Süddeutsche Zeitung

Abiturprüfungen:So lösen Sie das bayerische Mathe-Abi

Lesezeit: 5 min

Schüler protestieren, Lehrer winken ab. Wie schwer waren die Aufgaben wirklich? Unser Autor hat nachgerechnet.

Von Christian Endt

Mehr als 59.000 Menschen haben eine Online-Petition unterschrieben, die das bayerische Kultusministerium auffordert, das diesjährige Mathe-Abitur weniger streng zu bewerten. Die Aufgaben seien außergewöhnlich schwierig gewesen. Besonders in der Kritik steht ein Aufgabenblock aus dem Themengebiet Stochastik (eine Protest-Seite auf Instagram ist nach den in dieser Aufgabe vorkommenden Begriffen Donau, Main und Lech benannt).

Die SZ hat mit vielen Mathelehrern gesprochen, die die Aufgaben kennen und sie nicht für außergewöhnlich schwer halten. Unser Autor hat vor einigen Jahren Mathematik auf Lehramt studiert und hat sich die umstrittene Stochastik-Aufgabe etwas genauer angesehen. Hier der Originaltext der Aufgabe und ein Lösungsvorschlag.

1. Jeder sechste Besucher eines Volksfests trägt ein Lebkuchenherz um den Hals. Während der Dauer des Volksfests wird 25-mal ein Besucher zufällig ausgewählt. Die Zufallsgröße X beschreibt die Anzahl der ausgewählten Besucher, die ein Lebkuchenherz tragen.

a) Bestimmen Sie die Wahrscheinlichkeit dafür, dass unter den ausgewählten Besuchern höchstens ein Besucher ein Lebkuchenherz trägt.

Jeder sechste Besucher des Volksfests trägt ein Lebkuchenherz. Das bedeutet: Wenn uns zufällig ein Besucher begegnet, dann hat der mit der Wahrscheinlichkeit von einem Sechstel ein solches Souvenir um den Hals hängen. Im Umkehrschluss: Zu fünf Sechsteln hat er keines umhängen.

"Höchstens ein Besucher" aus den 25 zufällig ausgewählten soll ein Lebkuchenherz tragen, so die Aufgabenstellung. Das kann ja zweierlei bedeuten: Kein Besucher oder ein Besucher. Am einfachsten schaut man sich diese beiden Fälle einzeln an und rechnet dann das Ergebnis zusammen.

Also Fall eins: Kein Besucher trägt ein Lebkuchenherz. Wir haben dann also 0 Besucher mit Lebkuchenherz und 25 Besucher ohne. Die Wahrscheinlichkeit dafür berechnet sich mit

(diese Formel sagt Ihnen wahrscheinlich nichts, aber ein Abiturient dürfte sie kennen).

Und Fall zwei: Genau ein Besucher trägt ein Lebkuchenherz, 24 haben keines. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist

Zusammen also

b) Beschreiben Sie im Sachzusammenhang ein Ereignis, dessen Wahrscheinlichkeit mit dem Term

berechnet werden kann.

Die Formel schaut erstmal sehr exotisch aus, ist aber, wenn man einigermaßen im Stoff ist, leicht zu lösen. Dieses seltsame Zeichen am Anfang ist ein großes Sigma aus dem griechischen Alphabet und steht in der Mathematik (wie auch in Microsoft Excel) für eine Summe, und zwar in diesem Fall für alle Zahlen zwischen fünf und acht. Der Teil nach dem Sigma definiert, über was summiert werden soll. Der vorliegende Ausdruck beschreibt die Wahrscheinlichkeit, dass sich unter 25 zufälligen Volksfestbesuchern zwischen fünf und acht Lebkuchenherzträger finden.

c) Bestimmen Sie die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Wert der Zufallsgröße X höchstens um eine Standardabweichung vom Erwartungswert der Zufallsgröße abweicht.

Auch das liest sich furchtbar kompliziert mit all den rätselhaften Begriffen: Zufallsgröße, Standardabweichung, Erwartungswert. Aber in den Monaten vor dem Abitur haben Schüler ständig mit diesen Ausdrücken zu tun. Selbst wer sich sehr konsequent dem Mathe-Unterricht verweigert, wird nicht umherkommen, sie ein- oder zweimal aufzuschnappen.

Der Erwartungswert ist, wie der Name andeutet, die Zahl der Treffer, die man nach den Gesetzen der Statistik ungefähr erwarten kann. Wenn Sie 25 Personen auf dem Volksfest ansprechen, von denen jeder sechste ein Lebkuchenherz trägt, dann ergibt das:

Also etwas mehr als vier Herzerl-Träger.

Die Standardabweichung ist etwas schwieriger zu erklären, aber fast genauso einfach zu berechnen, wenn man die Formel kennt (die sich im Zweifel in einer für die Abiprüfung zugelassenen Formelsammlung nachschlagen lässt):

Jetzt geht es um den Bereich, der maximal um eine Standardabweichung (etwa 1,9) vom Erwartungswert (etwa 4,2) abweicht - und zwar nach oben oder unten.

Wie das Bild zeigt, fallen folgende Zahlen in den markierten Bereich: 3, 4, 5 und 6. Das sind also wieder vier Fälle, die man anhand einer Formel berechnen und zusammenzählen kann, nicht entscheidend komplizierter als oben. Wir verzichten darauf, das hier ganz auszuführen.

