Zwischen Regenbogenfahne und WadlstrumpfWie junge Leute außerhalb der Politik-Bubble zu AfD und Co. stehen

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Christopher Street Day und Trachtenverein: Die Lebensrealität junger Menschen in Bayern ist sehr unterschiedlich.
Christopher Street Day und Trachtenverein: Die Lebensrealität junger Menschen in Bayern ist sehr unterschiedlich. (Foto: Lena Hamel)

Queerer Aktivist trifft auf jungen Schuhplattler trifft auf Feministin - und alle verstehen sich blendend? Ganz so einfach ist das oft nicht, in Bayern, auf dem Land. Was junge Leute bewegt und ob sie sich von der Politik überhaupt vertreten fühlen, das will eine Initiative herausfinden. Und redet einfach mit den Menschen.

Von Lena Hamel, Landsberg am Lech/Feldwies

Klimawandel, Rente, Mietpreise, Krieg, Inflation und der Rechtsruck. Viele junge Menschen in Deutschland fühlen sich zu diesen Themen nicht gehört und machen sich Sorgen um ihre Zukunft. Zeit zuzuhören und zu reden – nicht übereinander oder aneinander vorbei, sondern miteinander. Dafür tourt die überparteiliche Studenteninitiative Studopolis innerhalb von 16 Wochen durch alle Bundesländer. Woche elf, tief in Bayern.

Albert Preußen (links) und Emilia Schmucker von Studopolis führen Interviews auf dem CSD in Landsberg am Lech. Immer am Start: Mikro und Handykamera.
Albert Preußen (links) und Emilia Schmucker von Studopolis führen Interviews auf dem CSD in Landsberg am Lech. Immer am Start: Mikro und Handykamera. (Foto: Lena Hamel)

Emilia Schmucker zieht sich die blaue Kapuze ihres Pullis noch ein Stück tiefer ins Gesicht. Es regnet gerade kräftig. Eigentlich die beste Voraussetzung für einen Regenbogen. In Landsberg am Lech in Oberbayern sind an diesem Tag unverhältnismäßig viele zu sehen: auf Regenschirmen, Fahnen, Stickern, Rucksäcken und Netzstrumpfhosen. Die große Kreisstadt mit knapp 30 000 Einwohnern feiert ihren inzwischen dritten CSD.

Auf dem Weg dorthin zwängen sich August Spee und Schmucker zu zweit auf die Rückbank. Der Rest des Autos wird von Getränkekisten, Boxen mit Merchandising-Artikeln, White-Board-Tafeln, Schlafsachen, dreckigen Gummistiefeln und allerlei anderem Kram, verstaut in Kisten, eingenommen. Albert Preußen fährt. Immer. Er ist quasi der Kopf des Teams und Mitgründer von Studopolis. Der ehrenamtliche Job war seine gedankliche Flucht aus dem Jura-Studium.

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Albi, Augi und Emi, wie sie sich gegenseitig nennen, sind drei von 50 jungen Menschen, die in 16 Wochen durch alle 16 Bundesländer touren, um mit Menschen zu sprechen, die nicht unbedingt in der Politik-Bubble zu Hause sind. Die Idee dazu entstand während eines Barabends: Menschen zuhören, auf ihre Forderungen an die Politik aufmerksam machen und am Ende der Deutschlandtour die Erkenntnisse der Bundesregierung übergeben – so weit die Vision.

Die Follower im Netz sind immer dabei

„Soll ich die Story schon mal hochladen?“, fragt Schmucker von der Rückbank, während Preußen von der Entstehungsgeschichte erzählt. Bei ihrer Tour nehmen sie ihre Follower auf Instagram mit. Content-Produktion ist wichtig, damit sie ihr junges Publikum erreichen, sagt Preußen.

Er und Mitgründerin Louise Velsen-Zerweck machten sich im Jahr 2020 Sorgen, dass sich in Deutschland, besonders bei jungen Leuten, eine ähnliche Politikverdrossenheit und ein Mangel an konstruktivem Austausch entwickeln könnte, wie sie es zuvor in den USA beobachtet hatten. So entstand während der Corona-Pandemie das Forum Studopolis, um eine neutrale Plattform für Austausch zu schaffen. Damals, als das Leben noch online stattfand. Schnell versammelten sich große Namen hinter ihren Mikrofonen: Ricarda Lang, Bodo Ramelow, Christian Linder, Hubertus Heil, Annalena Baerbock, Margot Friedländer und Sandra Maischberger waren schon zu Gast in ihrem Podcast.

