Süddeutsche Zeitung

Naturschutz:Spessart soll Bayerns drittes Biosphärenreservat werden

Sechs Jahre nach dem Nationalpark-Streit soll die größte zusammenhängende Laubwaldregion Deutschlands endlich besser geschützt werden. Warum es diesmal klappen könnte.

Von Christian Sebald

Wer gerne durch weite Laubwälder mit uralten Eichen und mächtigen Buchen streift, der ist in der Grenzregion zwischen Unterfranken und Hessen richtig. Dort erstreckt sich der Spessart. Das 2440 Quadratkilometer große Mittelgebirge, das viele von der Räuberklamotte "Das Wirtshaus im Spessart" kennen, ist die größte zusammenhängende Laubwaldregion Deutschlands. Zwei Drittel gehören zu Bayern, ein Drittel zu Hessen. Nun stehen die Chancen gut, dass auf bayerischer Seite ein Biosphärenreservat eingerichtet wird. Es wäre das dritte im Freistaat - nach dem Berchtesgadener Land und der Rhön. Eine Machbarkeitsstudie läuft bereits, ein Projektmanager ist eingestellt. Mit dem Plan kommt neuer Schwung in die Debatte über große Schutzgebiete in Bayern.

Das Biosphärenreservat Spessart ist ein Projekt der Landkreise Aschaffenburg, Main-Spessart und Miltenberg sowie der Stadt Aschaffenburg. Es fußt auf einer Idee des örtlichen Landesbunds für Vogelschutz (LBV). Die Lokalpolitiker sind ganz begeistert davon. "Das Biosphärenreservat ist eine große Chance für uns", sagt die Landrätin von Main-Spessart, Sabine Sitter (CSU). "Damit können wir Modellregion der nachhaltigen Entwicklung werden." Sitters Parteifreund, der Aschaffenburger Landrat Alexander Legler, spricht von einem "echten Gewinn und Mehrwert für die Menschen, unsere Region und die Natur und damit in Summe die Lebensqualität vor Ort". Auch der Miltenberger Landrat Jens Marco Scherf (Grüne) und der Aschaffenburger OB Jürgen Herzing (SPD) unterstützen das Vorhaben offen.

Die Pläne sind insofern überraschend, als dass sich große Teile der Bevölkerung, vor allem aber die Lokalpolitiker in der Region erst vor sechs Jahren strikt gegen mehr Naturschutz im Spessart ausgesprochen haben. Es war im Jahr 2016, als der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) die Idee für einen dritten Nationalpark in Bayern hatte. Unter Experten herrschte schnell Einigkeit, dass er im Spessart eingerichtet werden sollte. Denn es sind ja nicht nur die Weitläufigkeit der Wälder, die sanften Wiesentäler und die vielen stillen Ortschaften, die die Region zu etwas Besonderem machen. Sondern ihre Urwüchsigkeit und die einmalige Artenvielfalt. Hartwig Brönner und andere ehrenamtliche Experten vom LBV haben sie in jahrelanger Arbeit dokumentiert.

Das Naturschutzgebiet Rohrberg und das Naturwaldreservat Eichhall zum Beispiel, wo 400 Jahre alte Eichen und fast 200-jährige Buchen in den Himmel ragen. Dort lebt sogar eine kleine Mauersegler-Kolonie. Die Vögel sind extrem an das Leben in der Luft angepasst, außerhalb der Brutzeit halten sie sich praktisch nur am Himmel auf. Als vormalige Felsbrüter trifft man die Kulturfolger fast ausschließlich in Städten an. Die Kolonie am Rohrberg und in Eichhall ist eine der ganz wenigen in Deutschland in einem Wald. Die Mauersegler nützen hier verlassene Spechthöhlen in alten Eichen und Buchen als Nistplatz. Die beiden Waldstücke sind außerdem Heimat für schier zahllose weitere Tiere. Experten haben in ihnen allein 200 Käferarten nachgewiesen, darunter 80 vom Aussterben bedrohte wie den extrem seltenen Eremit. Auch der Grauspecht und die Bechsteinfledermaus sind hier daheim.

