Süddeutsche Zeitung

Oberammergau:"Es ist die größte Geschichte aller Zeiten"

  • Spielleiter Christian Stückl schreibt den Text für die Passion in Oberammergau alle zehn Jahre neu.
  • Er schreibt sie um und modernisiert sie so, dass sie neue Perspektiven auf die bekannte biblische Geschichte vom Leben und Sterben Jesu zulässt.
  • Von der Kirche hat er nun für sein Skript den Segen erbeten.

Von Alena Specht, Oberammergau

Die gute Nachricht gleich vorweg: Beschwert hat sich niemand über den Text. Passionsspielleiter Christian Stückl kann weiterarbeiten. Die Geschichte, die er da 2020 wieder inszeniert, ist zwar die gleiche wie bei der Uraufführung der Passionsspiele vor 385 Jahren. Die Textvorlage aber, die bearbeitet Stückl neu. Er schreibt sie um und modernisiert sie so, dass sie neue Perspektiven auf die bekannte biblische Geschichte vom Leben und Sterben Jesu zulässt. Monatelang schon schreibt er an dem Text herum. Am Dienstag nun hat er den ersten Entwurf für die Passionsspiele 2020 im Erzbischöfliches Palais in München Kardinal Reinhard Marx und dem evangelischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm präsentiert, anschließend ließ er ihn von den Kirchenvertretern segnen.

Über das Schreiben sagt Stückl: "Es ist ein Prozess." Noch ist der neue Text nicht fertig. "Die Textgeschichte ist keine einfache in Oberammergau", sagt der Spielleiter, immer wieder gab es berechtigte Vorwürfe, der Text sei antisemitisch. Stückl versucht seit seiner ersten Passion 1990, diese Antisemitismen auszumerzen. Inhaltlich ist ihm außerdem wichtig, "die Erzählung nicht auf das Leiden und Sterben zu reduzieren", sondern die ganze Lebensgeschichte Jesu zu spielen. Christus' Umgang mit Menschen in Not solle im Vordergrund stehen. "Die Leidensgeschichte ist dann erst der zweite Teil." Von der ersten Aufführung 1634 bis zum Jahr 1850 lag "jeder Text in den Händen der katholischen Kirche", danach gab es bis 1980 mehr als 100 Jahre keine Textänderung.

Zum ersten Mal baten diesmal die katholische und die evangelische Kirche gemeinsam um den Segen für die Passion. Bedford-Strohm betont, man könne gar nicht dankbar genug sein, für "die starke Botschaft, die dem zugrunde liegt". Man müsse zwar auf das Alte schauen, aber dennoch "die Geschichte auf eine Art zeigen, die in unsere Zeit passt". Nur so könne sie den Menschen nahe gebracht werden und sie berühren. "Es ist die größte Geschichte aller Zeiten", sagt Kardinal Marx. Sie seien zusammengekommen, damit "die 2020er-Passion viele Menschen bewegt und in Erinnerung bleibt".

In den Oberammergauer Werkstätten werde derweil an der Bühne gearbeitet, sagt der Spielleiter. Säulen werden rausgergerissen und ersetzt, die Kreuze für die beiden Jesus-Darsteller Rochus Rückl und Frederik Mayet müssen angepasst werden, 2500 Kostüme geschneidert werden. Anfang Dezember beginnen die Proben, damit zur Premiere am 16. Mai 2020 "hoffentlich alles fertig ist", sagt Stückl. 2400 Menschen, also fast die Hälfte der Einwohner von Oberammergau, sind vor und hinter der Bühne an der gigantischen Produktion beteiligt. "Jeder, der sich meldet, muss eingesetzt werden", sagt Stückl, das verlangt das sogenannte Spielrecht. Das stellt ihn immer wieder vor Herausforderungen, so stehen teilweise mehr als 1000 Schauspieler auf der Bühne. "Eine Szene mit so vielen Menschen entwickelt auch eine gewisse Wucht", sagt Stückl.

Vor der Fertigstellung des Textes steht Stückl noch vor einem weiteren Problem: "Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass wir Jesus' Worte nicht erfinden", sagt er. Allerdings: "Manche Jesusworte wirken auf der Bühne ganz komisch. Es muss gelingen, ihn als wahren Menschen und wahren Gott darzustellen" - so heißt es in der Bibel. Schließlich "war er kein Gott auf Erden. Er hat genauso gefeiert, getanzt, gelacht wie alle Menschen", sagt Marx. Auch Landesbischof Bedford-Strohm betont: "Er geht in die Welt zu allen, die Hilfe und Unterstützung brauchen - auch politisch", und stehe damit an der Seite der Folteropfer von heute. "Es gibt keinen katholischen, keinen evangelischen und keinen orthodoxen Christus. Es gibt nur den einen Christus."

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SZ vom 06.11.2019/vewo
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