Germanisches Nationalmuseum:"Nach außen wirken wir durch Ausstellungen"

Großmann Germanisches Nationalmuseum

Am 1. Juli wird Ulrich Großmann in den Ruhestand eintreten. Aber ganz raus ist er noch nicht aus dem Museum. Bis 6. Januar ist dort die Sonderschau "Abenteuer Forschung" zu sehen. Kuratiert von Großmann.

(Foto: Germanisches Nationalmuseum)

Doch im Germanischen Nationalmuseum wird überdurchschnittlich viel geforscht. Nun verabschiedet sich Generaldirektor Ulrich Großmann nach 25 Jahren - in denen er viel erreicht hat.

Interview von Claudia Henzler und Olaf Przybilla

Nach 25 Jahren endet die Amtszeit des Generaldirektors Ulrich Großmann am Germanischen Nationalmuseum Nürnberg - dem größten kulturhistorischen Museum im deutschsprachigen Raum. Ein Gespräch mit dem Kunsthistoriker über die Weltmeisterschaft 2014, Albrecht Dürer und Markus Söder.

SZ: Herr Großmann, welche Erinnerungen haben Sie an die Fußball-WM 2014?

Ulrich Großmann: 2014? Gar keine. Gab's die? Erinnern kann ich mich an 2006. Aber nicht des Fußballs wegen - sondern wegen unserer Ausstellung "Was ist deutsch?"

Wir wollen aber an der WM 2014 festhalten. Deutschland wurde Weltmeister. Und exakt in jener Nacht ist auch im Nationalmuseum Aufregendes passiert.

Ach das! Ich bin nicht ganz davon überzeugt, dass das nur eine Tat unter Alkohol war, wovon das Gericht später - ich war ja im Prozess dabei - ausgegangen ist.

Ums kurz zu rekapitulieren: Zwei Theaterwissenschaftsstudenten im WM-Suff stiegen nachts ins Nationalmuseum ein. Sie kannten keines der Werke, beteuerten sie später. Nolde aber hätten sie schon mal gehört. Also beschlossen sie, angeblich spontan: Ein Bild von dem nehmen wir mit.

Wir hatten zwei Baustellen zu der Zeit, an der Außenfassade stand ein Baugerüst, das sind immer heikle Situationen. Außerdem waren manche Alarmsysteme partiell ausgeschaltet. Außer dass alle Alarmanlagen dann wieder eingeschaltet wurden, mussten wir nichts ändern. Der Rest hatte ja wunderbar funktioniert. Sobald die beiden die Dachklappe zum Museum geöffnet hatten, gingen ein stiller Alarm und die Überwachungskameras an. Deswegen sind die beiden nicht weit gekommen. Aber nochmals: Das war alles angeblich nur auf den Alkoholkonsum zurückzuführen? Der eine hatte 0,7 Promille, da durfte man früher noch Auto fahren.

Seit wann können Sie darüber lachen?

Ach, lachen kann ich darüber nicht.

Sie haben mehr als 1,3 Millionen Objekte. Gibt es drei Lieblingsstücke?

Für uns als kulturgeschichtliches Museum ist das Einzelobjekt nicht so zentral wie der Vergleich von Objekten. Aber ich würde die Madonna von Hans Burgkmair nennen, als Beispiel ganz früher Renaissance in Deutschland. Dann das Damenbild von Cranach, bei dem es sich eigentlich um Salome mit dem abgeschnittenen Haupt Johannes des Täufers handelt. Die untere Bildhälfte mit dem Kopf des Johannes hat aber jemand vor rund 200 Jahren abgesägt. Diese Salome hat Wilhelm Hauff gesehen, für das Porträt einer wundervollen Dame gehalten und daraufhin die Novelle "Die Bettlerin vom Pont des Arts" geschrieben. Unser Gemälde ist also Teil der deutschen Literaturgeschichte. Ein drittes Objekt wäre die Frankfurter Küche, die wir aus Privatbesitz erwerben konnten zu einem Zeitpunkt, als man diese so gut wie nicht mehr bekam. Häuser wie das Frankfurter Historische Museum haben praktisch keine komplette Küche. Noch dazu wurde in unserer Theodor W. Adorno der Kaffee gemacht.

Woher wissen Sie das?

