Landtagswahl in Bayern:Da bröckelt was

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Solnhofen im Altmühltal, 1867 Einwohner, hat eine "Bomben-Zugverbindung", wie sie hier sagen - und zuletzt so durchschnittlich gewählt wie kein anderer Ort. (Foto: Martin Moser)

Wer sich in Solnhofen umhört, der erfährt: "Die CSU kriegt auf den Rüssel". Ortsbesuch in einem Dorf, das so wählt wie Bayern.

Reportage von Elisa Britzelmeier, Christian Endt und Martin Moser

Der Schäfer hat Angst. Er hält zwei Packungen Suppengemüse unter dem Arm, trägt krausen Vollbart, Hut, Handwerkerhose, so steht er bei Lebensmittel Thoma im Laden. Er wollte nur kurz einkaufen gehen. Aber wenn man ihn nach der Landtagswahl fragt, dann redet er als erstes von der Angst. Der Angst, dass die AfD stark wird in Solnhofen. Noch stärker. 14 Prozent waren es bei der Bundestagswahl. Der Schäfer sagt: "Das Problem ist, dass keiner zufrieden ist."

Solnhofen, 1867 Einwohner, Altmühltal, der letzte Zipfel von Mittelfranken. Ein Dorf, wie es viele gibt in Bayern, zwischen Hängen in einer Flussschleife, nicht bilderbuchschön, nicht hässlich. Die Altmühl ist so träge, dass man nicht sagen kann, in welche Richtung sie fließt. In den Gärten wachsen prächtige Blumen, nur bei der Anstrichfarbe greifen manche Hausbesitzer leicht daneben. Solnhofen ist Durchschnitt. Vor allem, was das Wahlverhalten angeht: Bei den letzten Wahlen stimmten die Solnhofener in etwa so wie ganz Bayern. Kein Ort kommt dem landesweiten Ergebnis näher. In Solnhofen sollten sie also wissen, was Bayern bewegt.

Über das Rathaus und auf die Homepage schreibt Solnhofen sich ein Motto: "Die Welt in Stein". Der Stein ist überall, es gibt Steinbrüche, Fossiliensammlungen, ein paläontologisches Museum samt Archaeopteryx. Aber wer sich umsieht in Solnhofen, spürt: Da bröckelt was.

Im Dorfladen

Der Solnhofener, sagt Günter Thoma, ist bockig und zugänglich zugleich. Man verliert nicht viele Worte, es geht ein bisschen zu wie auf der Baustelle, sagt er. SOLNhofen übrigens, Betonung vorne, am besten genuschelt. Thoma gehört der Dorfladen, der einzige im Ort. Früher gab es mal einen Supermarkt. Hat sich aber nicht gelohnt. Deswegen stapelt sich bei Lebensmittel Thoma nun Nescafé auf Pulmoll, deswegen hat er alles da, es türmt sich bis zur Decke: Tabak, Rama, tiefgefrorenes Hackfleisch, Waschmittel, Zeitschriften, Salat, Tomaten, Wunderbaum Geruchsnote "Wild Child".

Deswegen ist auch der Schäfer da, der hofft, dass die AfD nicht gewählt wird. Dieses Gerede von Überfremdung, was für ein Unsinn, sagt der Schäfer. "Uns geht's doch gut" sagt er, in Deutschland, in Bayern, in Solnhofen. Sei doch alles da, "Metzger, Getränkemarkt, zwei Bäck". Dass die Grünen gut abschneiden könnten, macht ihm ebenso Sorgen. Weil die "den Wolf" wollten. Er als Schäfer ist dafür, den Wolf abzuschießen. Das sei so ein Thema, von dem die Stadtbevölkerung keine Ahnung habe, sagt er.

