In den Rang der „Bayerischen Staatsraison“ erhob Michael Piazolo (Freie Wähler) den bestmöglichen Schutz der jüdischen Bürgerinnen und Bürger. Um diese zu gewährleisten und manchen gefährlichen Tendenzen entgegenzusteuern, befasste sich der Ausschuss für Wissenschaft und Kunst unter Piazolos Leitung am Mittwoch auf Antrag der Grünen ausführlich mit dem Thema „Antisemitismus an bayerischen und außerbayerischen Hochschulen“. Die drei Stunden offenbarten nicht nur einiges über die Lage an Hochschulen, die neun Sachverständigen dröselten die Strukturen antisemitischen Denkens auch lehrreich auf.
Einen Eindruck, wie dramatisch die Lage für jüdische Studierende tatsächlich ist, vermittelte Ron Dekel vom Verband jüdischer Studenten in Bayern. Er selbst wurde im vergangenen Jahr mit jüdischen Stereotypen wie Hakennase und Geldgier konfrontiert, hinzu kamen Hamas-Dreiecke und Aufrufe wie „Intifada bis zum Sieg“. Die Konsequenz: „Jüdische Studierende fühlen sich nicht mehr sicher“, seine Kette mit Davidstern versteckt auch er seit einiger Zeit. Nein, im Freistaat sei es nicht so schlimm wie in Berlin, betonte er. „Aber es herrschen ganz eigene Zustände in Bayern.“ Trotzdem sei Dekel „ehrlich froh“, dass sich die demokratischen Parteien in Bayern solidarisch zeigten und lobte den kürzlich vorgestellten Aktionsplan gegen Antisemitismus – „Aber warum erst jetzt und warum wurden wir nicht gefragt?“
Als Vertreterin des Zentralrats der Juden in Deutschland wies Shila Erlbaum auf das Aufkeimen alter Stereotype wie Kindermörder oder Volkszerstörer hin. „Jüdinnen und Juden sind traumatisiert“, sagte sie. Jüdische Studierende machten sich deshalb unsichtbar oder trauten sich gar nicht mehr an Universitäten. Dann wurde sie deutlich: Viele propalästinensische Protestcamps seien „von außen gesteuerte Propagandamaßnahmen der Hamas“, für welche sich einige Studierende als nützliche Idioten einspannen ließen.
Stefan Leible, Präsident der Universität Bayreuth und Vorsitzender des Vereins der Bayerischen Universitäten, betonte: „Die Universitäten hören zu und haben verstanden.“ Statt Horte des Antisemitismus sollten Universitäten „Horte der Antisemitismusbekämpfung“ werden, wofür bereits viel getan wurde. Dazu trage auch der Auf- und Ausbau dahin gehender Forschung bei. Mit Blick auf die Politik sagte er: „Aber die gibt es nicht zum Nulltarif.“ Außerdem erklärte er, dass die Grenzen des Diskursraumes aktuell durch das Strafrecht abgesteckt seien: „Aber wie können wir reagieren, wenn etwas unter der Schwelle des Strafrechts ist?“ Leible forderte deshalb mehr ordnungsrechtliche Kompetenzen und „handhabbare Instrumente“ für Universitäten.
Der israelisch-deutsche Psychologe und Autor Ahmad Mansour ordnete die Vorfälle sogleich in einen größeren Kontext ein: „Israel wurde gegründet, damit sich Juden nicht mehr in Kellern und Schränken einschließen müssen.“ Dieses Sicherheitsgefühl sei mit dem 7. Oktober weltweit in Zweifel gezogen worden. „Das, was wir auf Straßen und Universitäten sehen, ist Teil der Strategie.“ Die Erinnerungskultur in Bezug auf die Verantwortung für jüdisches Leben sei deshalb „teilweise gescheitert“. Mansour appellierte, Universitäten sollten sich kritischer mit postkolonialen und identitätspolitischen Haltungen auseinandersetzen, welche viel zu lange hofiert wurden.
Woraus sich diese Haltungen speisen, erklärte im Anschluss Susanne Schröter von der Goethe-Universität Frankfurt: Der „ultimative Sündenfall“ in der Menschheitsgeschichte sei in diesem Verständnis der europäische Kolonialismus. Israel sei heute das „letzte Bollwerk des kolonialen Westens“, einige postkoloniale Autoren sähen den weißen, westlichen Überlegenheitsgedanken besonders bei Juden. Dagegen stehe zwar die „Präzedenzlosigkeit des Holocausts“, erklärt Schröter. Doch wird dieser relativiert und als eines von vielen Verbrechen der westlichen Kolonisation eingestuft, die Gründung Israels deshalb als illegitim hingestellt.
Einhellig forderten alle Sachverständigen mehr Mittel für Forschung. Jedoch betonte Susanne Schröter, dass Bildung alleine nicht reiche. Antisemitismus sei keine Verschwörungstheorie, sondern eine Ideologie. Nicht mit Bildung komme man ihm deshalb bei, sondern mit Ideologiekritik. Dem stimmte Ahmad Mansour bei: „Bildung ist nicht gleich Bildung.“ Zur deutschen Erinnerungskultur gehöre auch, und ganz besonders, „das Befassen mit israelbezogenem Antisemitismus.“