Uwe Böttcher ist noch nicht lange Direktor im niederbayerischen Bezirksklinikum Mainkofen und dann gleich sowas. Es ist der vergangene Freitag, draußen kommen etwa 30 Gäste am Gedenkstein für die "Euthanasie"-Opfer von Mainkofen zusammen. Wie jedes Jahr wollen sie an die erinnern, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Es soll ein Tag der Andacht werden, des Innehaltens. Und dann tritt Slavko Radeljic-Jakic ans Rednerpult. Er ist Diakon, katholischer Seelsorger, weiße Robe, lila Stola, ein Mann der Kirche und er sagt schier unglaubliche Sätze. Das Morden habe nicht aufgehört, predigt er, die Menschheit werde auch heute "von den globalen Erben der nationalsozialistischen Eugeniker bedroht" und zwar mit Hilfe "skrupelloser, eng vernetzter Milliardäre". Der SZ liegt die Rede vor.
Uwe Böttcher kann nicht glauben, was er da hört. Seit mehr als zehn Jahren kommt Radeljic-Jakic in seine Klinik. Viele der Patienten sind psychisch krank und haben als Seelsorger einen Verschwörungstheoretiker? Fünf Minuten redet der Diakon von den Amerikanern, die 1600 Nazi-Wissenschaftler in die USA geschmuggelt hätten, von Milliardären, die die "totale Kontrolle" an sich "gerissen" hätten und von ihrem Ziel, die Weltbevölkerung zu reduzieren und sie "mit transhumanen Robotern zu ersetzen". Bitte was?
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Böttcher ist "perplex", dann empört, vor aller Augen stellt er Radeljic-Jakic zu Rede. Er spricht von einer "Diffamierung und Verunglimpfung des Ansehens der Ermordeten" und er fordert den Diakon auf, mit seinen kruden Theorien aufzuhören. Nur: Kaum hat der wieder das Wort, macht er weiter. Das sei doch alles richtig, er habe das recherchiert. "Schluss jetzt", sagt Böttcher und schmeißt ihn raus. Hausverbot. So geht das nicht.
Seitdem hat der Klinikdirektor viel Lob bekommen, dass er so prompt und hart durchgegriffen hat. Er ist wohl nicht der einzige, der in seinem Umfeld auf einmal mit den wildesten Theorien zu tun hat. Nur können die in einer Klinik für psychisch Kranke weit mehr anrichten als einen Familienkrach. "Wir müssen die Patienten schützen", sagt Böttcher. Wenn Radeljic-Jakic öffentlich schon vor einer "Reduktion der Weltbevölkerung" warnt, was hat er dann den Patienten erzählt? Böttcher möchte gar nicht dran denken.
Kaum jemand genießt in einer Klinik so großes Vertrauen wie Seelsorger, kaum einer geht mit Patienten eine engere Beziehung ein. Psychisch kranke Menschen seien für solche Einflüsterungen besonders empfänglich, sagt Böttcher. Und schlimmer noch, sie können durch sie noch kränker werden. Wer sowieso unter Verfolgungswahn leidet, der könne durch Verschwörungstheorien "nochmal eins oben drauf gesetzt bekommen". Wer wegen einer Angststörung eh schon hinter jeder Ecke das Böse vermutet, bei dem fielen solche Ausführungen auf besonders fruchtbaren Boden. Vor allem, wenn sie nicht von irgendeinem "Marktschreier" kämen, wie Böttcher sagt, sondern von einem Mann, der als kompetent angesehen wird, sich um die Seele der Menschen zu kümmern. Dass die bei einem der Patienten durch die Ausführungen des Diakons wirklich Schaden genommen hätte, konnte Böttcher noch nicht feststellen. Gott sei Dank.
Das Bistum will mit dem Diakon "seine zukünftige Verwendung" besprechen
Womit man beim Arbeitgeber von Radeljic-Jakic wäre, dem Bistum Regensburg. Die Diözese weise derartige Äußerungen zurück, wie sie der Diakon bei der Gedenkfeier gemacht habe, teilt ein Sprecher mit. Radeljic-Jakic, der seit 1991 für die Diözese tätig ist, habe sich an das ausgesprochene Betretungsverbot zu halten, "seine Dienste im Bezirksklinikum ruhen damit". Das Bistum werde mit ihm zeitnah ins Gespräch kommen, "um seine zukünftige Verwendung zu besprechen".
Mit Kirchenrecht kenne er sich nicht aus, sagt Uwe Böttcher, aber er findet: Wer öffentlich Verschwörungstheorien verbreite, dürfe nicht als Seelsorger arbeiten. Und ihn treibt noch etwas anderes um. Was tun, damit so etwas nicht wieder passiert? "Die Frage ist, wie die katholische Kirche Seelsorger aussucht und betreut", sagt Böttcher. Sie müsse mit ihren Seelsorgern im Gespräch bleiben, um mitzubekommen, wenn einer ins Querdenkerlager abdriftet. Denn: "Hätte es Hinweise gegeben, hätten wir schon früher einschreiten können."
Einen Hinweis hat Böttcher selbst gefunden, vor Jahren soll der jetzige Querdenker-Diakon durch islamfeindliche Äußerungen aufgefallen sein. Schon damals habe der damalige Krankenhausdirektor ihm "jegliche politische Äußerung verboten". Ob er sich in seinen Gesprächen mit Patienten daran gehalten hat, kann niemand nachprüfen. Seine Arbeit als Seelsorger verlor er nicht. Diesmal könnte es anders laufen. Auch von weltlicher Seite könnte der Diakon noch Konsequenzen spüren. Krankenhausdirektor Böttcher hat Strafanzeige wegen Volksverhetzung erstattet, ob die Straftatbestände erfüllt werden, ist noch unklar.
Radeljic-Jakic selbst äußerte sich nicht, lässt sich von der Passauer Neuen Presse aber mit einem Augustinus-Zitat wiedergeben: "Die Wahrheit ist wie ein Löwe. Man muss sie nicht verteidigen", sagt er, sie werde sich selbst verteidigen. Klingt nicht so, als habe der Diakon seine Meinung zu "transhumanen Robotern" grundlegend geändert.