Sandro Mattioli ist Vorsitzender von "mafianeindanke". Der Berliner Verein will für die Gefahren sensibilisieren, die von der italienischen Mafia in Deutschland ausgehen, und hat auch eine Ortsgruppe in München. Als Kenner der kriminellen Organisationen warnt Mattioli davor, dass die Mafia die Corona-Pandemie zu nutzen versucht, um ihren Einfluss auszuweiten - wie zum Beispiel in Augsburg.
SZ: In Augsburg öffnet gerade wieder die Außengastronomie: Ist die Gefahr größer als vor der Pandemie, dass man eine Pizza von der Mafia serviert bekommt?
Sandro Mattioli: Wir haben in Augsburg eine relativ hohe Mafiadichte, aber daran hat Corona vermutlich nichts geändert, und nicht alle Gastwirtschaften haben einen Bezug zur Mafia. Es gibt in Augsburg aber Menschen, die an Gastwirte herantreten und Kredite anbieten.
In Augsburg lässt sich also belegen, dass die Mafia Profit aus der Pandemie schlagen will?
Ich habe für Augsburg von mehreren Quellen bestätigt bekommen, dass es solche Angebote gibt. Es wurden zwar schon vor Corona Kredite angeboten, aber die Bemühungen wurden jetzt intensiviert mit dem Verweis auf ausbleibende Hilfszahlungen des Staates und mit der Aussage: 'Wenn ihr in Not seid, können wir euch helfen'".
Wie läuft das ab?
Es ist im Grunde ganz einfach. Die italienische Szene dort ist relativ überschaubar. Da kommt dann einer und bietet einem anderen Geld oder eine sonstige Unterstützung an.
Sie kennen auch ganz konkret Personen?
Ich darf aus rechtlichen Gründen keine Namen nennen. Nur so viel: Es ist eine Person, die von Berufs wegen nicht über das nötige Kapital verfügen kann, um Kredite zu vergeben. Die Person arbeitet nicht als Top-Manager oder ähnliches, sondern übt eine Beschäftigung im gering bezahlten Bereich aus. Auch italienische Akten legen nahe, dass die Zahlungen einen illegitimen Hintergrund haben.
Also von der italienischen Mafia angeboten werden. Wissen die Gastwirte von dem kriminellen Hintergrund?
Ich bin nicht darüber informiert, wie viele diese Angebote in Augsburg angenommen haben, aber der Mafia-Hintergrund dürfte den Leuten klar sein. Wir wissen aber von solchen Fällen in Italien. Das Risiko bei solchen Krediten ist, dass die Rückzahlung nicht mehr geleistet werden kann. Die Gaststätte wechselt dann im Hintergrund den Eigentümer, was aber schwer zu erkennen ist von außen: Der Wirt wird vermutlich derselbe bleiben, der Name des Lokals auch. Damit bieten sich den mutmaßlichen Mafiosi in Deutschland, die bei dieser Masche mitmachen, neue Möglichkeiten für Geldwäsche.
Geht es also darum, um Geldwäsche?
Nicht nur. Einerseits haben die Clans große Mengen Geld zur Verfügung, die sie investieren wollen. Das gilt auch losgelöst von Corona. Zum anderen ist es für die Mafia wichtig, bestimmte Leute mit Arbeit zu versorgen. Es braucht auch Rückzugsorte für Mafiosi, die in Italien gesucht werden oder Streit haben. Und es geht immer darum, den Machtbereich auszubauen.
Aber auch die Geschäfte der Mafia müssen doch unter all den Corona-Beschränkungen gelitten haben?
Es hat sich gezeigt, dass dem nicht so war. Für Geschäftsreisen konnte man ja unterwegs sein. Wenn man den Kokainhandel allgemein anschaut, ist der weitgehend unberührt geblieben oder sogar gewachsen. Das sieht man an der Rekordbeschlagnahmung in Hamburg in diesem Jahr, 16 Tonnen Kokain. Es hat sich ja auch in der Vergangenheit gezeigt, dass kriminelle Organisationen in Krisenzeiten einen leichteren Stand haben, weil es mehr Bedarf für Hilfen und Dienstleistungen aller Art gibt.