"Die CSU jedenfalls kriegt sowas von auf den Rüssel", ruft Thoma dazwischen, dann muss er schon wieder ans Telefon, Bestellungen entgegen nehmen. Helene ist dran. Wenn Thoma den Laden zusperrt, fährt er eine Runde durchs Dorf, für alle, die nicht bis zum Geschäft laufen können oder mögen. Helenes Stimme scheppert durch den Lautsprecher, sie braucht Salz, Tabak - "den LM rauchst du, nä?" - und noch etwas, Thoma errät irgendwann, dass sie Fondor meint. Zu ihm kommen die Leute nicht nur zum Einkaufen, sondern auch um zu erfahren, wer sich wo wie aufgeführt hat, sie reden vom Fußball oder erzählen vom Urlaub. Ein paar Kilometer weiter ist schon Eichstätt, Oberbayern, das hört man auch am Dialekt. Die Solnhofener klingen mal sehr fränkisch, dann wieder etwas bairisch. "Adé" sagt man hier zur Verabschiedung, und man geht eben nicht zum Bäcker, sondern zum "Bäck".

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Bei Lebensmittel Thoma gibt es alles, was man braucht. Deswegen stapelt es sich auch bis unter die Decke.

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Die Hälfte der Solnhofener ist noch evangelisch, Tendenz abnehmend.

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Touristen kommen mit E-Bikes, Kanus und Trekkingkleidung oder um sich das Fossilien-Museum anzusehen.

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(Foto: Martin Moser)

Die Zugverbindung ist gut - aber Bahnübergang und Altmühl trennen Solnhofen in zwei Teile.

Ein Herr mit Korb stolpert herein, er wollte Kuchen backen, hat die Eier vergessen, eine Mutter kommt mit ihrem Kind. Eigentlich sei das ein angenehmer Ort, sagt eine andere Kundin, die seit vier Jahren hier lebt. Günter Thoma hätte nicht gedacht, dass sie es länger als ein Jahr aushält, "weil ich den Ort kenn, weil er einfach langweilig ist!"

Nebenan verkauft Thoma in seinem zweiten Laden ein Stück der Welt aus Stein an die Touristen. Mineralien und Fossilien, "Versteinerungen" steht über dem Eingang, das Wort sieht selbst schon fast versteinert aus. Mit dem Tourismus geht es bergab, sagt Thoma. Früher hatten sie sieben oder acht Gasthäuser hier, jetzt sind es noch drei. Und das Hotel im Ortskern ist eine Flüchtlingsunterkunft.

Nur auf der Rückseite steht der Name des Hotel Adler noch an der Hauswand, vorne wurde er überstrichen. (Foto: Martin Moser)

Das Hotel Adler

Die Älteren gingen in ihrer Jugend hier ins Dorf-Kino und in die Gaststätte, später führten es die Besitzer als Hotel Adler weiter. Unten ein Frühstücksraum, oben die Zimmer. Radfahrer und Biker übernachteten in Solnhofen. Sie fanden alles, was sie brauchten, Zimmer, Dusche, Frühstück.

2015, als viele Flüchtlinge ankamen, sollte sich das ändern. Die Regierung suchte dringend Unterkünfte - und der Besitzer des Hotel Adler nutzte die Gelegenheit. Eine sichere Einnahmequelle auf Jahre. "Hätte ich nicht anders gemacht", sagt der Lebensmittelhändler Thoma. "Kann ich verstehen", sagt der Bürgermeister. Doch seitdem gibt es kein Hotel mehr im Dorf. Der Schriftzug mit dem Namen wurde mit roter Farbe überpinselt. Die Flüchtlinge kamen, gleichzeitig hat der Tourismus sich verändert. Manche im Dorf wittern da einen Zusammenhang. Die Touristen kommen mit Kanus oder E-Bikes, sie bleiben vielleicht ein paar Stunden. Für Solnhofen heißt das: weniger Einnahmen durch Langzeitgäste.

