Debatte um Lockdown-Lockerungen:"Wir dürfen uns nicht unter Druck setzen lassen"

Coronavirus - Sitzung bayerischer Landtag

Martin Hagen, Chef der FDP-Landtagsfraktion, will notfalls gegen die Staatsregierung klagen.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Gesundheitsminister Holetschek fordert eine gemeinsame Linie der CSU. Wirtschaftsminister Aiwanger begrüßt die neue Debatte. Und die FDP droht mit Klage.

Von Dietrich Mittler

Bezüglich Lockerungen der Corona-Maßnahmen bleibt Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) seiner Linie treu, die er jüngst mit wenigen Worten auf den Punkt gebracht hat: "Wir brauchen mehr Sachlichkeit in der Debatte und eine konkrete Öffnungsperspektive. Jetzt!" Am Montag war bei Aiwanger die Freude nicht zu überhören, dass ähnliche Forderungen jetzt auch in der CSU-Fraktion laut werden. Forderungen, die Ministerpräsident Markus Söder (CSU) stets weggewischt hatte, wenn sie aus Aiwangers Mund stammten. "Endlich beginnt man, die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns ernst zu nehmen", sagte Aiwanger. Mittlerweile gebe es selbst bei den Grünen "Öffnungsforderungen, obwohl sie mich dafür noch letzte Woche angegriffen haben".

Auch Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) ist die Diskussion nicht entgangen, die Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) parteiintern angestoßen hat, indem sie eine Perspektive einforderte, wie es nach dem langen Lockdown weitergehen solle. Was die nun in Fahrt kommende CSU-interne Debatte betrifft, zeigte sich Holetschek am Montag im Münchner Presseclub aber zuversichtlich: Die Partei werde auch hier eine gemeinsame Linie finden - faktenorientiert. "Wir haben es noch immer geschafft", sagte er.

"Da ist unheimlich Druck drauf", beschrieb Holetschek die öffentliche Diskussion um den Lockdown. "Wir dürfen uns aber nicht unter Druck setzen lassen. Der Schutz der Menschen ist für uns zentral", setzte er dann nach. Es sei nicht ratsam, "vom Kurs der Umsicht und Vorsicht abzuweichen". Eines, so betonte Holetschek, wolle er auf jeden Fall nicht mehr: den ständigen Wechsel zwischen Lockerungen und neuen Lockdowns. Dieses "Auf und Ab" werde auch die Bevölkerung nicht mitmachen, ist sich der Minister sicher.

Bernhard Seidenath, gesundheitspolitischer Sprecher der CSU-Landtagsfraktion und Vorsitzender des Gesundheitsausschusses, befürwortet mit Blick auf den Schutz der Bevölkerung durchaus die bisherige Linie der Staatsregierung: "Das Virus bestimmt die Agenda", sagte Seidenath. Allerdings, es gelte auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. "Wir müssen also so schnell und so umfassend lockern, wie es geht", betonte er. Momentan seien die Zahlen auf einem guten Weg. Für ihn stehe fest: "Die nächste Regierungserklärung wird darüber gehen, wie wir aufmachen können." Die Menschen im Land bräuchten jetzt die eine oder andere Lockerung. "Der Lagerkoller ist zu groß", sagte Seidenath. Die Menschen wollten jetzt eine Perspektive sehen, im Sinne von: "Unser Durchhalten hat sich gelohnt."

Holetschek betonte im Presseclub, er habe volles Verständnis für die Sehnsucht der Bürgerinnen und Bürger nach Normalität. In der Tat sei die psychische Belastung der Bevölkerung hoch. Bezüglich Lockerungen gilt für ihn die Formel: "Perspektive ja, aber in einer nachhaltigen Form." Alles hänge davon ab, wie sich die Infektionszahlen weiterentwickeln. "Die Inzidenzwerte sinken, aber wir haben zum Beispiel Ausreißer an der bayerisch-tschechischen Grenze", sagte der Minister. Außerdem sei nicht geklärt, welche Gefahren von den neuen Corona-Mutanten ausgehen. Heißt: Nicht politischer Druck, sondern die Faktenlage entscheide darüber, wann und in welcher Form Lockerungen möglich sind. "Das ist der Maßstab für mein politisches Handeln", sagte Holetschek.

Doch es führt kein Weg daran vorbei, der Druck nimmt zu, die Kritik an den Corona-Maßnahmen der Staatsregierung wird härter - insbesondere, da längst nicht alle Lockdown-Regelungen vor Gericht Bestand haben. Jüngstes Beispiel: Der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim hat jetzt die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen in Baden-Württemberg aufgehoben. Geht es nach Martin Hagen, dem FDP-Fraktionsvorsitzenden im Bayerischen Landtag, dann wird dieses Urteil auch Auswirkungen auf den Freistaat haben: "Wir erwarten, dass die Staatsregierung die landesweite Ausgangssperre zum 14. Februar auslaufen lässt. Andernfalls werden wir gerichtlich gegen diese massive Grundrechtseinschränkung vorgehen", teilte Hagen am Montag mit. Für ihn steht fest: "Das Urteil bestätigt unsere Einschätzung, dass pauschale Ausgangssperren angesichts der deutlich gesunkenen Infektionszahlen nicht mehr angemessen sind."

Ob es tatsächlich zu einer Klage kommt, steht allerdings noch dahin. Am Mittwoch werden sich die Ministerpräsidenten der deutschen Länder erneut mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) über weitere Corona-Maßnahmen austauschen. Aktuell gilt der Lockdown noch bis 14. Februar - Ende ungewiss.

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