Weil wir sie von seiner Schwiegertochter haben. Die Küche steht in einem Sammlungsbereich, in dem wir Bauhaus zeigen, klassische Kunst der Neuen Sachlichkeit und Expressionismus. Wir sind das Haus, das Kunst, Kunstgewerbe und Design in einem Raum zeigt. Bei uns stehen Plastikeierbecher der Siebzigerjahre neben farbintensiven Bildern aus derselben Zeit - da kann man Zusammenhänge entdecken. Das ist das Spannende an unseren Sammlungen.

Sie sind bei Alleinstellungsmerkmalen. Das Museum ist nicht nur ein großes Ausstellungshaus, sondern auch Forschungsinstitut. Werden Sie so anerkannt, wie Sie sich gerne präsentieren wollen?

Da muss man fragen: von wem? Wir haben einen Forschungsanteil von 71 Prozent. Das ist der höchste Forschungsanteil eines Museums mindestens in Deutschland, wahrscheinlich weit darüber hinaus.

Worauf bezieht sich diese Zahl?

Von unserem Gesamtetat, der von der Reinigungskraft bis zum Strom alles umfasst, werden 71 Prozent für Forschung aufgewendet. Wir machen keine Ausstellung ohne Forschung zu Kunst und Kultur. Das ist der wesentliche Ansatz des Hauses, dafür werden wir von Bund und Ländern bezahlt. Museen wissen das. Ob die Besucher das immer wissen, ist eine andere Frage. Nach außen wirken wir durch Ausstellungen. Die Forschung übersieht man da schnell. Doch sie steckt in allen Sonderschauen. In die Dürerausstellung haben wir neun Jahre Vorbereitung gesteckt.

Ausstellen, was erforscht wurde

Stichwort Dürerausstellung. 280 000 Besucher hatten Sie da. Ihr Höhepunkt?

Die Zahl war toll und auch wie Mitarbeiter damit umgegangen sind. Wir hatten einen Kollegen, der quengelnde Kinder dezent aus der Besucherschlange herausgezogen und ins Haus geschleust hat. Herausragend war unser Erfolg aber auch, weil die Ausstellung im Zusammenhang mit dem Weltkongress des Internationalen Kunsthistorikerverbands stattfand, erstmals seit 1892 in einem Museum. Der Höhepunkt in meiner Laufbahn.

Der Neue

Neben dem Personaleingang des Germanischen Nationalmuseums hängt ein Schild mit weißem Kreuz auf rotem Untergrund. Es weist das Museum als Sitz des Nürnberger Honorarkonsulats der Schweiz aus. Denn Daniel Hess, der neue Generaldirektor des Museums, 1963 in Richterswil im Kanton Zürich geboren, übt ein ehrenvolles Nebenamt aus und hält die Verbindung zu seiner Heimat, obwohl er seit mehr als drei Jahrzehnten in Deutschland lebt. Hess kam nach dem Studium in Zürich Ende der Achtzigerjahre als DAAD-Stipendiat nach Baden-Württemberg und promovierte an der Universität Stuttgart mit einer Dissertation über die Meister im "mittelalterlichen Hausbuch". Anschließend erforschte er am Corpus Vitrearum Medii Aevi in Freiburg im Breisgau mittelalterliche Glasmalerei, bis er 1998 als Leiter der Sammlungen "Gemälde bis 1800 und Glasmalerei" ans Germanische Nationalmuseum nach Nürnberg berufen wurde.

Der Neue ist also alles andere als ein Neuer. Er war an allen seit 2005 neu konzipierten Dauerausstellungen beteiligt und leitete die Neukonzeption der Abteilung "Renaissance - Barock - Aufklärung", die im März 2010 eröffnet wurde und in den Augen des Verwaltungsrats der Trägerstiftung als "wegweisend" gilt. Außerdem verantwortete Hess die enorm erfolgreiche Dürer-Sonderausstellung 2012.

Seit 2009 ist Hess erster Stellvertreter des Generaldirektors, zum 1. Juli wird er dessen Nachfolger. Gleichzeitig wird er einen neu geschaffenen "Lehrstuhl für Museumsforschung und Kulturgeschichte" am Institut für Kunstgeschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg leiten. Damit will das von Bund, Ländern und der Stadt Nürnberg geförderte Haus die Zusammenarbeit zwischen Uni und dem Leibniz-Forschungsmuseum verstärken. Künftig sollen dort auch Dissertationen betreut werden. henz

Herr Großmann, heute könnten Sie es ja sagen: Dass Dürers "Selbstbildnis im Pelzrock" in München bleiben musste, gegen Ihren Willen, anschließend die ganze landespolitische Aufregung darum - war das womöglich eine gezielte PR-Aktion?

