Kriminalität im Naturschutz:Wie Kamikaze-Tauben zu lebenden Giftködern werden

Lesezeit: 3 Min.

So sah die Kamikaze-Taube von Nittendorf aus. (Foto: Ferdinand Baer)

Die Initiative „Tatort Natur“ hat 2024 zwölf Fälle gezählt, in denen Großvögel wie Rotmilane oder Mäusebussarde Gift zum Opfer gefallen sind. Seit vielen Jahren kommt dabei ein verbotenes Insektizid zum Einsatz, das längst nicht nur für Tiere gefährlich ist.

Von Christian Sebald

Mitte November 2024 ist eine Spaziergängerin nahe einem Pferdehof in Nittendorf (Landkreis Regensburg) auf eine unberingte, braune Zuchttaube gestoßen. Der Vogel war flugunfähig und geschwächt. Die Frau brachte das Tier in die Vogelauffangstation des Landesbunds für Vogel- und Naturschutz (LBV) nach Regenstauf. Die Mitarbeiter dort stellten fest, dass der Taube die Flügel- und Schwanzfedern gestutzt worden waren, so dass sie nicht mehr fliegen konnte. Außerdem entdeckten sie, dass der Nacken des Tiers rosa gefärbt war. All das erschien ihnen so verdächtig, dass sie die Proben der Federn toxikologisch untersuchen ließen. Das Ergebnis: Die Zuchttaube war mit Carbofuran präpariert worden.  Das ist ein extrem giftiges Insektizid. Es ist verboten, weil es für Menschen und Tiere gleichermaßen gefährlich ist.

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„Der Vogel war eine sogenannte Kamikaze-Taube“, sagt Andreas von Lindeiner. Der Biologe ist oberster Artenschützer beim LBV, er leitet das Projekt „Tatort Natur“, in dem der LBV und die Gregor-Louisoder-Umweltstiftung (GLUS) seit inzwischen sechs Jahren Anschläge auf Vögel und andere Wildtiere in Bayern dokumentieren, und kennt sich aus mit allen Spielarten der Naturschutzkriminalität im Freistaat.  „Kamikaze-Tauben sind lebende Giftköder“, sagt Lindeiner. „Sie werden dazu eingesetzt, um Greifvögel von einer Taubenzucht fernzuhalten.“

Die Täter, die laut Lindeiner zumeist aus Vogelzüchterkreisen stammen, verwenden züchterisch uninteressante Tauben dafür.  „Sie streichen die Tiere am Rücken mit Gift ein. Dann lassen sie die Tauben an einem Ort frei, wo sie damit rechnen können, dass sie von einem Greifvogel entdeckt werden.“ Wenn der dann die Kamikaze-Taube schlägt und von dem Kadaver frisst, holt er sich eine tödliche Vergiftung.

Die Kamikaze-Taube von Nittendorf ist die spektakulärste Naturschutz-Straftat, die LBV und GLUS 2024 bayernweit dokumentiert haben. Sie ist aber längst nicht die einzige. Insgesamt haben die Organisationen 50 Kadaver von Großvögeln erfasst, bei denen der Verdacht auf illegale Tötung bestand. Die Fälle sind nach Lindeiners Überzeugung nur die Spitze des Eisbergs. „Zwar können wir die Dunkelziffer nicht annähernd abschätzen“, sagt der Biologe. „Aber wir sind uns sehr sicher, dass sie ein Vielfaches beträgt. Die allermeisten Straftaten bleiben unentdeckt.“

Dabei haben Polizei und Staatsanwaltschaften ihre Ermittlungen seit einigen Jahren deutlich verstärkt. Außerdem kann das Milieu, in dem die illegalen Nachstellungen begangen werden, ziemlich genau eingegrenzt werden. „Es handelt sich um Hühner-  oder Taubenhalter, die ihre Geflügelbestände vor Greifvögeln schützen wollen“, sagt Lindeiner.   „Oder um einzelne Jäger, denen es um die Hasen, Rebhühner oder anderes Niederwild in ihrem Revier geht.“ In der Regel gibt es denn auch immer wieder Verdächtige. Aber letztlich konnte noch keiner überführt werden. Die Beweiskette war stets zu dünn. So auch 2024.

