Süddeutsche Zeitung

Notbetreuung in Bayern:Oft ist die Kita-Gruppe fast vollzählig

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Kinder, deren Eltern arbeiten müssen, dürfen weiterhin in die Kita oder die Schule gehen - so hat es Ministerpräsident Söder versprochen. Und das Angebot wird genutzt.

Von Anna Günther, München/Nürnberg

"Die Notbetreuung ist grundsätzlich gut, gerade für Eltern wie uns. Wir müssen beide arbeiten, wir müssen die Kinder in die Notbetreuung schicken", sagt Uwe Kriebel. Der Nürnberger arbeitet in einer Förderstätte für Behinderte, seine Frau im Uniklinikum in der Strahlentherapie.

Obwohl Schulen und Kindertagesstätten in Bayern offiziell geschlossen sind, geht der Sohn, 2, in die Krippe und die Tochter, 8, in die Grundschule. Anders geht es nicht, sagt Kriebel. Seine Frau und er arbeiten in Berufen, die während des ersten Teil-Lockdowns im Frühjahr den Stempel "systemrelevant" hatten. Nur diese Berufe durften damals die Notbetreuung nutzen, Reduzierung der Kontakte war wichtiger.

Im Winter-Lockdown fällt diese Einschränkung weg. Notbetreuung für alle Kita- und Schulkinder bis zur sechsten Klasse sowie für Förderschüler und zwar für alle Eltern, die es brauchen. Das hatte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) Mitte Dezember verkündet. Die Kritik folgte prompt: Zu viele könnten die Notbetreuung nutzen, ohne Schranke könnten "Nothilfe"-Charakter und Reduzierung der Kontakte ad absurdum geführt werden, wenn doch wieder viele Kinder aufeinanderhocken.

Zwar appellierten Sozialministerin Carolina Trautner (CSU) und Schulminister Michael Piazolo (FW) eindringlich, dass nur jene Eltern die Notbetreuung nutzen sollen, die keine andere Möglichkeit haben. Zur Entlastung der Kitas und Schulen erlaubt die Staatsregierung zudem auch Betreuung durch Großeltern oder feste Familientandems, die sich abwechseln.

Wie sieht es nun nach gut einer Woche Betreuung im neuen Jahr aus? Wirken die Appelle? Erzieher berichten von fast vollzähligen Gruppen, Lehrer von vollen Klassen an Förderschulen. Auch Uwe Kriebel sagt, dass es in der Grundschule seiner Tochter zu Beginn der zweiten Woche Distanzunterricht nun schon drei Kindergruppen in der Notbetreuung gibt. In der vergangenen Woche waren es noch zwei, sortiert nach Kindern, die gemeinsam in Hort oder Mittagsbetreuung sind. In der Krippe des Sohnes seien deutlich weniger Kinder.

Die Zahlen sind kaum zu vergleichen

Der Blick auf die aktuellen Zahlen lässt vermuten, dass es sich bei diesen übervollen Gruppen eher um ein Ballungsraum-Phänomen handelt: Laut Sozialministerium haben in der vergangenen Woche bayernweit gut 21 Prozent der Kinder die Notbetreuung in Kitas und Hort besucht. 82 Prozent der 9800 bayerischen Kindertagesstätten hatten ihre Zahlen beim Ministerium gemeldet. Deutlich weniger Eltern nutzen die Notbetreuung an den Schulen. Laut Zahlen des Kultusministeriums vom Montag gingen 8,7 Prozent aller bayerischen Grundschüler in Notangebote, an den Förderschulen sind es 17,6 Prozent. Weit darunter liegen die weiterführenden Schulen mit 1,5 Prozent an den Mittel- und 0,5 Prozent an Realschulen sowie 0,4 Prozent an Gymnasien.