2. Bei einer Losbude wird damit geworben, dass jedes Los gewinnt. Die Lose und die zugehörigen Sachpreise können drei Kategorien zugeordnet werden, die mit "Donau", "Main" und "Lech" bezeichnet werden. Im Lostopf befinden sich viermal so viele Lose der Kategorie "Main" wie Lose der Kategorie "Donau". Ein Los kostet 1 Euro. Die Inhaberin der Losbude bezahlt im Einkauf für einen Sachpreis in der Kategorie ,Donau" 8 Euro, in der Kategorie "Main" 2 Euro und in der Kategorie "Lech" 20 Cent. Ermitteln Sie, wie groß der Anteil der Lose der Kategorie "Donau" sein muss, wenn die Inhaberin im Mittel einen Gewinn von 35 Cent pro Los erzielen will.

Wir suchen nach x, dem Anteil der Lose in der Kategorie "Donau". Wir wissen, dass es viermal so viele "Main"- wie "Donau"-Lose gibt, der Anteil der Kategorie "Main" beträgt also 4x. Da jedes Los ein Treffer ist, sind alle übrigen Lose aus der Kategorie "Lech". Die Information "alle übrigen" müssen wir noch in die Sprache der Mathematik übersetzen. Die Gesamtzahl der Lose entspricht 100%, also der Zahl 1, und davon ziehen wir Donau und Main ab:

Um den erwartbaren Gewinn oder Verlust je verkauftem Los zu berechnen, multiplizieren wir die Wahrscheinlichkeit jeder Kategorie mit dem jeweiligen Gewinn, und ziehen das vom Verkaufspreis ab:

Und jetzt sollen wir x so bestimmen, dass am Ende für die Budenchefin 35 Cent je Los übrig bleiben:

Von 100 Losen sind nun drei aus der Kategorie Donau, zwölf aus Main und die restlichen 85 enthalten den Trostpreis Lech.

3. Die Inhaberin der Losbude beschäftigt einen Angestellten, der Besucher des Volksfests anspricht, um diese zum Kauf von Losen zu animieren. Sie ist mit der Erfolgsquote des Angestellten unzufrieden.

a) Die Inhaberin möchte dem Angestellten das Gehalt kürzen, wenn weniger als 15 % der angesprochenen Besucher Lose kaufen. Die Entscheidung über die Gehaltskürzung soll mithilfe eines Signifikanztests auf der Grundlage von 100 angesprochenen Besuchern getroffen werden. Dabei soll möglichst vermieden werden, dem Angestellten das Gehalt zu Unrecht zu kürzen. Geben Sie die entsprechende Nullhypothese an und ermitteln Sie die zugehörige Entscheidungsregel auf dem Signifikanzniveau von 10%.

Das Konzept eines Signifikanztests vollständig zu erklären, würde den Rahmen hier sprengen. Aber im Mathe-Unterricht wird das so oft durchgenommen, dass man das Wort am Ende kaum noch hören kann. Das ist definitiv keine "Aufgabenstellung, die vorher kaum einer gesehen hatte", wie es in der Petition der Schüler heißt.

Darum geht es prinzipiell: Der Mitarbeiter soll 15% der Besucher Lose verkaufen. Seine Chefin misst seinen Erfolg anhand von 100 Kundenkontakten und entscheidet nachher, ob sie ihn rauswirft. Da jeder mal einen schlechten Tag haben kann, will sie ihn aber nicht gleich feuern, wenn er vielleicht an diesem Tag nur 14 Kunden gewinnt. Wenn er aber nur zwei oder drei gewinnt, vermutlich schon. Die Schwelle für ihre Entscheidung will die Chefin mathematisch absichern: Unterhalb welcher Erfolgszahl x ist es unwahrscheinlich, dass der Mitarbeiter sonst eine Quote von 15 Prozent schafft?

Konkret: Die Wahrscheinlichkeit, mit einer Trefferwahrscheinlichkeit von 15% bei 100 Versuchen x oder weniger Treffer zu erzielen, soll kleiner als 10 Prozent sein. X mussten die Schüler nicht ausrechnen, sie konnten es in einer Tabelle nachschlagen, sie mussten nur wissen wo (das Ergebnis: bei 10 oder weniger Treffern macht es vielleicht Sinn, den armen Mitarbeiter rauszuwerfen).

b) Der Angestellte konnte bei der Durchführung des Tests zehn von 100 erwachsenen Besuchern dazu animieren, Lose zu kaufen. Er behauptet, dass er zumindest bei Personen mit Kind eine Erfolgsquote größer als 10% habe. Unter den 100 angesprochenen Besuchern befanden sich 40 Personen mit Kind. Von den Personen ohne Kind zogen 54 kein Los. Überprüfen Sie, ob das Ergebnis der Stichprobe die Behauptung des Angestellten stützt.

Wenn es vierzig Personen mit Kind gibt und insgesamt 100, folgt: 60 sind ohne Kind unterwegs. Von denen haben 54 kein Los gekauft - sechs haben also eins gekauft. Da der Losverkäufer insgesamt zehn Lose verkauft hat, entfielen also vier auf die Gruppe der Besucher mit Kind. Vier von 40 macht eine Erfolgsquote von 10 Prozent. Die Behauptung des Mitarbeiters, bei Leuten mit Kindern liege seine Quote bei mehr als zehn Prozent, sollte seine Chefin also nicht überzeugen.

Anmerkung der Redaktion: Das Zeichen in Aufgabe 1b) ist anders als in einer früheren Version geschrieben kein großes Epsilon, sondern ein großes Sigma (Σ). Wir haben den Fehler korrigiert. In den ersten beiden Rechnungen haben wir Klammern ergänzt, um die Schreibweise deutlicher zu machen.

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