Süddeutsche Zeitung

Freilichtmuseum Glentleiten:"Sauberkeit ist immer relativ"

Von Seife und Spucknapf, Ärzten und Abtritt bis Trinkwasser und Teppichklopfer: Eine Ausstellung zeigt die Entwicklung der Hygiene auf dem Land.

Von Hans Kratzer, Glentleiten

Sauberkeit und Hygiene spielen heutzutage eine wichtigere Rolle denn je. Ungewaschen und müffelnd am Arbeitsplatz oder auf einem Fest zu erscheinen, fördert das Ansehen nicht unbedingt. Große Teile der Bevölkerung duschen, waschen und besprühen sich leidenschaftlich, und das mehrmals täglich, wenn es sein muss. Ist es heiß und stickig, unterbinden aber selbst solche Bemühungen körperliche Ausdünstungen nicht total. Immerhin wird das Wohlbefinden gestärkt, denn die Ansprüche sind so hoch wie noch nie. Die Höhe einer Zivilisation wird unerbittlich am Stand der Hygiene gemessen. Körper, Kleidung, Bett, Tisch und Boden sollen möglichst klinisch rein sein, die Nahrung soll keimfrei und unverdorben sein. Das führt dazu, dass ein schrumpeliger, gesunder Apfel aus dem Naturgarten weniger Ansehen genießt als eine gelackte Schönlingsfrucht aus dem Supermarkt.

Dabei weiß man längst, dass ein misslicher Zusammenhang besteht: In Haushalten, in denen alles picobello saubergehalten wird, ist die Gefahr, an Allergien zu erkranken, umso ausgeprägter. Kinder aus solchen Familien sind diesbezüglich viel gefährdeter als Kinder, die auf einem Bauernhof aufwachsen, mit allen möglichen Tieren und Stoffen in Berührung kommen und einen Abwehrschirm bilden. Die Dreckkruste auf der Haut bekommt dadurch zum Teil schon wieder eine positive Bewertung. Es ist wie so oft im Leben alles relativ. Beispielsweise verbreitete sich vom 17. Jahrhundert an die seltsame Vorstellung, dass durch Poren Wasser in den Körper eindringen und dort Krankheiten verursachen könne. Schon zu Pestzeiten kam die These auf, verstopfte Poren hielten die Körpersäfte im Gleichgewicht und schützten den Körper vor langsam eindringenden Krankheiten.

So kam es, dass in der Frühen Neuzeit Könige und Fürsten das Wasser mieden und nicht weniger stanken als ihre leibeigenen Bauern. Die englische Monarchin Elisabeth I. (1533-1603) soll sich immerhin einmal im Monat gewaschen haben, "ob ich es nötig habe oder nicht", wie sie fand. Ihr Nachfolger James I. benetzte nur seine Finger, denn es hieß: Man wäscht nur, was man außerhalb der Kleidung sieht.

"Was sauber ist, wird sozial vereinbart, ist geschichtlich wandelbar und individuell geprägt"

Die ins Philosophische hineinlappenden Fragen des Sauberkeitskults und der Hygiene sind zurzeit Thema einer Ausstellung im Freilichtmuseum Glentleiten. Im Fokus steht die Frage: Was ist eigentlich "sauber"? Im Mittelpunkt der Schau stehen die seit dem 19. Jahrhundert angestoßenen Verbesserungen rund um Wasserversorgung, Körperpflege, Lebensmittelsicherheit und medizinische Versorgung auf dem Land. Dazu gibt es eine Fülle historischer Fotografien zu sehen. Neben Einzelobjekten ist zum Beispiel ein voll eingerichteter Frisörsalon aus den 1950er-Jahren ein Glanzpunkt der Schau.

Gezeigt werden sowohl Dinge, die der Sauberkeit bedürfen, als auch Werkzeuge und Geräte, die für die Sauberkeit von Menschen, Tieren und Dingen nötig waren. Manche Utensilien der Hygiene sind zweckmäßig bis zur Gegenwart, etwa Bürsten und Besen, Seife und Rasierapparat. Manches findet sich oft nur noch im Museum, etwa Teppichklopfer, Waschbrett und Spucknapf. Apropos Teppichklopfer: Mit seiner Hilfe wurde nicht nur der Staub bekämpft. Landete er auf Kindergesäßen, diente er eher der sittlichen Reinlichkeit.

Im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter des rapiden Wachstums der Städte und der Ökonomisierung der Landwirtschaft, wurde die Hygiene ein Topthema. Für jeden Bürger sollten nun sauberes Trinkwasser, Ärzte und Bildung verfügbar sein. Dann wurden Werkzeuge wie Besen und Bürste, Mittel wie Seife und Sand, Einrichtungen wie eine befestigte Miststatt am Bauernhof und die Kanalisation in der Stadt erfunden und erprobt. Es war ein mühsamer Prozess, waren doch bis weit nach dem Krieg auf vielen Bauernhöfen noch Federvieh, Wäsche und Abtritt unter einem gemeinsamen Dach vereint. Die Menschen teilten also ihr Leben mit Nutzvieh, Vögeln und Nagern und hatten große Mühe, ihre Vorräte vor dem Verderben zu bewahren.

Der Handel förderte das Streben nach Sauberkeit. Bürstenhändler und Hausierer zogen mit ihrer Ware übers Land. Wie sich das Wäschewaschen gewandelt hat, zeigen Utensilien wie Waschbretter, eine handgetriebene Bottichwaschmaschine und nicht zuletzt die legendäre AEG Lavamat-Waschmaschine Nova Regina von 1965.

Dennoch: "Was sauber ist, wird sozial vereinbart, ist geschichtlich wandelbar und individuell geprägt", sagt der Volkskundler Martin Ortmeier. Zigarettenrauch war einmal Teil der Wirtshauskultur, heute ist er dort undenkbar. Sind die schwarz verharzten Hände eines Holzhauers schmutziger als die gefeilten und gebürsteten Nägel des Aktienhändlers? Und was ist mit der Rotznase eines geliebten Kindes? "Gewiss", sagt Ortmeier. "Sauberkeit ist immer relativ."

Es sind viele sehr unterschiedliche Aspekte, die das Thema "Sauberkeit" prägen. Die Entwicklung der medizinischen Versorgung auf dem Land durch Landapotheken und Hebammen gehört ebenso dazu wie das Putzen und Waschen. Jahrhundertelang wurde schmutzige Wäsche öffentlich gereinigt, am Bach, am Fluss oder an eingefassten Waschplätzen. Auch die Entwicklung der Pflege des menschlichen Körpers wird in den Blick genommen, etwa der Besuch öffentlicher Badehäuser im Mittelalter und am Beginn der Neuzeit. Mancher erinnert sich auch noch an den Gang zum Bader, der die Zähne riss, die Haare schnitt und Blutegel setzte.

Nicht zuletzt werden die im 19. Jahrhundert langsam einsetzenden Verbesserungen rund um Stall und Tierhygiene thematisiert. Dabei geht nicht zuletzt um die Verlegung des vor der Haustür platzierten Misthaufens bis zur Fußpflege beim Vieh.

Sauberkeit zu jeder Zeit! Hygiene auf dem Land. Bis 28. November, Freilichtmuseum Glentleiten, 82439 Großweil, Tel. 08851/185-0.

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Quelle:
SZ vom 27.09.2021/kafe
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