Was kann die Polizei gegen mafiöse Kreditangebote wie in Augsburg tun?
Das ist relativ schwierig. Natürlich ist es illegal, Kredite anzubieten, erst recht mit Wucherzinsen. Aber man braucht jemanden, der das bezeugt, da dürfte sich die Polizei schwertun, weil sich so etwas im Mafiaumfeld kaum jemand traut. Grundsätzlich fehlt es auch an politischem Willen, entschieden gegen die italienische Mafia in Deutschland vorzugehen.
Da werden die Ermittler jetzt wahrscheinlich widersprechen.
Na ja, da bin ich mir nicht so sicher. Auch in Bayern könnten die Staatsanwaltschaften mehr Ermittlungen durch die Polizei veranlassen. Die Polizei kann nur das an Ermittlungen leisten, was durch Staatsanwälte und Staatsanwältinnen beauftragt wird. 2018 wurde im Zuge der Operation "Stige" ein Mafioso festgenommen, der schon lange polizeibekannt war und auch in Bayern unterwegs. Es tauchen immer wieder bayerische italienische Mafiosi auf, in verschiedenen Ermittlungen. Und generell werden immer mehr Mafiosi in Deutschland gezählt, doch das schlägt sich nicht in einer entsprechenden Zunahme an Ermittlungsaktivitäten nieder.
Inwiefern?
Aus kleinen Anfragen im Bundestag wurde ersichtlich, dass sich die offizielle Zahl der Mafiosi in Deutschland zwischen 2007 und 2017 vervierfacht hat. 2019 war die Rede von knapp 600 Mitgliedern in der Bundesrepublik, aber allein was 'Ndrangheta angeht, nannte die Bundesregierung eine Dunkelziffer von 800 bis 1000 Leuten. Und selbst das ist konservativ geschätzt, wenn man italienischen Staatsanwälten glaubt.
In Bayern geht das LKA von etwa 100 italienischen Mafiosi aus.
Ich habe mal die Mafia-Aktivitäten kartografiert in Bayern, die mir bekannt sind. Das zieht sich flächig durch, von Ost nach West und von Süd nach Nord. 100 ist vielleicht etwas zu vorsichtig geschätzt.
Es heißt immer, dass München, Augsburg und Nürnberg die Zentren der italienischen Mafia in Bayern sind. Stimmt das?
Das kann ich so nicht bestätigen, ich habe ja wenig Einblick in deutsche Polizeiakten und kenne vor allem italienische Dokumente zu Aktivitäten der 'Ndrangheta. Natürlich sind da Ballungszentren wie München und Augsburg Hotspots. Aber die italienischen Clans sind nach meinen Informationen breiter verteilt. Das Allgäu ist seit Ewigkeiten ein beliebter Ort für italienische Mafiosi, am Chiemsee gibt es Leute, in vielen ländlichen Gemeinden auch.
So etwas erkennt man durch Großaktionen der Polizei?
Bei großen Polizeioperationen, die weitgehend in Italien spielen, kommen immer wieder Bezüge nach Bayern raus. Man kann in Akten von Festnahmen lesen, die in Bayern erfolgt sind oder von Geschäftsaktivitäten oder von Kontakten, die Mafiosi nach Bayern unterhalten. Gerichtsverfahren und auch Akten zu einem Ermittlungskomplex, der "Aemilia" genannt wird, zeigen starke Bezüge der Mafia nach Augsburg. Da sind dann auch Anekdoten wie von einer Hochzeit überliefert, zu der ein Kleinbus aus Italien mit Gästen nach Augsburg kam. Die sollten unbedingt kalabrisches Süßgebäck mitnehmen.
Werden Augsburger Gastronomen auch unter Druck gesetzt, Kreditangebote anzunehmen?
Nein, die können schon ablehnen. Ich glaube auch nicht, dass es im Interesse der kriminellen Organisationen ist, Gewalt auszuüben. Das erhöht ja ihr Risiko. Wenn Gewalt im Spiel ist, werden deutsche Sicherheitsbehörden eher aktiv. Das hat die italienische Mafia nach dem Sechsfachmord in Duisburg kapiert. Sie fährt seitdem eine Linie, die auf Gewalt verzichtet, wenn es nur irgendwie möglich ist.