Landgericht Augsburg Lebenslange Haft für Dreifachmord an Nachbarn gefordert

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Polizisten stehen vor einem Haus in Langweid, in dem drei Menschen erschossen wurden.
Polizisten stehen vor einem Haus in Langweid, in dem drei Menschen erschossen wurden. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Ein Sportschütze soll drei Nachbarn in Langweid erschossen haben, weil er die jahrelangen Streitereien satthatte und endgültig beenden wollte. Nun haben Staatsanwalt, Nebenkläger und Verteidiger das Wort.

Von Florian Fuchs, Augsburg

Ganz in Schwarz ist der Angeklagte gekleidet am Tag der Plädoyers. Schwarze Hose, schwarzer Pullover, schwarze Brille. Drei Menschen hat er im Sommer vergangenen Jahres in Langweid getötet, zwei weitere angeschossen, daran lässt selbst sein Verteidiger keine Zweifel. Aber sogar als die Nebenklagevertreterin Isabel Kratzer-Ceylan ihn direkt anspricht, als sie ein Schreiben des 15 Jahre alten Sohnes eines von ihm getöteten Ehepaars vorliest, da ist von Trauer keine Spur, da zeigt der Angeklagte kaum eine Regung. „Diese Taten sind in einem Maße verabscheuungswürdig, dass man es gar nicht in Worte fassen kann“, sagt die Juristin. „Das war kein fremder Anteil von Ihnen. Das waren Sie. Sie werden damit leben müssen, dass Sie das waren.“ Der Richter blickt zum Angeklagten, die Zuschauer sehen ihn an: Der 65-Jährige aber schüttelt erst dann leicht mit dem Kopf, als er sich anhören muss, dass er sich allzu gerne als Opfer geriere.

Die Persönlichkeit des mutmaßlichen Dreifachmörders steht an diesem Prozesstag im Vordergrund der Plädoyers. Ein laut Auffassung der Anklage und der Nebenklagevertreter absurdes Privatgutachten ist ausführlich Thema, das seine Verteidigung in Auftrag gegeben hatte und das eine psychische Ausnahmesituation des Angeklagten während der Tat bezeugen soll. Verteidiger Walter Rubach erkennt eine eingeschränkte Schuldfähigkeit bei seinem Mandanten, Staatsanwalt Thomas Junggeburth will das nicht gelten lassen: Am Ende fordert er eine lebenslange Freiheitsstrafe mit besonderer Schwere der Schuld, wonach eine Entlassung nach 15 Jahren Haft nur schwer möglich wäre.

„Eiskalt“ nennt der Staatsanwalt das Vorgehen des Rentners am Tag der Tat. Immer wieder gab es Streit mit seinen Nachbarn, so auch Ende Juli 2023. Diesmal aber, so sagte es der Angeklagte seiner Frau am Telefon, habe es ihm den Vogel rausgehauen. Der Rentner, so schildert es der Staatsanwalt, habe gewartet, bis seine Nachbarn nach Hause kamen, dann sei der Sportschütze zu seinem Waffenschrank gegangen, habe seine Waffe entnommen, sie geladen, habe ein Ersatzmagazin geladen und den Schalldämpfer sowie einen Ohrenschutz geholt.

Er habe seinen Nachbarn aufgelauert, das erste Opfer aus einer Distanz von 70 Zentimetern mit einem Genickschuss getötet, habe sich umgedreht, habe zweimal auf dessen Ehefrau gefeuert und sei ein Stockwerk tiefer zur Tür anderer Nachbarn gegangen, durch die er auf Höhe des Türspions gefeuert und so eine weitere Frau getötet habe, die hinter der Tür gestanden habe und sehen wollte, was im Treppenhaus des Mehrfamilienhauses vor sich ging. Anschließend sei der Angeklagte mit dem Auto zum Sohn der zuletzt getöteten Nachbarin gefahren, ihn und seine Lebensgefährtin habe er auch töten wollen. Mit vier Schüssen durch die Eingangstür verletzte er die beiden schwer.

Der Angeklagte habe nicht wahllos geballert, argumentiert der Staatsanwalt, er sei zielgerichtet vorgegangen. Sogar den Waffenschrank habe er wieder ordentlich verschlossen. Nach der Festnahme habe er den Polizisten gesagt: „Ich bin der, den Sie suchen.“ Die Komplexität, mehrere Tatorte, die Aussagen, all dies lässt Staatsanwalt Junggeburth zu dem Schluss kommen, dass der Angeklagte voll schuldfähig ist – da ändert auch die umstrittene Einschätzung der von der Verteidigung geladenen Gutachterin Hanna Ziegert aus München nichts.

Die Psychoanalytikerin hatte im Prozess einen teils bizarren Auftritt, in dem sie, wie die Nebenklage kritisierte, „alle Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens“ verlassen habe, um zu dem Schluss zu gelangen, der Angeklagte leide unter anderem an einer Angststörung. Der Staatsanwalt hielt der Gutachterin vor, mit veralteten Methoden und aus der Luft gegriffenen Schlussfolgerungen zu arbeiten, nicht einmal zentrale Akten des Prozesses habe sie für ihr Gutachten herangezogen. „Das ist kaum mit den Mindestanforderungen an ein psychiatrisches Gutachten vereinbar.“

Selbst Verteidiger Rubach ging auf die Argumentation seiner Gutachterin eher halbherzig ein, die von ihm erkannte eingeschränkte Schuldfähigkeit leitete er in seinem Plädoyer lieber selbst ab: Der Angeklagte, da sei er sich mit Staatsanwaltschaft und Verteidigung einig, sei impulsiv, die Tat erscheine planmäßig und zielgerichtet. Weil er zunehmend sozial isoliert gewesen sei – nicht einmal mit seiner Ehefrau habe er noch normalen Kontakt gepflegt -, sei sein Mandant aber in seine eigene, falsche Welt abgedriftet, ohne Bezug zur Realität. Zumindest könne deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass er eingeschränkt schuldfähig sei, was den Strafrahmen verschiebe, hin zu drei bis 15 Jahren Haft.

Die Blackout-These der Verteidigung, kritisierte Nebenklagevertreterin Kratzer-Ceylan, habe die Angehörigen der Opfer während des Prozesses schwer belastet. Die Juristin verlas am Ende ihres Plädoyers ein an den Angeklagten gerichtetes Schreiben des 15 Jahre alten Sohnes des getöteten Ehepaars. Nie mehr könne er mit seinen Eltern und dem Wohnwagen in den Urlaub nach Italien, nie mehr mit ihnen Ausflüge machen. Der Angeklagte habe grundlos Streit angefangen und die Familie grundlos bedroht. „Ich hoffe“, schreibt er, „Sie bleiben für immer weggesperrt.“

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