Sicherheitspolitik:"Letzte Generation" ist kein Fall für den bayerischen Verfassungsschutz

Lesezeit: 3 min

Innenminister Joachim Herrmann (CSU) stellt während einer Pressekonferenz im Innenministerium den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022 vor. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Von wegen "Klima-RAF" - der neue Bericht der Behörde sieht die Protestgruppe im bürgerlichen Milieu verankert. Die Zahl der "Reichsbürger" im Freistaat ist hingegen auf einen Rekordwert gestiegen.

Von Johann Osel

Die Bewegung "Letzte Generation", die durch Festkleben auf der Straße und andere Protestaktionen von sich reden macht, ist kein Fall für den bayerischen Verfassungsschutz. Diese Aktivisten sowie auch die radikale Umweltschutzgruppe Extinction Rebellion seien "nicht geprägt oder gesteuert durch Linksextremisten, sondern immer noch im bürgerlichen Potenzial verankert", sagte Verfassungsschutzpräsident Burkhard Körner am Montag. Die Klimakleber begingen zwar Straftaten, hätten damit aber nicht das Ziel, "sich gegen den Staat, die Demokratie oder die Würde des Menschen zu richten".

Zusammen mit Innenminister Joachim Herrmann (CSU) stellte Körner den Bericht seines Hauses für das Jahr 2022 vor. Generell versuchen demnach Linksextremisten das Thema Klimaschutz zu kapern und den "Kampf gegen vermeintlich herrschende Klassen" sowie "die Bekämpfung des freiheitlich-demokratischen Staates" in die Bewegungen zu tragen - bei der "Letzten Generation" (LG) wie auch bei "Fridays for Future" (FFF). Diese Bestrebungen seien aber, abgesehen von Einzelpersonen, "bislang erfolglos", heißt es im Bericht, es sei kein prägender Einfluss erkennbar. "Weder die LG noch FFF sind Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzes."

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Anders sei dies bei der Gruppe "Ende Gelände" - in Bayern mit Ortsgruppen unter anderem in Augsburg, Nürnberg, Passau und Regensburg -, bei der Szeneangehörige eine tragende Rolle einnähmen. Herrmann hatte bereits im SZ-Interview vor einigen Monaten das Mittel der Präventivhaft gegen Klima-Kleber verteidigt. Der These des CSU-Landesgruppenchefs Alexander Dobrindt, es drohe eine "Klima-RAF", wollte sich der Innenminister schon damals jedoch nicht anschließen.

Eine zentrale Erkenntnis des Berichts, erklärte Herrmann: "Die andauernde Krisenlage stellt unsere Demokratie auf eine Belastungsprobe." Extremisten jeglicher Couleur nutzen die Entwicklungen, um Misstrauen gegen den Staat und seine Institutionen zu säen. Ebenfalls feststellbar: Die Grenzen zwischen Extremismus-Bereichen verschwimmen. "Verschwörungstheorien, Fake News, Hass und Hetze vor allem im Internet haben viele Überschneidungspunkte mit extremistischen Ideologien. Über dieses Einfallstor können sich demokratiefeindliche Vorstellungen leichter in der Gesellschaftsmehrheit verbreiten."

5360 "Reichsbürger" verzeichnet die Statistik, 450 davon sind gewaltorientiert

Der Szene der "Reichsbürger" werden 5360 Personen (450 davon gewaltorientiert) zugeordnet, ein Rekordhoch. Dies ist laut Herrmann krisenbedingt - von den Ausläufern der Pandemie bis hin zu Krieg und Inflation; aber es hänge auch damit zusammen, dass man "jedem noch so kleinen Hinweis auf reichsbürgertypische Aktivitäten" nachgehe. So werden all die Schreiben unter anderem an Gemeinden oder Landratsämter, die behördliche Befugnisse negieren und nicht selten unter Erpressung oder Nötigung fallen, konsequent dem Kontext zugeordnet. Seit Georgensgmünd, als 2016 ein "Reichsbürger" einen Polizisten erschoss, begannen die Behörden zudem damit, Personen aus dem Spektrum zu entwaffnen; also die Waffenerlaubnis zu widerrufen (schon 525 Fälle insgesamt) und Pistolen oder Gewehre einzuziehen (fast 1100 Stück bisher).

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Der Rechtsextremismus geht im Trend weg von klar umrissenen Strukturen wie Parteien. Von den knapp 2600 definierten Szeneangehörigen gehört inzwischen mehr als die Hälfte einem unstrukturierten Potential an, etwa Internet-Aktivisten. Aktuell stelle man fest, dass die Szene ihre Agitation vor allem gegen Migranten verstärke, so Herrmann. "Sie versucht insbesondere Proteste von Bürgerinnen und Bürgern gegen die Unterbringung von Asylbewerbern zu beeinflussen". Er schließe nicht aus, dass dies mittelfristig zu einem erneuten Anstieg von Straftaten führen könnte. 2022 waren sie rückläufig.

Die 70 Mitglieder der AfD-Nachwuchsorganisation finden sich auch im Verfassungsschutzbericht

In der AfD rechnet der Verfassungsschutzbericht derzeit nur die 70 Mitglieder der Jungen Alternative der rechtsextremistischen Szene zu. Der völkische "Flügel" der Partei ist formal aufgelöst und wird daher mit null Personen beziffert. Gleichwohl plant das Landesamt dauerhaft die Beobachtung der gesamten bayerischen AfD; dazu ist derzeit noch eine Klage der Partei im Hauptverfahren anhängig. In einem Zwischenschritt hatte das Verwaltungsgericht München kürzlich die Behörde gestärkt. Im Bericht findet sich das noch nicht.

Behördenchef Körner erklärte, dass sich die AfD gezielt auf Plattformen im Netz bewege, die versuchten, die Gesellschaft zu spalten. Auch würden Teile der AfD die Menschenrechte von Ausländern und Bürgern mit Migrationshintergrund verletzen. Ferner verstoße die AfD gegen das Demokratieprinzip, was sich in gängig gebrauchten Formulierungen wie "Systempresse" und "Kartellparteien" zeige.

In der linksextremistischen Szene sinkt laut Herrmann die Mobilisierungskraft. Beim G-7-Treffen vergangenen Sommer auf Schloss Elmau hätten "Aufrufe, den Gipfel zum Desaster zu machen, keinen Widerhall gefunden". Kürzlich hatte der Minister im Innenausschuss des Landtags eine positive Bilanz dazu gezogen. Besorgniserregend sei jedoch "eine fortschreitende Radikalisierung" der linksextremistischen Szene, "Übergriffe werden gezielter, persönlicher und professioneller". Dem salafistischen Spektrum in Bayern ordnen die Verfassungsschützer 690 Personen zu, davon sei gut jeder Fünfte gewaltbereit. Die Bedrohung durch islamistisch motivierte Einzeltäter, meist ohne Anbindung an Terrorgruppen, bestehe nach wie vor. Herrmann erinnerte an den Messerangriff eines Afghanen im September in Ansbach. Die Ermittlungen haben inzwischen die Terrorexperten der Generalstaatsanwaltschaft München übernommen.

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