Weil Studopolis aber überwiegend in Studentenstädten angesiedelt ist, entstand eine homogene Blase. Mit der Deutschlandtour wollen sie die politikferne Bubble erreichen, Menschen in strukturschwachen Regionen sowie dem ländlichen Raum zuhören und eine Stimme geben.

Viele Besucherinnen und Besucher des CSD in Landsberg wollen nicht vor die Handykamera, die Preußen schon bereithält. Unterscheiden sich Großstadt und ländliche Gebiete immer noch in ihrer Akzeptanz von Diversität? Christina Böltl vom Verein VIDA Landsberg, der den CSD mit organisiert, meint: In Landsberg fehle es, anders als in München, oft an Vorbildern, sicheren Räumen und Anlaufstellen, die queeres Leben sichtbar machen.

Julian Pietsch kommt aus Landsberg und erzählt, dass er bereits in der Schule Mobbing und Ausgrenzung erlebt habe. Er habe immer noch ein mulmiges Gefühl dabei, seine Homosexualität offen zu zeigen. Ein anderer junger Mann erzählt dem Studopolis-Team, er sei aus seiner Heimat Landsberg nach München „geflohen“, weil er sich nicht repräsentiert gefühlt habe.

Repräsentation fängt, da sind sich viele Besucher des CSD einig, beim Hissen der Regenbogenflagge am Bundestag an. Die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) hatte das in diesem Jahr abgelehnt. Anders als in Bayern. Das Team trifft auf Landtagsvizepräsident Ludwig Hartmann von den Grünen, der es im Gespräch mit August Spee eine „Selbstverständlichkeit“ nennt, dass die Fahne am bayerischen Landtag und der Staatskanzlei gehisst werde.

August Spee (links) von Studopolis interviewt Ludwig Hartmann (Grüne), Vizepräsident des Landtags, beim CSD in Landsberg am Lech.
August Spee (links) von Studopolis interviewt Ludwig Hartmann (Grüne), Vizepräsident des Landtags, beim CSD in Landsberg am Lech. (Foto: Lena Hamel)

Obwohl sich Heike Sliwinski nicht als queere Person bezeichnet, steht sie im Regen mitten auf dem Platz des Lech Ateliers. Den Plan von Innenminister Alexander Dobrindt (CSU), das Selbstbestimmungsgesetz zu ändern, bezeichnet sie als „die größte Katastrophe“. Seiner Vorstellung nach sollen Behörden bei einer Änderung von Geschlecht oder Vornamen die alten Daten, wie früherer Name oder Geschlecht, speichern und weitergeben dürfen, damit Menschen trotz Änderung eindeutig identifizierbar bleiben. Kritiker, wie Sliwinski, sehen darin ein Risiko für Zwangsouting und Diskriminierung. Ihr sind außerdem immer noch zu viele Männer in Führungspositionen, sei es in der Politik, in Unternehmen oder Vereinen. Diversität sowohl bei Geschlecht als auch Herkunft fehle – zumindest in Landsberg.

Dorfleben sei toll, weil „man sich seine Freunde nicht aussuchen kann“

Neben den Gummistiefeln liegen am nächsten Tag zwei Trachtenjanker im Kofferraum des Studopolis-Autos. Es geht nach Feldwies im Chiemgau, zum Gaupreisplatteln.

Als sie in der 5000-Einwohner-Gemeinde ankommen und auf der matschigen Wiese einen Parkplatz gefunden haben, platteln bereits Trachtler zu Blasmusik auf der Bühne des großen Festzeltes um die Wette.

Das Team von Studopolis macht in seiner Bayern-Woche unter anderem Halt beim Gaupreisplatteln in Feldwies im Chiemgau.
Das Team von Studopolis macht in seiner Bayern-Woche unter anderem Halt beim Gaupreisplatteln in Feldwies im Chiemgau. (Foto: Lena Hamel)
Die angehenden Plattler in Feldwies im Chiemgau. „Man hod scho blaue Oberschenkel nach’m Plattln“, erzählt ein junger Bursche aus der Gruppe.
Die angehenden Plattler in Feldwies im Chiemgau. „Man hod scho blaue Oberschenkel nach’m Plattln“, erzählt ein junger Bursche aus der Gruppe. (Foto: Lena Hamel)