In der Flüchtlingsunterkunft

Im Ort gab es erst Ängste, sagt Ute Grimm. Wie das alles werden soll mit den vielen jungen Männern. Das habe sich alles wieder gelegt, weil es keine größeren Probleme gebe. In Solnhofen wären die Flüchtlinge eigentlich kein Grund die AfD zu wählen. Auch deswegen hat Grimm deren starkes Abschneiden besonders erschreckt.

In Solnhofen, das sagt der Bürgermeister, funktioniert es, weil alle wollen, dass es funktioniert. Er sagt auch: Es liegt vor allem an Ute Grimm. Sie ist SPD-Ortsvorsitzende und arbeitet in der Gemeindeverwaltung, besonders engagiert sie sich für die Flüchtlinge im Ort. 88 geflüchtete Männer, Frauen und Kinder leben hier. Am Birkenhain, in einem kleinen Haus mit vielen Fahrrädern vor der Tür, sind 17 Männer aus Afrika untergebracht.

Ute Grimm führt zusammen mit Mustafa Omar aus Somalia durch die Unterkunft, in der schmucklosen Küche rückt Omar die Stühle zurecht. Später kommt auch der Bürgermeister dazu, er grüßt alle mit Handschlag. Beim Thema Integration, sagt Grimm, "hält sich der Staat ja sauber zurück." Der Bürgermeister ergänzt: "Wir haben eine Willkommenskultur, aber keiner sagt wie." Also macht Grimm eben einfach.

Ute Grimm ist vieles zugleich: Flüchtlingshelferin, SPD-Ortsvorsitzende, Mitarbeiterin in der Gemeindeverwaltung. (Foto: Martin Moser)

Sie erzählt vom bürokratischen Irrsinn, den sie erlebt; von falschen Dolmetschern, vom Nachhaken beim Bamf und der Regierung von Mittelfranken; vom "Wust am Landratsamt", um wenigstens ein paar Flüchtlinge für die Gemeinde arbeiten lassen zu können, für 80 Cent die Stunde. Sie hat durch die Kommunalpolitik gute Kontakte. Andere Flüchtlingshelfer haben die nicht.

Mustafa Omar sagt, dass man sich grüßt auf der Straße. Er hat im Bauhof mitgearbeitet, war viel draußen, hat gemäht, den Friedhof sauber gehalten, seitdem kennen ihn alle und er kennt auch alle, sagt er. Gerüchte kursieren trotzdem, sagt Ute Grimm. Darüber, was Flüchtlinge angeblich alles bekämen - wenn sie dann sagt, dass jeder von 350 Euro leben muss, seien viele erstaunt.

"Dass in Deutschland inzwischen Flüchtlinge die Sündenböcke für alles sind, ist klar", sagt Grimm. "Es ist eine gefühlte Benachteiligung da, aber ganz oft bei Leuten, die überhaupt nicht benachteiligt sind." Einer von Mustafa Omars Mitbewohnern kommt mit einem "Servus" in die Küche, sie sind vom Einkaufen zurück, 13 Kilometer bis nach Treuchtlingen, wo es einen Discounter gibt.

Beim Bürgermeister

Bürgermeister Manfred Schneider ist von der SPD. Im Landtagswahlkampf baut er wie immer mit seinen Genossen vor der Metzgerei einen SPD-Infostand auf. Plakate, Schirmchen, kaum einer bleibt stehen, erzählt er in seinem Büro. Keine Zeit, keine Lust auf Politik. Von den SPD-Landespolitikern habe sich seit vier Jahren auch keiner im Dorf blicken lassen, sagt Schneider. Dabei liegt der Bahnhof nur 100 Meter vom Rathaus entfernt, direkte Verbindung nach München, ohne Umsteigen.

Bürgermeister Manfred Schneider hat das Gefühl, mit seinen Anliegen nicht zur SPD-Führung durchzudringen. (Foto: Martin Moser)

Früher kam noch Renate Schmidt. Mit ihr marschierten die Solnhofer Genossen dann durchs Dorf und diskutierten mit den Leuten. Und heute? "Der einzige, der wirklich für uns da ist, ist der Manuel Westphal von der CSU", sagt Bürgermeister Schneider - ein SPD-Bürgermeister lobt einen CSU-Landtagsabgeordneten. Von ihm bekomme er wichtige Informationen aus dem Landtag, die SPD dagegen schickt allgemeine Newsletter. Liest Schneider gar nicht erst.

