Expertenanhörung zum Tierwohl:"Fast jedes bayerische Ferkel kommt auf Plastikrosten zur Welt"

Tierwohllabel: Hohe Kosten allein bei Schweinefleisch

Der Landtag debattierte über das Tierwohl in der Landwirtschaft.

(Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Der Landtag debattiert über das Tierwohl in der Landwirtschaft und ist sich einig, dass sich etwas ändern muss. Über die Umsetzung aber gibt es große Differenzen.

Von Christian Sebald

In Bayern gibt es aktuell etwa 27 600 Milchbauern und ungefähr 1,1 Millionen Milchkühe. Rund die Hälfte der Milchbauern halten ihre Kühe in der sogenannten Anbindehaltung. Das heißt: Jede Kuh hat im Stall einen festen Platz, an dem sie fest angebunden ist. Und zwar immer, wenn sie im Stall ist. An dem Platz selbst kann die Kuh nur stehen oder liegen, sie wird dort auch gefüttert und gemolken. Etwa 30 Prozent der bayerischen Kühe - das sind ungefähr 330 000 - werden laut Bauernverband in solchen Anbindeställen gehalten. Wiederum die Hälfte davon, also 165 000, sogar das ganze Jahr über, tagein, tagaus. Aus der Sicht von Tierschützern ist die Anbindehaltung ein Paradebeispiel für alltägliches Tierleid in der Landwirtschaft.

Wenn es darum geht, das Tierwohl in der Nutztierhaltung zu fördern, sind sich alle einig. Das hat jetzt einmal mehr die Expertenanhörung "Tierwohl in der Nutztierhaltung" am Donnerstag im Landtag gezeigt. Die Bauern mit ihren Organisationen, die einschlägigen Wissenschaftler und Forscher, aber auch Politiker jeder Couleur bekennen sich zu der immerwährenden Forderung von Verbrauchern und Tierschützern, dass Verbesserungen des Tierwohls in der Landwirtschaft überfällig sind.

Über die Standards selbst und die Wege zu ihrer Umsetzung freilich gibt es große Differenzen. Die Anhörung, die von der SPD beantragt worden war, darf durchaus als Folge der großen Tierschutzskandale im Sommer 2019 auf einer Reihe Milchviehbetriebe im Allgäu gelten. Die Experten legten ihren Fokus freilich nicht auf Auswüchse wie diese. Sondern auf die ganz alltäglichen Verhältnisse, unter denen Nutztiere auch in der bayerischen Landwirtschaft gehalten werden.

Aus Sicht der Bauern ist das Tierwohl eng mit der wirtschaftlichen Lage der Halter verknüpft. "Vor 40 Jahren haben ich für eine Kuh das gleiche Geld bekommen wie heute", sagte Romuald Schaber, Milchbauer aus dem Allgäu und Ehrenvorsitzender des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter. "Das ist ein Skandal. Der Wert der Tiere ist ein erster und wichtiger Schritt zu einem anderen Umgang mit ihnen." Die Bauern bräuchten faire und verlässliche Perspektiven, ein klares Bekenntnis von Gesellschaft und Politik zur Nutztierhaltung und dazu breite Beratung und Unterstützung. Denn der Umbau der Nutztierhaltung sei eine gigantische Aufgabe. Schaber verwies auf den wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für Agrarpolitik. Er schätzt allein die Investitionskosten für tierwohlgerechte Ställe deutschlandweit auf drei bis fünf Milliarden Euro im Jahr.

Trotz allem überfälligen Nachholbedarf gibt es auch Erfolge zu vermelden - zumindest aus Sicht einiger Experten. Professor Michael Erhard vom Lehrstuhl für Tierschutz, Verhaltenskunde, Tierhygiene und Tierhaltung an der LMU führte die Legehennen-Haltung als Beispiel "für einen gelungenen Systemwechsel" an, der zudem in "kurzer Zeit gemeistert worden ist". Dank der Bodenhaltung sei die Zeit der Legebatterien ein für allemal vorbei, in der die Hennen auf engstem Platz zusammengepfercht wurden.

Tierschützer wie Esther Müller von der Akademie für Tierschutz in München üben dagegen harte Kritik an der Bodenhaltung. Die Ställe seien so klein bemessen, dass die Hennen nach wie vor zu wenig Platz zum Scharren und Picken hätten. Die Einstreu verschmutze schnell, schädliche Gase schädigten die Atemwege der Tiere. Ein immenses Problem der Bodenhaltung seien Federpicken und Kannibalismus, die Hennen fügten sich dabei gegenseitig massive Verletzungen zu. Die Experten-Sicht auf die Schweinehaltung ist nicht minder gegensätzlich.

Für die SPD-Politikerin Ruth Müller hat die Anhörung gezeigt, dass ein verpflichtendes Tierwohllabel überfällig ist. "Der Ruf nach Lebensmitteln, die ohne quälerische Haltung produziert werden, ist lauter denn je", sagt sie. "Freiwillige Label nutzen weder den Verbrauchern noch den Bauern." Der CSU-Abgeordnete Eric Beißwenger sagte, "mehr Tierwohl gibt es nicht zum Nulltarif." Politik, Gesellschaft, Einzelhandel und Verbraucher müssten die Anstrengungen der Landwirte honorieren.

Leopold Herz (FW) betonte, "dass wir in Bayern, was den Tierschutz angeht, glücklicherweise bereits sehr gut aufgestellt sind". Er lehne einen "Generalverdacht gegenüber den Landwirten" ab. Paul Knoblach von den Grünen konterte: "Fast jedes bayerische Ferkel kommt auf Plastikrosten zur Welt." Bis zum Schlachttag quält es sich auf Betonspaltenböden ohne Einstreu bei viel zu wenig Platz, um dann viel zu oft mangelhaft betäubt getötet zu werden. Solche Haltungsformen müssen ein Ende haben."

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