Gut fünf Monate vor den bayerischen Kommunalwahlen fordern die Grünen mehr Flexibilität und Familienfreundlichkeit beim Engagement in der Lokalpolitik. Dazu hat die Fraktion am Donnerstag einen Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht, zur „Stärkung der Demokratie in den Kommunen“. Kernstück der Ideenliste ist eine Vertretungsregel. Ratsmitgliedern sei es bislang nicht möglich, sich im Ehrenamt bei vorübergehender Verhinderung vertreten zu lassen.
Beispiele für Bedarf an einer Änderung seien etwa Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen, Auslandsaufenthalte in Job, Ausbildung und Studium oder längere Krankheit. Nur bei einem dauerhaften Ausscheiden aus dem Gremium erfolge nach jetziger Gesetzeslage ein Nachrücken des Listennachfolgers.
Diese Konstellation, heißt es im Gesetzentwurf, schrecke Menschen ab, überhaupt eine Kandidatur für ein sechsjähriges Mandat in Städten und Gemeinden anzustreben. Eine Vertretungsregel dagegen sorge für stabile Mehrheiten und halte das Mandat „lebendig“. In Österreich gibt es den Grünen zufolge bereits eine Regel dieser Art.
Man wolle die „Schwelle zum Mitmachen senken“, sagte der Grünen-Abgeordnete Andreas Birzele in der Plenarsitzung. Eine Änderung würde gerade Frauen „Mut machen zum Engagement“. Dass in Bayerns Kommunalgremien der Frauenanteil bei 24 Prozent liege, so Birzele, sei auch „Ergebnis von jahrzehntelang verschlafener CSU-Politik“. Die Demokratie „steht und fällt mit den Menschen, die sie tragen“ – dazu gehörten jene, die in Gemeinden ehrenamtlich und oft unbemerkt Verantwortung übernehmen. Dabei sei es wichtig, dass Menschen aus ganz unterschiedlichen Lebenslagen mitreden. Und nicht nur solche, die es sich zeitlich immer gut leisten könnten.
Die Vorschläge der Grünen erfuhren in der Sitzung ausschließlich Ablehnung oder zumindest Skepsis. Neben der Vertretungsregel gehört unter anderem dazu: Auch rein digitale Sitzungen kommunaler Gremien sollen ermöglicht werden, die Hürden für hybride Treffen noch weiter sinken. Junge Menschen sollten verbindlich einbezogen werden, wenn Entscheidungen sie betreffen. Das Wahlalter auf kommunaler Ebene solle auf 16 Jahre sinken, Personen aus der Europäischen Union ohne deutsche Staatsangehörigkeit sollen auch Bürgermeister werden dürfen.
Mit derlei Forderungen warteten die Grünen schon seit einigen Jahren immer wieder auf, etwa im Zuge einer Novelle des bayerischen Kommunalrechts, die zum Jahreswechsel 2023/2024 in Kraft getreten ist.
„Wir sind hier nicht bei einem Fußballturnier“, heißt es von den Freien Wählern
Die Regierungsfraktionen CSU und Freie Wähler lehnten die Vorstöße am Donnerstag klar ab. Die Grünen zeichneten ein „Zerrbild“ einer Kommunalpolitik, in der sich angeblich niemand mehr engagieren wolle, sagte Thorsten Freudenberger (CSU). Dagegen bestünden die Ideen der Grünen nicht den Praxis-Check: Durch die Vertretungsregel würde man das Mandat „der Beliebigkeit preisgeben“. Oder die Jugendbeteiligung, diese sei als „Graswurzelbewegung“ längst vielerorts etabliert, so Freudenberger. Sie müsse aber nicht staatlich von oben geregelt werden. Das Alter des aktiven Wahlrechts müsse weiterhin an das passive gebunden bleiben. Und weil Bürgermeister und Landräte staatliche Aufgaben vollziehen, sollten sie auch weiterhin deutsche Staatsbürger sein.
Felix Locke (FW) sprach von einer „stümperhaften“ Vorlage der Grünen, das „Sammelsurium“ sei weder rechtskonform noch mehrheitsfähig. Beispiel Vertretungsregel: Kommunalwahlen seien Personenwahlen, um die Partei gehe es kaum, so Locke: „Wir sind hier nicht bei einem Fußballturnier, wo man sich die Mannschaft flexibel zusammenstellen kann.“ Offenbar wollten die Grünen einen Anlass schaffen, mutmaßte Locke, um im anstehenden Kommunalwahlkampf über die Staatsregierung schimpfen zu können, die vermeintlich Frauen und Jugendliche beim Engagement ausbremse.

Kommunalwahl 2026 in Bayern:Gemeindetagspräsident: Wer die AfD bekämpfen will, muss die Gemeinden stärken
In einem halben Jahr ist Kommunalwahl in Bayern. Uwe Brandl hält einen Erfolg der AfD wie in NRW für durchaus möglich. Seine Forderung: Die Staatsregierung muss den Kommunen aus ihrer Finanzmisere helfen.
Jörg Baumann (AfD) sagte, der Gesetzentwurf „trieft aus jeder Pore vor linker, grüner Ideologie“. Die Vertretungsregel würde die demokratische Legitimität der ursprünglichen Wählerentscheidung beeinträchtigen. Und zum Beispiel beim Wahlalter findet er, dass 16-Jährigen die notwendige „politische Reife“ dazu fehle.
Nicht mal die SPD sprang den Grünen bei. Deren Rednerin Christiane Feichtmeier sah zwar etwa in der Jugendbeteiligung einen positiven Aspekt; aber auch viele Mängel im Entwurf. Die Vertretungsregelung möge „auf den ersten Blick modern und flexibel“ klingen. Rückmeldungen aus der kommunalen Praxis zeigten aber kaum Bedarf. Es bestehe „die Gefahr, dass mehr Bürokratie entsteht, ohne dass der kommunalpolitische Alltag erleichtert wird“.
Die Redner von Grünen, FW, SPD und AfD sitzen übrigens alle in Kreistagen oder Gemeinderäten. Und CSU-Mann Freudenberger war bis 2023 Landrat von Neu-Ulm. Der Grünen-Entwurf wandert nun zur weiteren Beratung in den Innenausschuss des Landtags.
Bei den Kommunalwahlen am 8. März 2026 werden bayernweit fast 40 000 Mandate auf allen Ebenen vergeben. Die Unterrepräsentanz von Frauen in den Gremien gilt nicht nur den Grünen als Problem. Und nur zehn Prozent aller Rathäuser in Bayern werden von Frauen geführt. Im Zuge der derzeitig laufenden Listenaufstellungen wirbt das überparteiliche Bündnis „Bavaria ruft!“ dafür, den Frauenanteil in der Kommunalpolitik zu steigern. Schirmherrin der Initiative ist Landtagspräsidentin Ilse Aigner.