Im Solnhofener Gemeinderat sitzen CSU, SPD und Freie Wähler zu gleichen Teilen. Solnhofen war schon immer ein bisschen linker und offener anderen gegenüber, sagt man. Ein rotes Dorf. Der Grund dafür liegt einige hundert Meter weiter oben am Berg, beim Steinbruch: Die Arbeiter waren früher alle Sozialdemokraten. Erst kamen die Italiener, Spanier und Portugiesen, dann viele Türken. In den vergangenen Jahren ist der Zuspruch für die CSU gewachsen, sagt der Bürgermeister. Und am Ende zog sie an der SPD vorbei. Bei der Bundestagswahl hatte sie 36,9 Prozent, die SPD kam auf 23,9 Prozent.

Grünen-Wähler gebe es sicherlich, sagt der Bürgermeister. Schwer zu sagen wie viele es jetzt sind, zuletzt stimmten 5,8 Prozent für die Partei. Einen eigenen Ortsverband haben sie nicht mehr. Weil den irgendwann nur noch "die Ursula" aufrecht erhielt. Und die ist gestorben.

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Rente, Steuerbelastung, Einstehen fürs arbeitende Volk, wegen so etwas war die SPD hier früher stark. Doch jetzt fühlen sich die Leute durch die Partei nicht mehr richtig vertreten, sagt Schneider. "Ich bin mir sicher, einige von denen haben AfD gewählt bei der Bundestagswahl." Er hofft, dass es eine einmaliger Denkzettel war. Dass die Protestwähler jetzt für eine demokratische Partei stimmen - "und wenn sie die Grünen wählen." Aber sicher ist er sich da überhaupt nicht.

Was also nun bewegt den durchschnittlichen Solnhofener? "Eigentlich geht's den meisten hier ganz gut, aber viele denken, es sei immer noch nicht gut genug", sagt der Bürgermeister, "selbst die Arbeitslosigkeit ist kein Thema bei uns". Die Quote liegt bei 2,4 Prozent, er weiß, dass das die Leute sind, die einfach nicht arbeiten wollen. Man kennt sich ja.

"Woran es liegt, dass der Einzelne sich nicht wohl fühlt, obwohl es uns allen so gut geht", so heißt ein Buch, an dem der Protagonist in der Helmut-Dietl-Serie "Der ganz normale Wahnsinn" arbeitet. Es könnte ebenso gut vom Gemütszustand der Solnhofener handeln.

Birgit Güllich verkauft ihr Solnhofener Klosterbrot bis nach Ingolstadt und München. Für die CSU sitzt sie im Gemeinderat. (Foto: Martin Moser)

In der Klosterbäckerei

Bei der vergangenen Wahl war Birgit Güllich erschrocken über die vielen blöden Sprüche auf den Wahlzetteln. Sie zählte als Wahlhelferin die Stimmen mit aus. Viele haben ihren Ärger zu Papier gebracht und dadurch ungültig gewählt. Güllich ist hier geboren, Ursolnhoferin, sie führt die Klosterbäckerei und sitzt für die CSU im Gemeinderat. Sie spricht von einer "Gesamtunzufriedenheit" in Solnhofen. Sie ist ja selbst manchmal unzufrieden und hat das Gefühl, dass in der Landespolitik zuletzt vieles nur aus Wahlkampftaktik passiert ist. Auch in ihrer Partei.

