Süddeutsche Zeitung

Neuer Regierungsbezirk:Was an Söders Reformidee schwierig ist

Lesezeit: 6 min

Der bayerische Ministerpräsident will einen neuen Regierungsbezirk München schaffen. Ein solches Vorhaben wirft Fragen auf. Beantwortet sind die wenigsten.

Von Kassian Stroh, München

Zum 800. Geburtstag Münchens hatten einige Stadträte und Abgeordnete der CSU eine Idee: Die Landeshauptstadt müsse ein eigener Regierungsbezirk werden, eine "landesunmittelbare Stadt", losgelöst von Oberbayern. "Wir erwarten uns für München eine bessere Position, sowohl im Ansehen als auch in der Verwaltungspraxis", sagten sie damals. Nach ein paar Wochen Debatte verlief die Angelegenheit im Sande. Das war im Jahr 1958.

Fast auf den Tag genau 62 Jahre später ist sie wieder da, ins Spiel gebracht von Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Bis 2025 will er einen Regierungsbezirk München installieren, will damit die bald 200 Jahre alte Einteilung Bayerns in sieben Bezirke überarbeiten, ein "historischer Schritt", wie er selbst das nennt. Wie er das genau machen will, sagt er nicht, er weiß es wohl auch noch nicht. Klären soll das eine Kommission unter Federführung von Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Ihre Aufgabe ist schwer. Wer mit Politikern und Kennern der Verwaltung spricht, merkt schnell, dass Söders Plan viele Fragen aufwirft.

Was besser werden soll

Man müsse überlegen, ob die Verwaltungsstrukturen noch zeitgemäß seien, sagt Söder. Für München zuständig ist bislang die Regierung von Oberbayern, wie die anderen sechs Bezirksregierungen eine staatliche Mittel- und Querschnittsbehörde, in der nahezu alle Fachgebiete der übergeordneten Ministerien vertreten sind. Sie genehmigt Zuschüsse für Schulhäuser ebenso wie neue U-Bahn-Tunnel, sie hat die Rechtsaufsicht über die Kommunen inne und verteilt Lehrerstellen. Söders Idee ist: Eine eigene Bezirksregierung für München könne sich speziell um die spezifischen Probleme der Stadt kümmern und passgenaue Lösungen erarbeiten. Zumindest verwaltungstechnisch, denn an den politischen Entscheidungsstrukturen würde sich ja nichts ändern.

Auch Kritiker von Söders Vorstoß räumen ein, dass eine eigene Bezirksregierung sich mehr für München zuständig fühlen dürfte. Allerdings ist in der Debatte bislang kein Feld benannt worden, auf dem es in der bisherigen Struktur fundamentale Probleme zwischen Stadt und Bezirksregierung gäbe. Einziger Dauerstreitpunkt der vergangenen Jahre war die lange Dauer der Zulassung neuer Tram- und U-Bahn-Züge. Das aber lag an Fragen der Sicherheit, nicht daran, dass die Regierung für ganz Oberbayern zuständig ist. Denn das entsprechende Sachgebiet ist schon heute ein rein münchnerisches: Nirgendwo sonst in Oberbayern fahren Tram- oder U-Bahnen. Und in anderen Abteilungen, die sich tatsächlich auch um Eichstätt oder Berchtesgaden kümmern, sind oft schon jetzt manche Mitarbeiter nur für München zuständig. Wo läge da ein Zugewinn?

Dass ein eigener Regierungsbezirk "München als Metropole von Weltrang" stärkte, ist in guten Teilen sicher symbolisch gedacht von Söder, der als Ministerpräsident immer wieder eine "neue Partnerschaft von Stadt und Staat" verspricht. Das muss nichts Schlechtes sein, wenn denn die Vorteile einer Reform deren Nachteile mehr als aufwiegen.