Allerdings sind diese Zahlen kaum zu vergleichen: Bezugsgröße ist die Gesamtschülerzahl jeder Schule, aber das Notangebot an den weiterführenden Schulen dürfen nur die Fünft- und Sechstklässler besuchen. Die Nachfrage ist laut Kultusministerium an Grund- und Förderschulen höher als im Frühjahr, bei weiterführenden Schulen vergleichbar.

Ein "systematisches" Stadt-Land-Gefälle will kein Ministerium erkennen. Höhere Nachfrage bei der Notbetreuung in "einigen kreisfreien Städten" registriert das Kultusministerium durchaus: In Coburg, Würzburg, München, Regensburg und Rosenheim gebe es mehr Bedarf als im Landesschnitt. Das Sozialministerium sieht Unterschiede zwischen Regierungsbezirken: In Oberbayern und Mittelfranken nutzten am Montag ein Fünftel der Kita- und Hortkinder die Notbetreuung, die anderen Bezirke liegen zwischen 15 und 13 Prozent deutlich darunter, den niedrigsten Anteil hat Niederbayern mit 12,9 Prozent.

Kita-Spitzenreiter am Montag waren der Kreis Erlangen-Höchstadt (32,9 Prozent), Fürth (31,8 Prozent) und München (29,7 Prozent). Ende der vergangenen Woche lagen Fürth mit fast 38 Prozent, der Landkreis Ebersberg mit 33,5 Prozent und der Landkreis Starnberg mit 32,7 Prozent an der Spitze. Kaum Bedarf meldeten am Montag Schweinfurt (3,9 Prozent), Ansbach (6,8 Prozent) und der Kreis Coburg (6,9 Prozent). In Ballungsräumen gebe es mehr systemkritische Infrastruktur, lautet ein Erklärversuch aus Trautners Haus.

Gerade für die Psyche der Kinder sei der soziale Kontakt wichtig

Entlastung der Notbetreuung in den Kitas erhofft sich Sozialministerin Trautner von der Ausweitung des Kinderkrankengeldes, das der Bundesrat am Montagnachmittag beschloss. Eltern von gesetzlich versicherten Kindern bekommen 2021 nun pro Kind und Elternteil 20 sogenannte Krankentage bezahlt. Bei Alleinerziehenden sind es 40. Krank muss das Kind dafür nicht sein, Corona-bedingt geschlossene Schulen, Kitas oder staatlich angeordnete Betriebsferien reichen. Dann bekommen Eltern 90 Prozent des Nettogehalts. Trautner begrüßte die "neue Klarheit" für Eltern, aber sagte wieder, dass die Notbetreuung das "letzte Mittel sein muss".

Derweil fordert die Elterninitiative "Familien in der Krise" die "sofortige Öffnung von Kitas und Grundschulen" mit einer eigenen Teststrategie. Weiterführende Schulen sollen "spätestens" vom 1. Februar an wieder den Wechsel aus Distanz- und Schulunterricht anbieten. Als Vorsitzender des Gesamtelternbeirats Kindertagesstätten der Stadt Nürnberg forderte auch Uwe Kriebel kürzlich in einem Brief an Söder ein Gesamtkonzept für die bayerischen Kitas, um die Öffnung im Februar sicherzustellen.

Gerade für die Psyche der Kinder sei sozialer Kontakt wichtig und der Notbetrieb bleibe an vielen Schulen reine Betreuung: Weil das Wlan im Schulhaus schwächelt, kann seine Tochter oft nicht am Distanzunterricht teilnehmen. Für Unterricht der Notgruppen fehlen Lehrer. "Dafür haben die Notbetreuungskinder Lehrer an ihrer Seite, die ihnen auch helfen können", sagt Kriebel. Keine Eltern, die daheim oft selbst mit Technik und Aufgaben ringen. Aber dass er wegen des Wlans mit der Tochter am Wochenende nacharbeiten muss, obwohl sie in der Schule ist, ärgert ihn. "Das hat die Politik verschlafen, dabei waren Monate Zeit."

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SZ vom 20.01.2021
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