Prozess in Amberg:Das tragische Ende einer Drückjagd

Nach tödlichem Schuss steht Jäger vor Gericht

Verteidiger Michael Haizmann und der Angeklagte im Verhandlungssaal. Er werde nie mehr auf die Jagd gehen, sagte der 46-Jährige.

(Foto: Armin Weigel/dpa)
  • Elf Jäger treiben im August 2018 Wildschweine aus einem Maisfeld in der Oberpfalz. Ein fehlgeleiteter Schuss trifft dabei ein Auto auf der nahen Bundesstraße 16 - der Beifahrer stirbt.
  • Knapp ein Jahr später steht der mutmaßliche Schütze vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann vor, für keinen ausreichenden Kugelfang entlang der Bundesstraße gesorgt zu haben.

Aus dem Gericht von Andreas Glas, Amberg

Es ist Dienstag, die Uhr in Saal VII des Amberger Landgerichts zeigt 8.30 Uhr. Der Staatsanwalt steht auf, verliest die Anklage. Drei Seiten, die das Unfassbare in nüchterne Sprache packen: Drückjagd, Kugelfang, Selbstladebüchse. Es gibt Lehrbücher, in denen man diese Jagdbegriffe nachschlagen kann. Aber kann es eine Erklärung geben für das, was am 12. August 2018 passiert ist?

Eine Wildschweinjagd, ein Jäger drückt ab. Er schießt mehrmals. Laut Anklage ist es 10.05 Uhr, vielleicht 10.10 Uhr, so genau kann das keiner mehr rekonstruieren. Ein Projektil rauscht in Richtung Bundesstraße, Höhe Nittenau, Oberpfalz. Es rauscht auf das Auto zu, in dem Harald Söldner sitzt. Die Fensterscheibe zerspringt, Söldner, 47, sackt auf dem Beifahrersitz zusammen. Lungendurchschuss, innere Blutungen. Er stirbt.

"Ich habe zuerst gedacht, jemand hat einen Stein geschmissen", sagt der Fahrer des Autos, der an diesem Dienstag als Zeuge im Gerichtssaal sitzt. "Wer denkt da an ein Geschoss. Das ist ja das Absurdeste, was eigentlich sein kann", sagt der Mann, der mit Harald Söldner befreundet war. Absurd. Unglaublich. Das sind so die Begriffe, die über diesem Fall schweben. Wie viele Zufälle müssen im Spiel sein, dass eine Gewehrkugel ein fahrendes Auto in genau diesem einen Moment an genau dieser einen Stelle trifft?

Zehn Männer und eine Frau hatten an der Jagd teilgenommen. Aber nur eine Person aus der Gruppe konnte die tödliche Kugel abgefeuert haben. Auch das macht diesen Fall so besonders. Dass hier ein Mann auf der Anklagebank sitzt, der erst im September erfuhr, dass er im August jemanden erschossen hat. Die Ermittler brauchten vier Wochen, um den Todesschützen zu identifizieren.

Jetzt sitzt er da, im Gerichtssaal: ein runder Mann, 46, in schwarz gekleidet. Gegenüber sitzen die Eltern des Toten. "Eine Verkettung von tragischen Umständen", sagt Michael Haizmann, der Anwalt des Angeklagten. Es fühle sich "wie Mord" an, sagte Michael Söldner der Lokalzeitung. Seine Frau sieht das genauso. "Es heißt jetzt: der arme Jäger", sagt Angela Söldner in einer Verhandlungspause, auf dem Flur des Gerichts. Dabei habe der Angeklagte "alles falsch gemacht" bei der Jagd. Er habe doch gewusst, "dass die Bundesstraße sehr befahren ist".

Was der Jäger wirklich falsch gemacht hat, das soll nun Richterin Roswitha Stöber klären. Die Anklage lautet auf fahrlässige Tötung. Der Prozess wirft auch ein Schlaglicht auf die sogenannte Drückjagd, die als schwierig gilt. Dem Schützen bleibt meist wenig Zeit, um Entscheidungen zu treffen. Weil er nie genau wissen kann, wohin die Tiere laufen, die seine Mitjäger und deren Hunde aus Büschen oder Feldern scheuchen. Bei Drückjagden habe er immer "ein ungutes Gefühl", das gibt auch der Angeklagte zu. Viele Beteiligte, viel Bewegung, das mache "ein höheres Risiko", sagt der 46-Jährige.