Münchens Wachstum

Ein zentrales Argument Söders ist die Bevölkerungsentwicklung: Seit 180 Jahren, seit der Errichtung der Bezirke in ihrer heutigen Form, habe sich die Einwohnerzahl Bayerns verdreifacht, die Oberbayerns versechsfacht und die Münchens verelffacht. Gleichgewichtig sind die sieben Bezirke schon lange nicht mehr, die Regierung von Oberbayern ist mit Abstand die größte. Söders Schlussfolgerung: München braucht eine eigene. Man könnte aber auch zu einem anderen Schluss kommen: Warum nicht andere Bezirke zusammenlegen, Niederbayern und die Oberpfalz zum Beispiel, die auf 2,3 Millionen Einwohner kommen? Selbst die drei fränkischen Bezirke hätten zusammen weniger Einwohner als Oberbayern heute. Theoretisch ist diese Idee insofern, als sie zu äußern im von Regionalproporz geprägten Freistaat einem politischen Suizid gleichkäme.

Der Sinn einer Bezirksregierung

Vor elf Jahren wurde zuletzt ernsthaft debattiert, ob es die Bezirksregierungen überhaupt noch braucht. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) räumte ihnen damals in seiner ersten Regierungserklärung "eine der letzten" Bewährungschancen ein. Die - es ging um den Breitbandausbau - scheinen sie ebenso genutzt zu haben wie alle nachfolgenden, etwa 2015 die Herausforderung, binnen kürzester Zeit Zehntausende Flüchtlinge unterzubringen. Sie abzuschaffen und ihre Aufgaben nach oben an die Ministerien und nach unten an die Landratsämter und kreisfreien Städte zu übertragen, wurde seitdem nicht mehr ernsthaft gefordert. Auch Söder tut das nicht, wiewohl die Frage latent im Raum steht. Entsprechende Verwaltungsstrukturen haben in Deutschland nur Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hessen; diverse Länder haben sie abgeschafft.

Söders Vorgehen

Söder hat seine Idee vergangene Woche öffentlich gemacht, offenbar ohne konkrete Pläne für die Umsetzung in der Schublade zu haben. Geboren wurde sie im kleinsten Kreis, der CSU-Generalsekretär Markus Blume, selbst ein Münchner, war wohl einer derjenigen, mit denen Söder sich besprach. Oder auch Finanz- und Heimatminister Albert Füracker. Der Entschluss fiel dem Vernehmen nach um Weihnachten herum; der für die Bezirksregierungen zuständige Innenminister Joachim Herrmann (CSU), wurde, wie er sagt, am Ende der Weihnachtsferien eingeweiht. Alle anderen, insbesondere die betroffenen Beschäftigten, wurden überrumpelt.

Anders geht es nicht, ließe sich sagen: Wird erst auf den üblichen Wegen ein Konzept erarbeitet, so wird die Idee zerredet, bevor sie überhaupt ausgesprochen ist. Die Gegenmeinung: Selbst wenn jetzt eine Kommission ein Konzept erarbeitet, ihr Ziel habe Söder ja bereits unverrückbar festgeschrieben. So wird sich die Bezirksregierung nicht nur jahrelang vor allem mit ihrer internen Neuorganisation und damit mit sich selbst beschäftigen. Umgesetzt werden muss der Plan am Ende auch von Mitarbeitern, die in diesen Tagen maximal verunsichert sind. Denn der Plan, einen achten Bezirk zu schaffen, geht einher mit der Vorgabe Söders, jeweils 500 der insgesamt 1600 Mitarbeiter der Regierung von Oberbayern nach Ingolstadt und Rosenheim zu versetzen.

Was die Juristen sagen

Auch juristisch wirft Söders Vorstoß Fragen auf. In Artikel 9 der Verfassung ist festgelegt, dass Bayern in Regierungsbezirke eingeteilt wird. In welche und in wie viele, steht dort nicht. Allerdings besagt Artikel 185, dass die einstigen Bezirke in ihrer Form vor 1933 wieder herzustellen seien. Darauf beruht die bis heute gültige Einteilung in sieben Bezirke. Rechtlich umstritten ist, ob ein Neuzuschnitt somit nur durch eine Verfassungsänderung möglich wäre - der rechtlich sicherere Weg wäre es in jedem Fall. Über eine solche müssten dann alle bayerischen Bürger in einer Volksabstimmung befinden.