Besucherin Julia Weiß stammt vom Mühlstetter Hof und sei in ihrer Familie Cousine Nummer 27, erzählt sie. Familie bedeute in ihrem 1117-Einwohner-Dorf Staudach-Egerndach sehr viel, dort gelte das Motto: „Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf.“ Bei insgesamt 40 Cousinen und Cousins muss das Dorf oft gefragt gewesen sein. Das Vereinsleben bedeute für Weiß „viel Gemeinschaft“, auch wenn Feminismus und der Trachtenverein nur mittelgut kombinierbar seien. „Irgendwo ghört’s scho dazu und ma woaß, dass ma gschätzt werd, aber a Fassl aufmacha is a riesige Sach.“ Sie versuche im Kleinen für sich und andere Frauen einzustehen. Im Großen und Ganzen haue das schon hin. Und es werde besser.

Julia Weiß wünscht sich eine Besteuerung von Superreichen.
Julia Weiß wünscht sich eine Besteuerung von Superreichen. (Foto: Lena Hamel)

Traditionen würden allerdings zu sehr politisiert, findet Julia Weiß. Beim Gaupreisplatteln zum Beispiel wolle sie einfach eine gute Zeit mit ihren Liebsten verbringen. Jedes Mal aber kämen Politiker vorbei und redeten davon, wie stolz sie sein können, dass sie die Trachten haben – nervig sei das, sagt Weiß. Das Dorfleben aber sei toll, gerade weil „man sich seine Freunde nicht aussuchen kann“. Dadurch müsse man andere Meinungen aushalten. Wie die vom Onkel, der die AfD wählt.

Tobias Kalweit (rechts) ist Mitglied der Band „Dis M“ und wünscht sich eine Umverteilung des Kulturetats.
Tobias Kalweit (rechts) ist Mitglied der Band „Dis M“ und wünscht sich eine Umverteilung des Kulturetats. (Foto: Lena Hamel)

Einer der vielen Cousins von Julia Weiß, Tobias Kalweit, kann zwar nicht platteln, hat aber eine eigene Band. Von der Politik fühle er sich mal mehr und mal weniger gesehen. Es würde sich aber „wirklich was tun“, wenn eine leichte Umverteilung des Kulturetats in der Musik in Richtung Popkultur stattfinden würde, sagt er. Außerdem findet er es manchmal schwierig, dass „alles auf die Goldwaage gelegt wird“. In seiner Band sind sie nur Männer – einfach weil sie sich als Freunde so zusammengefunden haben. Das habe nichts damit zu tun, dass sie keine diverse Band sein wollen. Trotzdem bekämen sie manchmal blöde Kommentare und Anfeindungen zu hören, sagt Kalweit.

Andreas Eder meint, das Vereinsleben bringt Jung und Alt zusammen.
Andreas Eder meint, das Vereinsleben bringt Jung und Alt zusammen. (Foto: Lena Hamel)

Auch Andreas Eder – der 25-Jährige arbeitet als Elektriker auf Baustellen und engagiert sich bei der Freiwilligen Feuerwehr, dem Schützen-, Burschen- und Trachtenverein – schätzt das Vereinsleben sehr. Es vereine Alt und Jung. Statt aufeinander zu schimpfen, helfen alle Generationen im Verein mit. Während er Schmucker, Spee und Preußen vom Plattln erzählt, grüßt er beiläufig die beiden Polizisten, die sich einen Überblick über die Veranstaltung verschaffen – man kennt sich halt. Wichtig sei Eder aber auch, dass Deutschland wieder mehr aufs eigene Land schaut, sagt er, und nicht mehr so sehr auf andere.

Am Ende ist es eine große Sammlung, die die drei Studopolis-Reisenden mitnehmen. Die einen wünschen sich eine schnellere Auszahlung von Bafög, die anderen die Besteuerung von Superreichen und keine Waffenlieferungen mehr an Kriegsparteien. Da Schmucker, Spee und Preußen in Bayern vor allem im ländlichen Raum unterwegs waren, wurden Themen wie hohe Mietpreise seltener angesprochen als in anderen Bundesländern, in denen sie auch städtische Regionen besucht hatten.

Besonders hängen geblieben ist den dreien auf ihrer Bayerntour: Viele Menschen fühlen sich von der Politik nicht gehört – aber das geht nicht nur den Bayern so.

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