Landarztquote in der Medizin:Studium gegen Landluft

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Tommy Blumenthal steht vor dem Hörsaalgebäude für Medizin der Universität Erlangen-Nürnberg auf dem Klinikumsgelände. Der 22-Jährige gehört zum zweiten Jahrgang, der über die Landarztquote zum Medizinstudium zugelassen wurde. Dafür muss er zehn Jahre lang nach Studium und Facharztausbildung in Gebieten arbeiten, in denen Bedarf an Ärzten besteht. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

In Bayern dürfen junge Leute trotz schlechter Abitur-Note Medizin studieren, wenn sie sich verpflichten, später als Landärztin oder Landarzt zu arbeiten. Über einen Pakt mit weitreichenden Folgen.

Von Gregor Bauernfeind, Erlangen/München

Tommy Blumenthal ist 22 Jahre alt, kommt aus dem Landkreis Harz in Sachsen-Anhalt, und ein klein wenig ruhen die Hoffnungen der bayerischen Ärzteschaft und des Gesundheitsministeriums auch auf ihm. In etwa zwölf Jahren soll er seinen Teil dazu beitragen, eine ärztliche Unterversorgung in ländlichen Gebieten in Bayern zu verhindern. Das hat er wie die anderen 114 jungen Menschen, die für das aktuelle Wintersemester über die Landarztquote zum Medizinstudium zugelassen worden sind, dem Freistaat sogar schriftlich gegeben: Zehn Jahre lang müssen sie nach Studium und Facharztausbildung in Gebieten arbeiten, in denen Bedarf an Ärzten besteht. Als Gegenleistung bekommen die jungen Leute die Chance, sich den Traum vom Arztberuf zu erfüllen - obwohl sie kein hervorragendes Abitur haben.

Der Wunsch, Medizin zu studieren, sei schon während seiner Schulzeit gereift, sagt Blumenthal, der fürs Studium nach Bayern zieht und nun an der Universität Erlangen-Nürnberg anfängt. In der Schule habe man aber noch andere Gedanken, "und deswegen war mein Abi jetzt nicht so perfekt, dass ich direkt reinkommen konnte". Nach einer Pflegeausbildung und einem Jahr als Krankenpfleger schaffte er es über die bayerische Landarztquote dann doch. Der 22-Jährige gehört zum zweiten Jahrgang, schon im vergangenen Oktober haben rund 100 angehende Landärzte angefangen.

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"Nach Ablauf des ersten Studienjahres können wir eine positive Bilanz ziehen. Nur eine Studentin der Landarztquote Bayern hat ihr Studium bislang abgebrochen", sagt Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). Auch Beate Reinhardt vom bayerischen Hausärzteverband zieht ein positives Fazit: "Es war ein sensationeller Start, ich bin begeistert." Die Landarztquote sei schon längst überfällig gewesen.

"Als die E-Mail kam, war ich echt überglücklich", erzählt Claudia H. (Name geändert) vom Moment, in dem sie ihre Zusage bekam. Sie habe sich geärgert, dass ihr nicht schon in der Schule aufgefallen sei, dass sie Medizin studieren wolle. Ihr Weg führte stattdessen zunächst über einen Bundesfreiwilligendienst und eine Qualifikation als Rettungssanitäterin, dann fing sie eine Pflegeausbildung an. All das half bei der Landarztquoten-Bewerbung: Dort werden etwa Vorerfahrung in Gesundheitsberufen, ehrenamtliches Engagement, Bundesfreiwilligendienst und ein guter Eignungstest berücksichtigt. Die Abiturnote spielt keine Rolle.

Beate Reinhardt vom Hausärzteverband sagt, die Landarztquote sei ein Beginn, mal über die Auswahlverfahren zum Medizinstudium nachzudenken und "vielleicht zusätzliche Kriterien aufzunehmen. Das heißt: soziale Kompetenz, praktisches Wissen. Das ist superwichtig in der Medizin". Man sehe das an den Menschen: "Wenn sie sozial tätig waren, wissen sie eher, auf was sie sich einlassen und was sie sich wünschen." Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, sagt: "Die Zulassung zum Medizinstudium sollte nicht nur vom Numerus Clausus abhängen."

5,8 Prozent der Studienplätze werden derzeit für die angehenden Landärzte vorgehalten. "5,8 Prozent sind gut, aber es geht noch besser", sagt Reinhardt. Grundsätzlich würde man beim Hausärzteverband eine höhere Quote begrüßen. Quitterer von der Landesärztekammer sagt, die Höhe der Quote sei nur ein Baustein. "Wichtiger wäre es, 150 bis 200 Studienplätze mehr pro Jahr zu schaffen", sagt er. Denn in Zukunft seien etwa aufgrund von Teilzeitarbeit mehr Köpfe für die gleiche Arbeit nötig.

Die einzige Alternative wäre ein Auslandsstudium gewesen

Laut Gesundheitsministerium werden rund 350 neue Medizinstudienplätze geschaffen. An der Höhe der Quote wird sich aber nichts ändern. In Bayern sei der Spielraum für die Landarztquote im Rahmen der - laut Staatsvertrag - möglichen Vorabquoten bereits voll ausgeschöpft, teilt das Ministerium mit. Die Quote ist nur eine von mehreren Maßnahmen des Freistaats, mit der Mediziner dorthin gebracht werden sollen, wo sie gebraucht werden. Derzeit hat der Freistaat in 18 von 204 Planungsbereichen eine "drohende Unterversorgung" ermittelt. Wo es für Blumenthal und H. nach zwölf Jahren Studium und Facharztausbildung hingeht, lässt sich heute aber noch nicht sagen.

Als Alternative wäre den beiden wohl nur geblieben, fürs Medizinstudium ins Ausland zu gehen. Für Blumenthal wäre das nicht infrage gekommen, sagt er. Er fühle sich hier wohler, außerdem hätte die Entscheidung fürs Ausland wohl ziemliche hohe Studienkosten bedeutet. "Das wäre ein großes Opfer. Ein größeres Opfer als dieser Vertrag auf jeden Fall", sagt Claudia H. Denn mit der Zusage treffen Landarztquoten-Studierende in jungen Jahren eine weitreichende Entscheidung: Nach Studium, Ausbildung und zehn Jahren Arbeit als niedergelassene Ärzte werden sie älter als 40 Jahre sein. "Man verschiebt seinen kompletten Lebensmittelpunkt einfach irgendwo anders hin", sagt Tommy Blumenthal aus Sachsen-Anhalt. "Aber das ist es mir absolut wert."

Claudia H. sagt, für sie sei die Entscheidung nicht so schwer gewesen. "Ich finde das ein äußerst faires Angebot, dass ich diesen Studienplatz dafür bekomme, dass ich mich verpflichte." Sie sei im Bayerischen Wald aufgewachsen. "Ich mag das Großstadtleben", sagt sie. "Aber ich will auf jeden Fall wieder zurück." Und man könne auch danach noch Facharzt werden oder sich in einer Klinik anstellen lassen: "Wir leben, glaube ich, in einer Zeit, in der auch mit 40 Jahren das Leben noch nicht vorbei ist."

Anmerkung der Redaktion: Der Name der Protagonistin wurde nachträglich geändert, ist der Redaktion aber bekannt.

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