Schon hinter der ersten Tür warten Gegensätze, die keine sein müssen. Zentral im Eingangsbereich steht, Blickfang und ernst dreinschauend, das Alte: der Heilige Paulus, faltenreich im goldenen Umhang. Der Zahn der Zeit nagt an der Statue aus dem 19. Jahrhundert, trotzdem halten die Hände weiter fest Schwert und Bibel. Drumherum wartet das Neue: links die bodentiefen Fenster, die Aussicht auf den Parkplatz gewähren, rechts die helle Holztreppe, die sich zum ersten Stock hinauffaltet. Markus Albl klopft dem Paulus auf den Rücken, es klingt hohl. "Eigentlich", wird Albl später sagen, "fühlen wir uns wie ein jahrhundertealtes Start-up."
Tradition und Moderne zusammenführen: Das versuchen die Brüder Markus und Johannes Albl in Oberammergau. In 14. Generation fertigt ihre Familie sakrale Kunstwerke. Die Vorfahren sprachen das Pestgelübde von 1633 mit, das alle zehn Jahre in den berühmten Passionsspielen mündet. Doch die Kunden der Albls laufen meist nicht als Touristen durch den Ort. Die Brüder staffieren weltweit Kirchen aus - von der Heiligenfigur über den Priesterstuhl bis zum Hochaltar.
Das bekommt hierzulande freilich kaum jemand mit. Das hat mehrere Gründe, etwa fliehen in Bayern immer mehr Menschen aus den Kirchen. Aber auch die Brüder selbst erwecken den Eindruck, als flögen sie ganz gerne unter dem öffentlichen Radar. Wer sie braucht, weiß, wo er sie findet: am Rande von Oberammergau. Vor ein paar Jahren haben sie hier einen fast minimalistisch anmutenden Bau ins Gewerbegebiet gestellt. Unten befinden sich der Heilige Paulus und Werkräume, oben Büros und Küche, hinten ein Lager. Viel Holz, viel Licht. Dorfkern und Passionsspielhaus liegen auf der anderen Seite der Ammer. Dort führen die Albls auch ein Geschäft, im Schaufenster stehen Marien und hängen Heilande. Entscheidend aber ist, was draußen im Studio passiert.
Denn die Albl-Brüder verstehen sich weniger als Holzbildhauer wie ihr Vater und die Väter davor - dafür mehr als materialübergreifend arbeitende Sakralkünstler. Vorgezeichnet war das bei aller Familientradition nicht. Johannes Albl, 39 Jahre alt, arbeitete vorher als Unternehmensberater, Markus Albl, 38, war Grafikdesigner in einer Werbeagentur. Dass die beiden vor einigen Jahren dennoch beschlossen, es gemeinsam mit der Sakralkunst zu versuchen, liegt auch an einer Art Erweckungserlebnis. Als "bombastisch" beschreibt es Johannes Albl. Er lebte mal für ein halbes Jahr in Chicago, besuchte dort eine Kirche, für die sein Vater einen Corpus geschnitzt hatte. Der Pfarrer lud ihn zum Sonntagsgottesdienst ein - und stellte ihn vor versammelter Gemeinde als Sohn jenes Mannes vor, der ihren Christus gemacht habe. Begeisterung. Nach der Messe habe er unzählige Hände geschüttelt, erzählt Johannes Albl. Und er habe seinem Bruder eine E-Mail geschickt: Du, da ist vielleicht was.
Die Brüder beschlossen auch: Wenn sie die Tradition fortführen, müssen sie damit raus aus dem Dorf und rein in den internationalen Markt. Das klingt nach einem modernen Gedanken und ist doch ein alter. Bereits in der Barockzeit gab es in Oberammergau Verleger, die Aufträge für Sakralkunst vermittelten. Später kamen mehr und mehr Anfragen aus dem Ausland hinzu, auch dank der steigenden Popularität der Passionsspiele. So entstand in der Region ein Wirtschaftszweig voller Spezialisten, darunter zum Beispiel Spengler nur für Feldkreuze. Erst die Weltkriege machten den globalen Geschäften weitgehend ein Ende. Das Netzwerk aus kleineren und größeren Betrieben, die ab und an auf eigene Rechnung nach Übersee verkauften, bestand fort.
