des Universums Berschneider, sagt Koch.

Beim Hineinblättern stechen gleich sechs doppelseitige Fotos von Oberpfälzer Landschaften heraus. Sie machen deutlich, wie sehr das Architektenpaar aus seiner Heimat schöpft. "Ich bin begeistert, wie Johannes Berschneider den Heimatgedanken umsetzt", sagte Finanzminister Albert Füracker vor Kurzem bei der Präsentation der Monografie. Stock hebt hervor, die beiden hätten beispielhaft gezeigt, wie man durch Einsatz und beharrlichen Dialog eine ganze Region baukulturell nach vorn bringen könne. Stadt und Landkreis Neumarkt seien förmlich durchwoben von den Gebäuden, welche die Berschneiders neu errichtet oder saniert haben. Das Werkverzeichnis breitet die ganze Vielfalt des Berschneider-Opus aus. Zu ihm gehört auszugsweise: der Umbau einer Fahrradfabrik zum Museum für historische Maybach-Fahrzeuge, das Willibald-Gluck-Gymnasium, der Neubau des Lothar-Fischer-Museums.

Diese Neumarkter Projekte zählen zu den wichtigsten Bausteinen eines Stadtumbaus, der dieses im Krieg fast gänzlich zerstörte Zentrum zu einem herausragenden Ort architektonischer Reformation gemacht hat. Es geht aber auch um die Umwandlung alter Dorfarchitektur in moderne Gastronomiekonzepte oder um den Tradition wahrenden Umbau eines Kapuzinerklosters zum Kulturzentrum. Die Neigung des Büros, das Schöne noch schöner zu machen, zeigt sich auch an einigen Stühlen am Hang, die einen Aussichtspunkt in ein "Landschaftskino" verwandeln.

Die Berschneiders schufen ihre Architektur aus der Mitte der regionalen Gesellschaft heraus. Sie haben bewiesen, dass aus dem Zusammenwirken von mutigen Architekten und kulturell motivierten Bauherren gute Architektur gelingen kann. Er kenne keinen anderen Architekten, der sich so für die Architektur einsetzte, sagt Stock. Dass das Werkverzeichnis im Maybach-Museum vorgestellt wurde, war eine gute Entscheidung, denn dort hat Johannes Berschneider jahrelang Tausende Zuhörer für die Architektur begeistert. Jetzt ist er unheilbar an ALS erkrankt.

Werkmonografie Berschneider+Berschneider, gestaltet vom Büro Wilhelm, Amberg, 448 Seiten, 55 Euro. Ausstellung in der Münchner Architekturgalerie bis zum 21. November. Eingang über die Architekturbuchhandlung Werner, Türkenstraße 30.

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SZ vom 14.11.2020/lfr
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