In Neustadt an der Aisch ist 2024 ein Weißstorch an Ibuprofen eingegangen. „Wir haben überhaupt keine Ahnung wie er an das Schmerzmittel gekommen ist“, sagt der Biologe Andreas von Lindeiner. (Foto: Tatort Natur/LBV)

In den allermeisten Fällen setzen die Täter Gift ein. 2024 dokumentierten LBV und GLUS nur einen Fall mit einer Schusswaffe. Mitten in München legte ein Unbekannter mit einer Armbrust auf eine Krähe an. Wegen des regelmäßigen Gifteinsatzes veranlassen LBV und GLUS  bei verdächtigen Kadaver-Funden nicht nur Obduktionen, sondern außerdem toxikologische Untersuchungen. Sie ergaben für 2024, dass zwölf Großvögel tatsächlich Opfer von Vergiftungen geworden waren.  Darunter beispielsweise zwei Rotmilane und ein Mäusebussard im Landkreis Erlangen-Höchstadt und ein weiterer Mäusebussard im Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm.

Das seit vielen Jahren verbotene Insektizid Carbofuran kommt nach Lindeiners Erfahrung bei den Straftaten besonders häufig zum Einsatz. „Dabei ist es extrem gefährlich“, sagt Lindeiner. „Besonders für Kinder und Haustiere.“ Carbofuran könne schon durch bloßen Hautkontakt schwere gesundheitliche Schäden auslösen. Deshalb zeigen LBV und GLUS die Vergiftungsfälle, die ihnen bekannt werden, nicht nur bei der Polizei an. Sondern setzen oft außerdem Belohnungen für Hinweise auf die Täter ein.

Auffällig war 2024 außerdem die hohe Anzahl sogenannter sekundärer oder fahrlässiger Vergiftungen. Dabei sind die Großvögel nicht direkt Ziel einer Giftattacke, sondern gleichsam Kollateralopfer eines unachtsamen Umgangs mit den Stoffen. „In Neustadt an der Aisch ist vergangenes Jahr ein Weißstorch an dem Schmerzmittel Ibuprofen eingegangen“, berichtet Lindeiner. „Das hatten wir noch nie. Wir haben überhaupt keine Ahnung, wie er an das Medikament gekommen ist. Womöglich hat da jemand einfach Arzneimittel in der freien Natur entsorgt.“ Ibuprofen verursacht bei Vögeln tödliche Nierenschäden und Blutungen.

Ein Rotmilan, der Opfer einer Vergiftung geworden ist. (Foto: Tatort Natur/LBV)

Auch die Fälle eines Rotmilan-Kadavers aus dem Oberallgäu und eines toten Habichts, der bei Ansbach entdeckt wurde, haben Lindeiner aufgeschreckt. In den Greifvögeln wurde Pentobarbital nachgewiesen. „Das ist ein Arzneistoff, der in der Tiermedizin zum Einschläfern von Haustieren verwendet wird“, sagt Lindeiner. „Werden solche Haustiere widerrechtlich in freier Natur beigesetzt, graben Aasfresser die Kadaver oft wieder aus. Wenn sie dann davon fressen, sterben sie an dem Gift, das noch in den Tierkörpern ist.“

Rattengifte wie Brodifacoum sind laut Lindeiner ebenfalls immer öfter ein Problem für die Vogelwelt. Denn Ratten, die das Gift fressen, sterben erst nach mehreren Tagen. In dieser Zeit können sie aber Beute von Greifvögeln werden, die sich dann an den Tieren vergiften und eingehen. „Dieser Mechanismus ist letztes Jahr mindestens einem Rotmilan und einem Uhu zum Verhängnis geworden“, sagt Lindeiner. Die Fälle 2024 verteilten sich übrigens quer durch Bayern. Regionaler Spitzenreiter war nach Lindeiners Worten wie in den Vorjahren die Oberpfalz – insbesondere die Region Regensburg, wo die Spaziergängerin die verstümmelte Kamikaze-Taube entdeckt hat.

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