Dieses Verlegertum nehmen sich die Albls zum Vorbild. Vereinfacht könnte man sie sich daher als Kirchen-Vollausstatter vorstellen, die liturgisches Mobiliar ganz nach Wunsch designen. Manches wie etwa Holzkruzifixe stellen sie direkt bei Albl per Hand her. Für anderes wie Mosaike oder Metallarbeiten greifen sie auf Künstler und Handwerker im regionalen Netzwerk zurück. Für eine Kirche in Maryland haben die Oberammergauer unter anderem Altar, Kreuzwegstationen, Weihwasserkessel und Taufbecken entworfen, für eine Abtei in Wisconsin einen Abtstab gefertigt und für die Trinity Church an der New Yorker Wall Street den Orgelkasten restauriert. Aktuell liegt eine Anfrage aus Australien vor, für Bronzestatuen.
Wie vielfältig die Wünsche sind, zeigt auch ein Blick in die Werkräume. In einem arbeitet eine Meisterin gerade an einem Tabernakel für eine Universitätskirche. Hunderte Arbeitsstunden werden am Ende in dem Kasten stecken, seine Seiten sind schon mit Blattgold verziert. Nebenan meißelt Vater Josef Albl an einer Statue aus Lindenholz. Ein paar Schritte weiter findet sich ein Jesus ohne Arme, aber mit erkennbar leidvollem Gesichtsausdruck. An der Wand pinnen Skizzen. Die Designs gehen zuvor zwischen Voralpenland, Kunden, Architekten und liturgischen Beratern hin und her, damit am Ende alles zur Gesamtgestaltung der Kirche passt. Die steht häufig in den USA. Dort werde beinahe täglich eine katholische Kirche nach Neu- oder Umbau neu eingeweiht, sagt Markus Albl. Auch auf den Philippen werde rege gebaut, "unglaublich", jedenfalls für bayerische Katholiken. Schließlich ist Kirchenflucht nicht überall.
Lässt man die freien Kunsthandwerker im Netzwerk außen vor, arbeiten zehn Menschen festangestellt für die Firma, Vater und Brüder eingerechnet. Wenn es nach ihnen ginge, dürften es gerne ein paar mehr werden. Die Türen stünden offen, heißt es, für Holzbildhauer, Fassmaler und andere Interessierte. Die sind schwer zu finden. Einerseits herrscht allgemein Fachkräftemangel, andererseits ist Sakralkunst speziell. All die Bedeutungen und Gefühle, mit denen die Werke aufgeladen sein sollen, kann man so nicht an einer Schule lernen; vielmehr muss man schon selber einen Zugang finden. "Superspannend" nennt es Markus Albl, etwas für Menschen und ihre spirituellen Bedürfnisse zu erschaffen.
Wenn die Brüder sich und ihre Belegschaft durchzählen, wirken sie selber überrascht, dass sich als kleiner Betrieb weltweit operieren lässt. Doch ihnen kommt entgegen, dass sie in einer Nische unterwegs sind, die sich statistisch kaum fassen lässt. Die geschätzte Handvoll Konkurrenz-Studios verteilt sich ähnlich global wie das Geschäft, auf Spanien, Italien oder Kolumbien. Und dann ist da ja noch die moderne Technik. Dank E-Mails, Videokonferenzen und Co. lässt sich von überall aus dabei sein.
Eines der Büros ist deshalb zugleich Fotoatelier, eine Kollegin leuchtet hier die neusten Werke fürs Netz aus. Große Teile des Geschäfts laufen zwar laut Johannes Albl über "Mundpropaganda": Priester sind gut vernetzt, ein Auftrag führt häufig zum nächsten, auch das Herkunftssiegel Oberammergau zieht als Eintrittskarte in Kirchenkreise. Doch um gesehen zu werden, benötigt auch eine traditionsreiche Branche wie die Sakralkunst professionell geführte Websites und Social-Media-Kanäle. "Die Klaviatur", sagt Markus Albl, "musst du heute spielen." Altes und Neues müssen ja keine Gegensätze sein.