Bayern:Ein Landrat verliert das Gedächtnis - und wird wieder gewählt

Pfaffenhofener Landrat Martin Wolf

Landrat Martin Wolf vor seinem Unfall.

(Foto: dpa)

Seit einem Verkehrsunfall leidet Martin Wolf an einer Gedächtnisstörung. Ob er die Wiederwahl annimmt, kann der Pfaffenhofener Landrat derzeit nicht entscheiden.

Von Andreas Glas

Wenn ein Politiker sich nach der Wahl nicht mehr erinnert, was er vor der Wahl versprochen hat, dann nennen das manche Berufskrankheit. Weil die Berufskrankheit aber kein medizinisch anerkanntes Krankheitsbild ist, hält sich das Mitleid des Wählers für vergessliche Politiker meist in Grenzen.

Ganz anders liegen die Dinge in Oberbayern, im Kreis Pfaffenhofen an der Ilm. Dort war kürzlich Landratswahl, und Martin Wolf hat vielleicht auch deshalb so viele Stimmen bekommen, weil die Wähler Mitgefühl hatten mit dem CSU-Kandidaten, der sich nicht mehr an seine Wahlversprechen erinnern kann. Martin Wolf leidet nämlich an einer Gedächtnisstörung - im medizinischen Sinne.

Der Fall ist ebenso tragisch wie streitbar. Anfang April, fünf Wochen vor der Landratswahl, hatte Amtsinhaber Martin Wolf einen Motorradunfall. Knochenbrüche, Schädel-Hirnverletzungen, Amnesie. Ob der 61-Jährige bleibende Schäden behält, darüber könne man "beim besten Willen" keine Prognose geben, hieß es aus der Pfaffenhofener CSU, die an ihrem Kandidaten festhielt. Er könne die Menschen nur bitten, "dass sie ihn trotz einer fehlenden Prognose wählen", sagte der CSU-Kreischef. Und tatsächlich: 74,6 Prozent der Landkreisbürger wählten einen Kandidaten, der vielleicht gar nicht mehr weiß, dass er Politiker ist. Zurzeit jedenfalls reichen Martin Wolfs geistige Fähigkeiten nicht einmal, um seine gewonnene Wahl offiziell anzunehmen.

Nach dem bayerischen Landkreiswahlgesetz hat Wolf eine Woche Zeit, um seiner Wahl schriftlich zuzustimmen, so steht es in Artikel 47. Tut er dies nicht, ist die Wahl ungültig und muss binnen drei Monaten wiederholt werden. Aber gilt Artikel 47 auch für einen gewählten Landrat, der krankgeschrieben ist? Über dieser Frage brüten nun die Rechtsexperten der Regierung von Oberbayern und des Landesinnenministeriums. Der Fall Wolf ist so einzigartig, dass die Paragrafen keine eindeutige Lösung bergen.

Eine eindeutige Antwort auf die Frage, wie lange und wie schwer Martin Wolf noch von Erinnerungslücken geplagt sein wird, müssen auch die Ärzte schuldig bleiben. Nach einer Schädel-Hirn-Verletzung, aber auch infolge von Infektionen oder chronischem Alkoholmissbrauch kann es zur Amnesie kommen. Mediziner kennen die retrograde Amnesie, bei der sich Betroffene nicht mehr an Begebenheiten vor der Krankheit oder dem Trauma erinnern, beispielsweise den Unfallhergang. Die anterograde Amnesie führt hingegen dazu, dass die Erinnerung an Ereignisse nach dem Unfall verschwindet.

Im Fall Martin Wolf geht es auch um die Frage, ob die CSU ihren Kandidaten zurückziehen und den Wählern die Ungewissheit hätte ersparen sollen. Doch dafür fehlte wohl die Rechtsgrundlage, Wolf hätte nur selbst verzichten können. Also zog die Pfaffenhofener CSU anstelle ihres Kandidaten in den Wahlkampf und startete unter dem Slogan #wirfuermartin eine Solidaritätsaktion, die mancher Beobachter als Betroffenheitswahlkampf interpretierte. Doch wäre das Wahlergebnis tatsächlich schlechter gewesen, hätte Martin Wolf den schweren Unfall nicht gehabt? Sicher ist nur, dass man über den Fall Wolf trefflich streiten kann. Nicht nur juristisch.

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