Der Spessart zählt unstrittig zu den ökologisch wertvollsten Laubwäldern in Deutschland. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) hat die Region schon vor Jahren in einem Ranking der Buchenwälder auf Platz sieben gelistet, noch vor dem Nationalpark Müritz in Mecklenburg-Vorpommern, in dem das Buchenwald-Weltnaturerbe Serrahn liegt. In Bayern ist laut BfN nur der Steigerwald noch wertvoller, der ebenfalls in Franken liegt. Doch die Leute im Spessart, vor allem die in den kleinen Dörfern, wollten keinen Nationalpark. Sie fürchteten vor allem um ihre Rechte an dem Brennholz aus den Wäldern. Der Widerstand war so wütend, dass Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder den Plänen eine Abfuhr erteilte, sowie er Seehofer in beiden Ämtern nachgefolgt war.

Nun also ein Biosphärenreservat. Der gewichtigste Grund des Sinneswandels dürfte sein, dass so ein Biosphärenreservat zwar auch den Naturschutz auf der Agenda hat, aber etwas grundsätzlich anderes ist als ein Nationalpark. In einem Nationalpark gilt der Grundsatz "Natur Natur sein lassen". Dort wird nicht einmal dann in die natürlichen Abläufe eingegriffen, wenn - wie im Nationalpark Bayerischer Wald - Schädlinge wie der Borkenkäfer Tausende Hektar Fichtenwald vernichten. Das ist der Grund, warum sich die Ortsansässigen entschieden gegen Nationalpark-Pläne in ihrer Region wehren. Denn sie sind zumeist über Generationen hinweg eng mit ihren Wäldern verbunden und wollen nicht, dass sie Schaden nehmen.

In einem Biosphärenreservat dagegen steht der Schutz einer über die Jahrhunderte hinweg von Menschenhand geschaffenen Kulturlandschaft im Mittelpunkt. So steht es in dem Programm "Man and Biosphere" der Unesco. Die Untergliederung der Vereinten Nationen ist zuständig für die Anerkennung von Biosphärenreservaten. Zwar kommt auch in diesen Schutzgebieten der Grundsatz "Natur Natur sein lassen" zu seinem Recht. Allerdings nur in besonderen Gebieten wie zum Beispiel am Rohrberg oder in Eichhall. Und insgesamt muss die sogenannte Kernzone, die auf etliche Flächen verteilt sein kann, nur drei Prozent des jeweiligen Biosphärenreservats ausmachen. In Nationalparks dagegen soll die Kernzone mindestens drei Viertel des Gebiets ausmachen.

Ansonsten wird in Biosphärenreservaten zwischen einer Pflege- und einer Entwicklungszone unterschieden. Vor allem letztere macht die Pläne aus Sicht der Spessarter Lokalpolitiker so interessant. Denn in ihr geht es um die nachhaltige Entwicklung der Region - und zwar auch in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht. "So einmalig die Natur und die Landschaft hier bei uns sind", sagt Landrätin Sitter. "Der Spessart hat mehr zu bieten. Wir sind wirtschaftlich und sozial eine sehr starke Region." Landrat Legler betont ebenfalls, dass es in einem Biosphärenreservat ausdrücklich um das "Miteinander von Mensch und Natur" geht.

Außerdem sind Landrätin Sitter und Legler - ebenso wie der Aschaffenburger OB Herzing - politisch unbelastet von dem vormaligen Nationalpark-Streit. Sie sind neu im Amt, sie sind erst bei der Kommunalwahl 2020 an die Spitze ihrer Landkreise und der Stadt Aschaffenburg gewählt worden. Scherf hingegen ist seit 2014 Landrat in Miltenberg und hat die scharfen Auseinandersetzungen hautnah erlebt. Der Grünen-Politiker hat freilich schon seinerzeit erkennen lassen, dass er alles befürwortet, was den Schutz des Spessarts voranbringt.

Die Lokalpolitiker wollen freilich unbedingt vermeiden, dass sich der vormalige Streit wiederholt. "Ein zentraler Fehler der Nationalpark-Pläne war ganz sicher, dass sie der hiesigen Bevölkerung von oben übergestülpt worden sind", sagt Sitter. "Die Idee für solche Projekte muss aus der Region kommen. Sie muss sich aus ihr heraus entwickeln." Deshalb haben die Landräte jetzt von Anfang an mit den Bauern, den Jägern und den Waldbesitzern gesprochen. Und mit den Bürgermeistern, all den anderen Lokalpolitikern und der Bevölkerung. Bei der Machbarkeitsstudie sind Bürgerforen und Informationsveranstaltungen regelrecht institutionalisiert worden. So sehr Sitter und Legler sich für ein Biosphärenreservat im Spessart begeistern, so sehr betonen sie, dass es "ein offener Prozess ist und man kein Ergebnis vorwegnehmen kann".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5649692
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/mz
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.