Nein, es war so: Wir waren lange vor Beginn der Ausstellung in München beim Leiter der Staatsgemäldesammlungen und haben gesagt, was wir bräuchten. Es kam dann irgendwann eine ziemlich arrogante Antwort. Das Selbstbildnis brauchen Sie nicht! Entschuldigung: Wir machen ein Konzept, wir sind Forschungsmuseum - was wir brauchen, entscheiden schon wir. Ob wir es kriegen, ist natürlich eine andere Frage. Danach kam das Argument mit einem angeblichen Schaden. Ich habe gesagt: Bei uns im Beirat sitzt der Ministerpräsident, Günther Beckstein damals. Wenn es schon nicht geht, dann bitte mit ordentlicher Begründung. Die kam nicht.

Das ging dann nach hinten los.

Für uns war es aber irgendwann auch klasse: Wir waren im Fernsehen, überall. Wir haben vermutlich Hunderttausende an Werbemitteln gespart.

Aber es gab doch auf dem Zenit der Krise einen Termin in München, beim dem man sich geeinigt hat: nicht transportierbar.

Es gab einen minimalen Schaden, den man bei rechtzeitiger Vorbereitung vermutlich hätte beheben können. Schon zur Untersuchung in München musste das Bild aus dem Haus gebracht werden. Das hat ja funktioniert. Wir haben das Ganze dann auf sich beruhen lassen. Irgendwann hätte es allen geschadet, auch uns.

Gab's anderswo ähnlichen Ärger?

Im Gegenteil. In Paris hängt auch ein Selbstporträt. Der Louvre hat uns eingeladen, gemeinsam das Gemälde zu untersuchen. Aufgrund der Untersuchung haben wir die Leihanfrage dann zurückgezogen. Es war einfach nicht transportfähig. Dafür haben wir durch diese Untersuchung neue Erkenntnisse erlangt. So stelle ich mir einen kollegialen Umgang vor.

Sie haben gesagt, dass Sie nur ausstellen, was Sie erforscht haben. In manchen Abteilungen hat man einen anderen Eindruck. Da gibt es Räume mit vielen Klavieren oder medizinischem Gerät. Zum Abschied können Sie es doch sagen: Wären Sie manche Abteilung gern losgeworden?

Die erste Frage, die der Verwaltungsrat mir 1994 gestellt hat, war: Brauchen wir die Musikinstrumente überhaupt? Klare Antwort: Ja, für Kulturgeschichte brauchen wir alles. Aber die Musikinstrumentenausstellung ist auf dem Stand der Siebzigerjahre und benötigt unbedingt eine Erneuerung. Als ich anfing, habe ich gehofft, in zehn Jahren mit der Sanierung durchzusein. Jetzt weiß ich, es werden vierzig Jahre. Das ist einfach ein riesiger Bestand, den wir bei uns zeigen. Das Tiefdepot, das gerade gebaut wird, wird uns helfen, weil wir es als Zwischenlager benutzen können: Instrumente, Textilien, Kunst und Objekte aus dem 19. Jahrhundert und Volkskundliches werden ausgeräumt und später mit neuem Konzept wieder eingebracht. Das zeigen wir derzeit noch strikt nach Gattungen getrennt, das wird sich ändern. Ich denke, da wird meinem Nachfolger, Herrn Hess, ein gutes Konzept gelingen.

Wie sehr schmerzt es, dass das von Ihnen geplante Projekt - das Deutsche Burgenmuseum - nicht in Franken, sondern Thüringen entstanden ist während Ihrer Zeit?

Der damalige Finanzminister Faltlhauser hat sich vermutlich Dinge von seiner Verwaltung sagen lassen. Angeblich habe das reiche Bayern kein Geld für ein Burgenmuseum auf der fränkischen Cadolzburg. Ich habe es dann gelassen. Okay, wenn sie kein Museum wollen, dann geht es eben nicht. Ich habe aber in erreichbarer Nähe eine Alternative gesucht, immerhin hatte ich die Idee über Jahre entwickelt - dann eben in Thüringen, auf der Heldburg. Das war kurz vor der Landtagswahl in Bayern. Nicht gerade ein Erfolg für Minister Faltlhauser. Was ich ihm hoch anrechne: Er hatte dem Nationalmuseum gegenüber keine Rachegelüste, obwohl ich ihn vor die Wand habe laufen lassen. Um es klar zu sagen: Herr Söder hätte sich von der Verwaltung nicht sagen lassen, was geht und was nicht.

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