Die Gemütslage der Solnhofener hat viele Ursachen, die nicht einfach zu erklären sind. Eine könnte auch sein: In China wurde eine billigere Alternative zur Solnhofer Platte gefunden, dem Kalkstein, für den Solnhofen berühmt ist, verwendet als Fliese oder Bodenbelag. Nur Fachleute merken den Unterschied. Seitdem geht es bergab im Steinbruch. Die Gewerbesteuereinnahmen sinken. Die Menschen beginnen, das in ihrem Alltag zu spüren. Ein Anbau am Kindergarten lässt sich nicht länger verschieben. Aber eigentlich müsste die Gemeinde sechs Straßen sanieren.

Güllich erzählt von Markus Söder und einem Besuch, als er noch nicht Ministerpräsident war. Der habe das Museum hochgelobt, aber wenig Geld da gelassen. "Eichstätt dagegen hat richtig abgesahnt", sagt Güllich. "Da war ich sehr enttäuscht vom Herrn Söder."

Im Pfarramt

Pfarrer Bauer-Störch empfängt in einem ehemaligen Kontor, die evangelische Kirche hat es im 18. Jahrhundert übernommen: Rosa Fassade mit Fensterläden, Rosen ranken sich am Hauseck empor. Innen schlichter Sechzigerjahre-Stil, Kreuz, viele Akten und Papier - ein Pfarramt eben. Gemeinsam mit seiner Frau teilt sich Jürgen Bauer-Störch die Stelle.

Pfarrer Bauer-Störch erlebt bei Hausbesuchen, wie das Dorfleben sich verändert - und gerade für alte Leute zum Problem wird. (Foto: Martin Moser)

Jeder zweite hier ist evangelisch. Tendenz leicht abnehmend. Die älteren kommen noch zu ihm in den Gottesdienst. Seit zehn, fünfzehn Jahren ändert sich das Leben hier. Die Jungen wohnen lieber im Neubaugebiet, statt in den alten Jurahäusern im Dorf mit den kleinen Fenstern. Immer mehr kommen gar nicht aus der Region, pendeln vielleicht zu Audi in Ingolstadt zur Arbeit und ihre Kinder müssen nach der dritten Klasse eine Schule an einem anderen Ort besuchen. Dass nicht mehr alles ist wie früher, beunruhigt einige.

Bei seinen Hausbesuchen trifft der Pfarrer Menschen, die von einer kleinen Rente leben, erzählt er. Alte Leute, die ihr Leben lang im unteren Lohnsektor gearbeitet, sich mit Mühe und Not ein Haus gebaut haben. Nun schüren sie im Alter noch mit Holzscheiten den Ofen, um im Winter nicht zu frieren. Eine Brille oder eine Gehhilfe wird nicht gleich bezahlt, und dann kommt sie hoch: Die Angst, abgehängt zu werden, die Angst, dass einem vielleicht etwas entgleitet im Leben. Und dann blicken sie auf die Neuen im Dorf, die Flüchtlinge. "Was manchmal zum Vorschein kommt, ist ein gewisses Unverständnis, dass so viel für die gemacht wird", der Pfarrer formuliert bedacht. Manche rechneten hoch, was die Flüchtige bekommen, beim Kindergeld etwa.

Pfarrer Bauer-Störch hat es jetzt eilig, gleich muss er ein Trauergespräch führen, aber er will unbedingt noch seine Kirche zeigen. Er tritt durch die Pforte: "Sehen Sie, heute waren Besucher da!" Er zeigt auf einen Kerzenständer, sieben Lichter brennen daran. Immerhin.

Die Solnhofer Portland-Zementwerke beherrschen den Ort nicht nur optisch. (Foto: Martin Moser)

Das Zementwerk

Über dem Tal von Solnhofen thront das Zementwerk wie ein Schloss. Man sieht die Industrie-Silhouette von weitem. Den Hügel hoch, am Ende der Straße, wartet es wie ein eigenes Dorf über dem Dorf. Welt in Stein, Welt in grau-braun-beige. Am Straßenrand ruht auf den Leitplanken der Staub. Laster fahren hin und zurück, vorbei an Steinbrüchen, über das Gelände laufen Arbeiter mit Sicherheitsweste und Helm.