Und der Bezirk Oberbayern?

Zusätzlich kompliziert wird die juristische Lage durch Artikel 10 der Verfassung. Der besagt: Für jeden Regierungsbezirk gibt es einen "Gemeindeverband als Selbstverwaltungskörper", sprich: eine entsprechende kommunale Gebietskörperschaft. Das ist die Grundlage der sieben bayerischen Bezirke mit ihren Aufgaben in der Sozialhilfe für Behinderte und Pflegebedürftige, in der Heimatpflege oder als Träger der psychiatrischen Kliniken. Sie alle haben einen eigenen Bezirkstag, einen eigenen Etat, eine eigene Verwaltung.

Gründete man einen Regierungsbezirk für das Stadtgebiet München, bräuchte es nicht zwingend einen eigenen, neuen Bezirk - die entsprechende Kommune gibt es ja schon: die Landeshauptstadt München. Der Stadtrat würde quasi zugleich zum Bezirkstag. Dann müsste die Stadt München künftig zum Beispiel die Hilfe zur Pflege zahlen, was bisher der Bezirk macht; im Gegenzug würde sie sich die Bezirksumlage sparen. Da überweist sie im Moment jährlich mehr als 500 Millionen Euro, faktisch finanziert sie damit andere Teile Oberbayerns mit.

Unklar ist, was eine solche Reform für die Bezirkskrankenhäuser bedeuten würde. Die Stadt München müsste nicht unbedingt eigene Einrichtungen betreiben - sie könnte zum Beispiel mit dem Bezirk Oberbayern entsprechende Vereinbarungen schließen oder einen Zweckverband gründen. In jedem Fall zöge das komplizierte Verhandlungen und Umstrukturierungen nach sich.

Und in jedem Fall müssten die Münchner das in einer Abstimmung mehrheitlich für gut befinden. Denn in Artikel 8 der bayerischen Bezirksordnung steht: "Den Bezirksbürgern, deren Bezirkszugehörigkeit wechselt, soll Gelegenheit gegeben werden, zu der Änderung in geheimer Abstimmung Stellung zu nehmen." Intern diskutiert wird offenbar auch die Variante, dass es auch bei einer neuen Bezirksregierung für München trotzdem weiter einen gemeinsamen Bezirk für München und Oberbayern geben könnte. Ob das verfassungsrechtlich möglich ist, ist aber zweifelhaft.

Warum nur München?

Besonders schwierig würde es, wenn der neue Regierungsbezirk nicht nur die Stadt München, sondern auch den Landkreis München oder weitere Umland-Landkreise umfassen würde - so, wie es die Münchner CSU vorgeschlagen hat. Inhaltlich spräche einiges dafür, denn inzwischen ist Konsens, dass viele Probleme Münchens nur durch eine Kooperation über die Stadtgrenzen hinweg zu lösen sind. Doch dafür existiert bislang keine entsprechende kommunale Ebene. Dann müsste man einen neuen Bezirk gründen samt eigenem Bezirkstag und eigener Verwaltung. Das bedeutet tendenziell: doppelte Strukturen, mehr Aufwand. Deshalb will Söder diesen Weg dem Vernehmen nach nicht gehen.

Warum nicht auch Nürnberg?

Nürnberg, Bayerns zweitgrößte Stadt, gehört zum Bezirk Mittelfranken. Im Jahr 1958 war die Idee, München zum eigenen Regierungsbezirk zu machen, noch keine Woche alt, da forderte schon der Nürnberger Stadtrat: Wenn, dann müsse auch der Franken-Metropole dieser Status zugebilligt werden. Alles andere wäre "erneut eine ganz erhebliche Benachteiligung des nordbayerischen Raumes" und eine "Bevorzugung Münchens". Wiewohl die Idee heute viel konkreter ist als 1958, ist das im Jahr 2020 in Söders Heimatstadt bislang nicht gefordert worden.

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Quelle:
SZ vom 23.01.2020
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