Süddeutsche Zeitung

Landespolitik:Schon wieder Epochales von Söder

  • Ministerpräsident Markus Söder stockt das Investitionsprogramm der Staatsregierung von einer auf zwei Milliarden Euro auf.
  • In Bayern sollen 100 Lehrstühle für Künstliche Intelligenz eingerichtet werden.
  • Um die zusätzlichen Ausgaben finanzieren zu können, wird der Freistaat seine Schuldentilgung auf ein Minimum reduzieren.

Von Wolfgang Wittl

Eine gute halbe Stunde spricht der Ministerpräsident schon. Er berichtet von Zehntausenden Studienplätzen, die in Bayern entstehen werden, von Tausenden neuen Stellen an den Hochschulen. Er kündigt ein "flächendeckendes Neubau- und Investitionsprogramm" für notwendige Umbauten in Lehre und Forschung an. Er erklärt, warum es trotz aller Bestmarken eine Hightech-Offensive brauche. Denn die Konkurrenz warte nicht in Deutschland, sondern in Indien und China. Seine Rede beendet er mit den Worten, er hoffe doch sehr, dass die Menschen im Jahr 2020 ernten dürften, was heute gesät worden sei. Dann entlässt ihn die CSU-Fraktion mit Applaus in den Ruhestand.

Es war im Juli 2007, als Edmund Stoiber diese Worte sprach. Es war die 18. und letzte Regierungserklärung seiner 14-jährigen Amtszeit. Sein Nach-Nach-Nachfolger Markus Söder hält am Donnerstag bereits seine fünfte Regierungserklärung in nicht einmal eineinhalb Jahren. Es sind wohl besonders erklärungsbedürftige Zeiten.

Stoiber hat den Kurs seiner CSU damals auf Jahre festgelegt, nicht unbedingt zum Jubel seiner Nachfolger. Nun knüpft sein politischer Ziehsohn Söder dort an, wo sein Mentor aufgehört hat. Hightech, Bildung, Forschung, Wissenschaft, Innovationen - Söder hat sein Themenfeld gefunden und bestellt es mit Stoiberschem Eifer. Am Tag vorher hat er noch mit der Kanzlerin telefoniert. Söder hat ihr mitgeteilt, dass Bayern 100 Lehrstühle für Künstliche Intelligenz einrichten will - genau so viele wie der Bund und angeblich fünf Mal so viele wie der Konkurrent Baden-Württemberg. Angela Merkels ehrfürchtiges Staunen soll seiner Laune nicht abträglich gewesen sein. Bayern auf Augenhöhe mit dem Bund? "Das ist doch ein Statement", ruft Söder.

Fast 50 Minuten legt er im Plenum dar, was es mit seiner "Hightech Agenda Bayern" auf sich hat. Jeden Ort zählt er auf, jeden Millionenbetrag. Es ist einer der Tage, an dem Ministerpräsidenten an ihrem Bild zeichnen, mit dem sie in die Geschichte eingehen wollen. Ein perfektionistischer Ehrgeizling wie Söder überlässt in solchen Fällen nichts dem Zufall. Die Nachricht, dass Baden-Württemberg vier Exzellenz-Unis hat und Bayern nur zwei, hat ihn vor Monaten aufgeschreckt. Seitdem führte er viele Gespräche - vom Universitätspräsidenten bis zum jungen Forscher. Herausgekommen sind 20 Seiten Regierungserklärung und ein Kampf um die besten Köpfe.

Zwei Milliarden Euro will der Freistaat bis 2023 investieren. Das ist doppelt so viel, wie Söder kürzlich bei der Herbstklausur der CSU-Landtagsfraktion genannt hatte. Der Aufschlag erklärt sich durch Wünsche des Koalitionspartners Freie Wähler, von eigenen Abgeordneten und durch Söders Ziel, dauerhaft im seriösen Fach anzukommen. Er kündigt an, dass die Staatsregierung jetzt auch längst versprochene Projekte umsetzen werde. "Es nützt nichts, Spitzentechnologien voranzubringen, wenn hinten der Putz bröckelt."

Um die zwei Milliarden finanzieren zu können, wird der Freistaat seine Schuldentilgung auf ein Minimum reduzieren. Sie soll bis 2022 auf symbolische 50 Millionen Euro pro Jahr heruntergefahren werden. Für 2020 war ein Schuldenabbau von 750 Millionen Euro vorgesehen, in den weiteren zwei Jahren jeweils von einer Milliarde. Das selbst gesteckte Ziel eines schuldenfreien Bayern bis 2030 hat die Staatsregierung damit endgültig aufgegeben, woran sich erstaunlicherweise niemand stört. Der Opposition fällt es schwer, Söder in der Aussprache in Bedrängnis zu bringen.

Nahezu alle Fraktionen teilen die Ansicht, dass Bayern in die Zukunft investieren müsse, wolle man international konkurrenzfähig bleiben. So verharrt die Debatte oft im Klein-Klein. Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann hätte lieber eine Regierungserklärung zum Klimaschutz gehört. Er fordert, Forschungsergebnisse müssten viel besser in der Praxis angewendet werden.

CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer hält den Grünen vor, eine "Ein-Thema-Partei" zu sein, "technikfeindlich" und "rückwärtsgewandt" - und erntet lautstarke Proteste. Dann dankt Kreuzer "dem Herrn Ministerpräsidenten" noch "im Namen der CSU-Fraktion und der Menschen in unserem Land", womit sich die Menschen mit Parteibüchern von Grünen, AfD, SPD und FDP allerdings weniger angesprochen fühlen. Der neue AfD-Fraktionschef Ingo Hahn ruft Söder zu, nur Geld auszugeben, werde auf Dauer nicht helfen. Florian Streibl (Freie Wähler) staunt: "Ich weiß nicht, zu welchem Thema sie alle reden."

SPD-Fraktionschef Horst Arnold bezeichnet die Investitionen als richtig und notwendig. Dass der Putz sogar in Bayerns Exzellenzuniversitäten bröckele, habe die CSU zu verantworten. Arnold mahnt, der Wandel müsse nicht nur modern und nachhaltig gestaltet werden, sondern vor allem sozial. Der frühere Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) dankt Söder, dass er eingeräumt habe, man könne nicht so weitermachen. 5000 Studienplätze für Informatik seien aber zu wenig, es brauche 10 000. Und 400 Millionen Euro für ein Hochschulbauprogramm? "Damit kommen wir nicht weiter", findet Heubisch.

Söders Fazit klingt so: "Damit beginnt wieder einmal eine neue Epoche." Am Ende zitiert er König Max II., Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber - eine Ahnenreihe, in der er sich offenbar wohlfühlt. Allesamt "kluge und weise Männer", die Bayern auf ihre Art geprägt hätten.

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SZ vom 11.10.2019/syn
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