Oberammergau:Sogar das Museum trägt Passionsgewänder

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Kunstinstallation an der Fassade des Oberammergau Museums. Die stoffliche Ummantelung ist gefertigt aus den Volksgewändern der Passionsspiele 2000 und 2010. (Foto: Sebastian Beck)

Blutstropfen aus Lindenholz, Stoffwände und ein ganz besonderer roter Faden: Eine Ausstellung in Oberammergau verwendet alte Materialien aus den Passionsspielen und lässt Bekanntes ungewohnt und neu erscheinen.

Von Christiane Lutz, Oberammergau

Dort, wo normalerweise das Haus steht, das viele Oberammergauer für das schönste im Ort halten, steht seit einiger Zeit ein blauer Klotz. Die rau anmutende Oberflächenstruktur wechselt in hellen bis dunklen Blautönen ab, beim näheren Hinschauen erkennt man: Das sind Stoffe, nein, es sind Gewänder.

Diese stoffliche Ummantelung des Oberammergau Museums ist nicht das auffälligste Exponat der Ausstellung "(Im)Materiell - Stoff, Körper, Passion", die von 23. April bis 16. Oktober zu sehen ist. Und wo wir uns schon in Oberammergau befinden, ist auch klar, was für Gewänder das sind: Passionsgewänder natürlich, die das Volk bei den Spielen 2000 und 2010 getragen hat.

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Manche im Dorf, heißt es, fänden das Gewand-Gerüst ums Museum unmöglich. Das schönste Haus verhängt, versteckt, völlig grundlos, hier wird ja gar nichts renoviert. "Sichtbar machen durch verhüllen" nennt es Andrea Sorg, kuratorische Assistentin der Kuratorin Constanze Werner. Dass kritisiert wird, findet sie gar nicht schlecht, das bedeutet ja, dass die Menschen ihr Museum wieder wahrnehmen. Und darum geht es eigentlich bei der ganzen Ausstellung: Dinge spüren, wahrnehmen, die einem vielleicht sonst selbstverständlich erscheinen.

Das skurrilste Ausstellungsobjekt: ein roter Faden aus echten Haaren von Passionsspielern

Dass man diskutiert in Oberammergau ist sowieso normal, dem Ort, an dem gerade die allerletzten Vorbereitungen zu den weltberühmten Passionsspielen laufen, die seit 400 Jahren im Ort stattfinden und 2020 wegen der Pandemie verschoben werden mussten. Die Ausstellung flankiert die Passionsspiele, ohne, dass man die Spiele gesehen haben müsste, um sie zu verstehen. Wie der Titel suggeriert, beschäftigt sie sich zum einen mit Materialien, die aus der Produktion der Passionsspiele abgefallen sind, zum anderen mit immateriellen Werten, die ein menschliches Leben von der Geburt bis zum Tode begleiten. Eine etwas bemühte Klammer, die man beim genauen Hinschauen auch gar nicht bräuchte, um sich auf die Ausstellung einzulassen.

Vermummt in Stoffresten aus Passionsgewändern: Exponate wirken befremdlich und plötzlich anders. (Foto: Anton Brandl 850/Oberammergau Museum)

Diese umfasst dann das ganze kulturhistorische Museum, in dem normalerweise die Holzbildhauerei im Mittelpunkt steht und zieht sich durch die Räume. Die Künstler verfremden Objekte und Räume, verändern sie und lenken den Blick auf vermeintlich Bekanntes. Mehr Rauminstallation als Ausstellung, kleine und große Irritationen. Die blaue Stoffwand ums Haus setzt sich im Inneren fort, zieht sich durch alle drei Stockwerke des Museums, trennt Räume, man wechselt zwischen einem Drinnen und Draußen hin und her. Jeder Raum ist von einem anderen Künstler gestaltet, von Stefan Reitsam, Michaela Johanne Gräper, Heike Schäfer und Tobias Haseidl.

Und immer wieder geht es um das Sichtbarmachen durch Verstecken: Im Eingangsbereich etwa, wo die historische Kirchenkrippe Oberammergaus aus dem 18. Jahrhundert steht, ist alles wie gewohnt arrangiert, der Beginn des Lebens, man versteht schon. Nur in der Krippe selbst liegt kein Kindlein.

Im ersten Stock ist der erste Raum komplett mit Futterstoffen aus den Passionsgewändern überzogen, nur ein kleiner Chronos mit Stundenuhr und Sense, eine Skulptur aus Zirbelkiefer aus dem 18. Jahrhundert, ist für den Blick freigelegt. Der immaterielle Wert der Zeit, dargestellt durch eine Figur. Komplett eingewickelt und darin schön befremdlich sind die in Vitrinen ausgestellten Holzschnitzereien im Nebenraum, eine Armada in grau, eingewickelt in Stoffreste der Volksgewänder (Fun Fact: Aus konservatorischen Gründen wurden die Originalfiguren aus Hartschaum nachgeschnitzt und dann umwickelt). Durch dieses Wechselspiel entsteht zum einen ein Bewusstsein für die Materialien der Passionsspiele, zum anderen für die Ausstellungsobjekte, die sich unter ihnen verstecken.

Die Kostüme für die Passion entwirft Bühnen- und Kostümbildner Stefan Hageneier. Wenn er sie nicht mehr braucht, wandern sie zu ihrem rechtmäßigen Besitzer, der Gemeinde Oberammergau, zur weiteren Verwertung.

Am Ende steht die Erlösung: Unterm Dach begegnet der Besucher einer engelsgleichen Figur. (Foto: Anton Brandl 850)

Vor einem "Christus in der Rast" (in Fichte gefasst und lackiert, frühes 19. Jahrhundert, Hermann Bigelmayr) schweben im nächsten Raum dicke Blutstropfen aus Lindenholz, eine Erinnerung an das Leid, das, wie die Geburt und die Vergänglichkeit, zum menschlichen Leben gehört. Im Dachgeschoss dann die finale Station: Wieder ist der Raum mit Gewändern gekleidet, auf denen Projektionen idyllischer Aufnahmen aus dem Dorf und der Gegend abgespielt werden. In der Mitte des Raumes: eine Säule aus Schnüren, über die ein Engel zu huschen scheint. Und die, wenn man in sie hinein stiegt, zu schimmern und glitzern beginnt. Am Ende steht das Immaterielle, scheint das zu sagen, die Erlösung gewissermaßen.

Das mit Abstand skurrilste Ausstellungsobjekt aber ist der rote Faden, der vom Eingang aus den Besucher durch das ganze Haus führt, denn er ist gewunden aus echten Haaren. Wer sich mit der Passion beschäftigt, weiß, dass Haare darin eine nicht ganz unwichtige Rolle spielen. Schon eineinhalb Jahre vor Beginn der Spiele fangen die Spieler und Spielerinnen an, sich Haare wachsen zu lassen, die Männer hören auf, sich zu rasieren. Denn vermutlich haben Jesus und seine Gefährten auch lange Haare und Bärte getragen.

Ist das letzte Spiel dann vorbei, geht das große Schneiden los, dann ist Klaus Vogt zur Stelle. Alle in der Ausstellung verzwirbelten Haare sind beim Post-Passions-Haarschnitt gefallen und finden nun zu einer neuen künstlerischen Bestimmung. Das ist so schräg wie nachhaltig und ein bisschen verstörend. Nicht die schlechteste Mischung.

"(Im)Materiell - Stoff, Körper, Passion" , eine Gebäude- und Rauminstallation zur Passion 2022, Oberammergau Museum, von 23. April bis 16. Oktober

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