Die Jagd in Nittenau fand rund um ein Maisfeld statt, das an die Bundesstraße 16 grenzt. Wäre es nach ihm gegangen, "wäre diese Drückjagd nie zustande gekommen", sagt der Angeklagte. Doch der Pächter des Maisfeldes habe "enormen Druck" ausgeübt, weil der Wildschaden am Mais schon sehr groß gewesen sei. Irgendwann habe er nachgegeben und angefangen, die Drückjagd zu organisieren. An jenem Sonntag, an dem die Jagd stattfand, habe er ursprünglich "mit meiner Frau zum Flohmarkt" gehen wollen, sagt der Angeklagte. Er atmet jetzt tief durch. "Das hätte ich stattdessen lieber machen sollen."

Angeklagter war für Sicherheit der Jagd verantwortlich

Als Jagdleiter war der Angeklagte selbst für Sicherheit und Ablauf der Wildschweinjagd verantwortlich. Das Risiko war dem 46-Jährigen offensichtlich bewusst. "Keiner schießt auf die B16", soll der Angeklagte noch zur Jagdgruppe gesagt haben. Und: "Keine Sau ist es wert, dass ein Menschenleben gefährdet wird." So erzählt es ein Mitjäger der Richterin. Einer nach dem anderen tritt am Dienstag als Zeuge auf. Einer nach dem anderen bestätigt, dass der Angeklagte die Gruppe ordentlich über die Risiken der Jagd aufgeklärt habe. Es gibt aber auch ein paar Männer, die ihre Aussage verweigern.

Schon sein Vater sei Jäger gewesen, sagt der Angeklagte. Er sei "mit der Jagd aufgewachsen", in die Jagd "reingewachsen", den Jagdschein habe er vor 24 Jahren gemacht. Dagegen klingt die Anklageschrift, als sei hier ein Anfänger am Werk gewesen. Zwischen Maisfeld und Bundesstraße habe sich "kein ausreichender Kugelfang" befunden, sagt der Staatsanwalt, dem Angeklagten hätte dies "bekannt sein müssen". Ein Jäger habe "die Pflicht, dass ein Schuss erst abgegeben werden darf, wenn sich der Schütze vergewissert hat, dass niemand gefährdet wird".

Der Angeklagte erzählt, wie er am 12. August 2018 in Position geht. Auf einer Kanzel, die auf seinem Traktor montiert ist. "Je höher man steht, desto besser die Kugelfangwirkung", sagt er. Als "Kugelfang" gilt laut Deutschem Jagdverband nur der "gewachsene Boden". Doch die Kugel, die Harald Söldner traf, flog über die Böschung zwischen Maisfeld und höher liegender Straße. Drei Wildschweine hat der Angeklagte bei der Drückjagd geschossen. Beim ersten Tier ging alles gut, beim zweiten auch, beim Schuss auf das dritte Tier soll der Jäger laut Anklage das Auto getroffen haben. Wie das geschehen konnte? Dafür scheint der Angeklagte keine Erklärung zu haben. Er sagt, er habe zweimal geschossen. Der erste Schuss sei "ein Treffer" gewesen, beim zweiten Schuss habe es nur "gestaubt".

Dann dreht der Angeklagte seinen Kopf zu Harald Söldners Eltern. Sein Kinn zittert, seine Stimme bricht. Er sagt: "Es tut mir alles so unendlich leid." Keine Regung beim Vater, die Mutter schüttelt den Kopf. Er habe alle Waffen abgegeben, auch den Jagdschein, sagt der 46-Jährige. Und: "Es muss fürchterlich sein, sein Kind zu verlieren." Auf die Jagd werde er nie wieder gehen. "Auf keinen Fall." Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.

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