Eingemeindungen in Bayern:Halbmillionenmetropole über Nacht

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Wie Nürnberg zur Halbmillionenmetropole heranwuchs, zeigt eine Ausstellung im Rathaus und Stadtarchiv. (Foto: Clara Lipkowski)

Vor 50 Jahren wuchs Nürnberg durch die Gebietsreform schlagartig an und hatte seither: mehr Fläche, Menschen und Prestige. Eine Ausstellung darüber ist nun in der Stadt zu sehen.

Von Clara Lipkowski

Fischbach, das kann man getrost so sagen, war mal ziemlich rebellisch. Eingemeindung nach Nürnberg? Auf keinen Fall. "Hände weg von Fischbach" hieß ein Slogan, Anfang der Siebzigerjahre. Die Gebietsreform stand an, aber Fischbach wollte nicht mitmachen. Man sah sich gut ausgestattet mit Turnhalle, Schwimmbad, Rathaus und gefüllten Gemeindekassen, in der Eigenständigkeit lebte es sich komfortabel. Doch allem Widerstand zum Trotz, am Ende wurde das Schicksal besiegelt. Fischbach wurde eingegliedert, so war es politisch gewollt. Genau 50 Jahre ist das jetzt her.

Die Sorgen, die damals in der kleinen Gemeinde Fischbach südöstlich von Nürnberg umgingen: Verlust der Selbstverwaltung, der Eigenständigkeit, der Identität. Zu Amtsgängen in die große Stadt? Unbeliebt. Die Belange des Ortes könnten in der Großstadt untergehen, Gelder wegfallen, so die Befürchtung. Man war skeptisch. Auch darüber berichtet eine Ausstellung, die von diesem Freitag an im Rathaus und Stadtarchiv zu sehen ist.

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Nicht nur Fischbach hatte diese Sorgen. Es wurde mit Bürgerbündnissen mitunter erbittert gekämpft, als zum 1. Juli 1972 in Nürnberg der große Eingemeindungsschub anstand, auch weil das Ganze vielen zu schnell ging. Auch Worzeldorf im Süden widersetzte sich. Und Schwaig im Osten - mit Erfolg, der Ort ist bis heute eigenständig.

Wirtschaftlichen Aufschwung brachte der Zuwachs durch das Knoblauchsland

Für Nürnberg selbst war die Gemeindereform auch deshalb entscheidend, weil über Nacht die Stadtfläche um 28,6 Prozent auf 18 307 Hektar und die Stadtbevölkerung von 479 764 auf 513 464 Personen wuchs. Die magische Grenze zur Halbmillionenstadt, auch gerne Halbmillionenmetropole genannt, war überschritten. Das bedeutete einen Prestigegewinn. Außerdem kamen wirtschaftlich relevante Flächen hinzu, weite Teile des Knoblauchslands. Die ländliche Gegend ist ein riesiges, für Franken wichtiges Gemüse- und Obstanbaugebiet.

Die Gebietserweiterung war Teil einer großen Reform, die in der ganzen Republik seit den Sechzigern und in Bayern von 1969 bis 1978 angegangen wurde. Grundlage war ein Gesetz von 1966, kurz darauf erklärte CSU-Ministerpräsident Alfons Goppel die Reform zur innenpolitisch wichtigsten Aufgabe. Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Verwaltungsstruktur nicht mehr modernisiert worden, es wurde Zeit. Die bayerische Verwaltung sollte effizienter und professioneller arbeiten.

Originale, mit denen die Eingliederungen besiegelt wurden, liegen im Stadtarchiv aus. (Foto: Marta Beck/Stadtarchiv Nürnberg/Marta Beck)

Aber das hatte ganz praktische Folgen. Acht Gemeinden und zwei Ortsteile aus Nord, Ost und Süd zählten seitdem zu Nürnberg, sie mussten an die Kanalisation und Straßenreinigung angeschlossen, Straßen umbenannt werden, weil sich nun Namen doppelten. "Dorfstraße" oder "Hauptstraße" etwa. Adressen mussten geändert werden, was vor allem Gewerbetreibende in den Gemeinden ärgerte, erklärt Viola Wittmann vom Stadtarchiv Nürnberg. "Man muss sich vorstellen, dass das alles noch vor der Digitalisierung stattfand", damals habe man nicht schnell gegoogelt, wie die Adresse eines Unternehmens lautet. Es dauerte, bis sich eine neue Adresse rumsprach, man befürchtete Geschäftsschädigung, auch weil die Post für die Umsetzung viel länger brauchte als gedacht. Teils änderten sich Telefonvorwahlen, das ergab das gleiche Problem.

Doch einige Gemeinden sahen die Angliederung als Segen: Brunn etwa, eine Nürnberger Exklave, freute sich über eine Buslinie, die endlich kam. Und da war das Stimmrecht: Die Menschen aus den Gemeinden konnten nun den Stadtrat mitwählen, und es wurde über Listenplätze zumindest für die nächsten Jahre sichergestellt, dass ein jeweiliger Vertreter auch tatsächlich in dem Gremium saß. Auch das galt als Handausstrecken der Stadt, denn immerhin verlor mancher ehrenamtliche Ortsbürgermeister damals seinen Posten.

Manch Gemeindebürger hätte gern nachts um halb zwölf einen Bus nach Hause gehabt

Als eine Art Scharnier zwischen Stadtrat und Gemeinde halfen Ortsbeiräte, was den Dörflern signalisierte: Ihr werdet gehört. Der Archivmitarbeiterin Wittmann zufolge, die mit Zeitzeugen Interviews geführt hat, fingen die Beiräte teils skurrile Forderungen aus den Orten ab, etwa wenn sich jemand wünschte, es möge doch ein Bus auch noch nachts um halb zwölf rausfahren, wenn das Handballtraining des Sohnes aus ist.

Und es wurden bewusst Strukturen erhalten. In Nürnbergs ältestem Stadtteil Großgründlach (etwa 1000 Jahre alt) besteht bis heute ein Bürgeramt in einem historischen Gebäudeensemble. Es steht allen Nürnbergerinnen und Nürnbergern offen, teils bekommt man dort schneller einen Termin als in der Altstadt.

An Transparenten und Vitrinen mit historischen Fotos, über Hörstationen und per Begleitkatalog kann man sich in Nürnberg nun zu dem Thema informieren. Einzig zwischen dem 19. und 25. Juli ist die Ausstellung im Rathausfoyer nur eingeschränkt begehbar.

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