Süddeutsche Zeitung

Neues Schuljahr:An Bayerns Schulen fehlen Hunderte Lehrer

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Wie groß der Mangel genau ist, das weiß nicht mal der Kultusminister. Er setzt zum Ende der Ferien darauf, dass es trotz aller Krisen schon irgendwie gehen wird.

Von Anna Günther, München

Den guten Rat des Kultusministers zum neuen Schuljahr gab es zu Beginn und gratis: "Gerade in diesen schwierigen Zeiten würde ich dazu raten, ein bisschen mehr Freude und Optimismus zu empfinden", sagte Michael Piazolo (Freie Wähler) am Donnerstag. Freude, dass das neue Schuljahr am Dienstag für gut 100 000 Lehrer sowie 1,7 Millionen Mädchen und Buben losgeht. 130 000 von ihnen kommen in die erste Klasse, das sind acht Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Optimismus, dass trotz der großen Krisen schon alles gut gehen werde. Diese positive Einstellung Piazolos teilen draußen im Land nicht alle Schüler, Lehrer und Eltern, zu groß sind die Herausforderungen: der teils dramatische Lehrermangel etwa, oder die Sorge vor der nächsten Corona-Welle und womöglich neuem Distanzunterricht. Für sie gilt Piazolos andere Botschaft: Angesichts der Krisen dürfe niemand erwarten, dass alles wie üblich laufe.

Die guten Nachrichten zuerst: Präsenzunterricht bleibe oberstes Ziel und zu Schuljahresbeginn werde es keine Maskenpflicht und keine verpflichtenden Corona-Tests geben, sagte der Minister. Schülern wie Lehrern werde nur empfohlen auf Begegnungsflächen wie Fluren Mund-Nasenschutz zu tragen. Wer krank sei, solle daheim bleiben. Schulleiter sind dazu angehalten, in den ersten zwei Schulwochen insgesamt sechs Schnelltests an jeden Schüler auszugeben. Getestet wird daheim, freiwillig.

So will das Kultusministerium nach Ferien und Volksfesten ein Mindestmaß an Sicherheit erreichen. Aber es müsse auch ein "Gleichklang" zwischen Schule und Gesellschaft hergestellt werden, sagte Piazolo. Wiesn draußen und strenge Regeln in den Schulen, das gehe nicht zusammen. "Von den Zahlen her gibt es keinen Anlass, zu besonders strengen Maßnahmen zu greifen." Allerdings gilt die Inzidenz aus Sicht der Experten als kaum aussagekräftig und die Dunkelziffer dürfte hoch sein. Am Lüften im Winter will Piazolo festhalten, frieren sollen die Schüler aber nicht. Er werde sich "für die Schulen einsetzen".

Die Zahl der Referendare gehe zurück

Wenig Grund zu Optimismus bietet dagegen das größte Problem der Schullandschaft: der Lehrermangel. Zwar sei die Lehrerversorgung aktuell "solide", aber man müsse sehen, was das Jahr bringe. Wortreich versuchte der Minister zu erklären, wie es zu dieser Situation kommen konnte. Gepennt habe sein Haus jedenfalls nicht. Es gebe mehr Studienplätze fürs Grundschullehramt, Imagekampagnen, Umschulungen für Realschul- und Gymnasiallehrer, die an Grund- oder Mittelschulen arbeiten wollen. 4000 Lehrer seien eingestellt worden. Nur gebe es auch mehr Schüler in Bayern, diese brauchten noch mehr Lehrer. Aber die Zahl der Referendare gehe zurück, der Markt habe sich verändert, sagte der Kultusminister, und mit Corona-bedingten Krankheitsfällen oder dem Ukrainekrieg habe niemand rechnen können. 30 000 ukrainische Kinder und Jugendliche sind schulpflichtig und sollen an Bayerns Schulen mitlernen.

Nichtsdestotrotz ist Fakt, dass die Situation an Grund-, Mittel- und Förderschulen extrem angespannt ist. Hunderte Lehrer fehlen noch. Wie viele es genau sind, konnte Piazolo nicht sagen. Die Anstellungen an diesen Schularten laufen über die Bezirksregierungen, die keine endgültigen Zahlen gemeldet hätten. Nahezu jeder Lehrer wurde eingestellt, darüber hinaus sollten die Regierungen alle Register ziehen, also Pensionisten, Studierende und sonstwie geeignete Leute anstellen, um die Unterrichtsversorgung zu sichern. Trotzdem berichten Schulleiter, dass sie Stunden und Angebote streichen müssen.

Eine schnelle Lösung für den Lehrermangel scheint Piazolo nicht zu sehen. Er verwies auf eine neue Kampagne, die jungen Leuten den Job schmackhaft machen soll. Und was ist mit mehr Geld? Das könnte abwandernden Lehrernachwuchs vielleicht halten. Er stehe zu seiner alten Forderung, allen Lehrern A 13, also das gleiche Einstiegsgehalt zu zahlen, sagte Piazolo. Bisher verdienen Grund- und Mittelschullehrer etwa 700 Euro weniger als ihre Kollegen. Das Aber folgte prompt. "Wieso haben wir das nicht durchgesetzt? Naja, das ist halt so in einer Koalition." Die CSU ist dagegen.

Schwangere Lehrerinnen dürfen nicht in die Schulen

Die schnellste Lösung könnte die Abschaffung des Betretungsverbots für Schwangere sein. Wegen der Corona-Pandemie dürfen schwangere Lehrerinnen ihre Klassen nicht in Präsenz unterrichten. Das Verbot werde diskutiert, sagte Piazolo, "es kann sein, dass sich da was tut". Bisher verwies man im Kultusministerium stets darauf, dass für Arbeitsschutz das Sozialministerium zuständig sei. Dort hieß es nun, dass aber die Rechtsgrundlage fürs Betretungsverbot der schwangeren Lehrerinnen allein Piazolos Sache sei. Die entsprechende Allgemeinverfügung könne er einfach ändern. Dann könnten einige der 3000 schwangeren Lehrerinnen wieder in die Klassen. Schulleiter berichten jedenfalls, dass einige Frauen unterrichten wollen. Momentan erteilen sie Distanzunterricht oder übernehmen Verwaltungsjobs. Ersatz für Präsenz sei das nicht.

Schnelle Abhilfe könnten auch Tausende Teilzeitkräfte schaffen, die an Bayerns Schulen arbeiten. Wenn sie aufstocken würden. Bedingung: Die Arbeit muss attraktiver werden. Das ergab kürzlich eine Umfrage der Gymnasiallehrer, dies forderte der Bayerische Elternverband am Donnerstag stellvertretend und auch die Realschullehrer wünschten sich weniger Zusatzaufgaben und mehr Fokus auf das "Kerngeschäft Unterricht". Die SPD-Landtagsfraktion fordert zudem mehr Sold, also A 13 für alle, und Entlastung der Lehrer durch Zusatzpersonal wie IT-Techniker oder Verwaltungsangestellte. Matthias Fischbach (FDP) attestierte dem Minister gleich "fehlende Gestaltungskraft". Statt mit "stoischer Gelassenheit" über die fehlenden Stellen zu sprechen, müsse Piazolo Ausbildung, Auswahl und Anstellung der Lehrer reformieren.

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