Aus den oberen Gesteinsschichten gewinnt man Zement, aus den unteren dann die Solnhofer Platte, so erklärt es der Schlossherr. Seniorchef Michael Bücker hat 1974 den Betrieb übernommen, er kommt aus Münster. Inzwischen ist er nur noch vormittags im Büro, am Telefon sagt er: "Man hätte natürlich gern stabile Verhältnisse im Landtag. Aber diesmal ist es sehr ungewiss."

Die Gewerbesteuer, die Arbeitsplätze - Bücker weiß, dass sein Betrieb den Ort nicht nur optisch prägt. Manche finden, für den Tourismus muss ein Investor her. Aber wenn man den Zementswerkchef danach fragt, sagt er: "Nein, in Solnhofen würde ich wirklich nicht in Gastronomie investieren. Außer Sie brauchen ein Abschreibungsobjekt."

Im Schützenheim

Zehn Euro Einsatz, zu gewinnen gibt es hundert Euro und Fleischpreise. Schafkopfturnier im Schützenclub Solnhofen, das eingeschweißte Fleisch stellt die Metzgerei Klich, gesprochen Gliech, die auch ordentliche Leberkässemmeln macht. Es ist früh am Abend, bevor es losgeht, muss der vierte Tisch noch voll werden. Sie rufen einen Nachbarn an. "Der kommt bestimmt, wenn seine Frau ihn rauslässt", sagt einer, alle am Tisch lachen, alles Männer. "So spannend wie dieses Mal war's noch nie", sagt Toni Schnelzer. Er meint die Wahl, nicht das Turnier.

Schnelzer ist selbst bei der CSU, aber dass die SPD die Sprache der Menschen hier sprach, sagt auch er. "War einfach so", sagt einer am Tisch. "Als Arbeiter, ja klar", sagt ein anderer. Die Männer sitzen vor ihren Bieren, einer fängt an, die Karten auszugeben. Einer sagt, er wird diesmal wohl die Grünen wählen. Ein anderer erzählt, wie er früher selbst Steine aus dem Kalk gebrochen hat. Es lohnt sich schon lange nicht mehr.

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Nicht einmal beim Schafkopfturnier ist in Solnhofen noch alles wie früher.

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Die Mitglieder im Schützenverein sind weniger geworden. Links der amtierende Schützenmeister, rechts Toni Schnelzer.

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Im Hintergrund hängen die Trophäen von früher.

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"So spannend war's noch nie", sagen die Männer am Tisch - sie meinen die Wahl, nicht das Turnier.

Wie sie sich das mit der AfD erklären? "Es gibt halt Leut', die lesen nix", sagt einer. Mit den Ausländern, egal ob Asylbewerber oder Gastarbeiter, "hast immer zamglebt", sagt der daneben. Nicken am Tisch.

Dominique Dennl setzt sich dazu, der amtierende Schützenmeister, er ist mit 28 der Jüngste am Tisch. Auch im Schützenverein waren sie früher mehr Leute. Die Zugezogenen kämen eher nicht, sagt Dennl. Etwa 90 Mitglieder hat der Schützenverein heute, es waren mal 140. Vielleicht gab es mehr Zusammenhalt. Vielleicht ist man auch einfach eher im eigenen Dorf geblieben.

Der Spielleiter begrüßt die "heute recht kleine Runde". Dann kann es losgehen. Wie es ausgeht, weiß man nicht. So spannend wie dieses Mal war's noch nie.

Hinweis: Bei der Landtagswahl 2018 kam die CSU in Solnhofen auf 36,3 Prozent der Gesamtstimmen, die SPD auf 15,3 Prozent. 14,6 Prozent der Wahlberechtigten stimmten für die Freien Wähler, 12,3 Prozent für die AfD, die Grünen erreichten 11,4 Prozent. Der FDP gaben 2 Prozent die Stimme.

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