Dörfer ohne Leben, kaum ein Bus, noch seltener eine Bahn - und fehlende Bandbreiten für die Videokonferenz daheim: Was wie ein Klischee übers Land klingt, ist mancherorts in Bayern immer noch Realität. Dabei eröffnet die Digitalisierung ganz neue Wege, um alten Problemen zu begegnen und gleichwertige Lebensverhältnisse in der Fläche zu schaffen. Doch die praktische Umsetzung ist mitunter schwierig. Vier Beispiele, wie digitale Ideen das Leben im ländlichen Raum womöglich trotzdem besser machen können:
Versorgung
Altenthann im Landkreis Regensburg hat etwa 1600 Einwohner und ein Problem, das auch andere Gemeinden dieser Größenordnung kennen: Wer etwas braucht, muss weg. Als Bürgermeister Harald Herrmann ein Kind war, gab es im Ort mehrere Kramerläden, dazu Wirtshäuser, Bäcker, Metzger. Das war einmal. Der letzte Kramerladen etwa hat "um 2005 zugemacht", sagt Herrmann. Seitdem müssen der heute 58-Jährige und die anderen Altenthanner zum Einkaufen stets mehrere Kilometer in die Nachbarorte fahren. Das soll sich ändern: Voraussichtlich im Juni wird mitten in Altenthann ein 24-Stunden-Supermarkt eröffnen; ohne Personal, dafür mit Kassen zum Selbstscannen und Chipkarten, die jederzeit Einlass gewähren. Gehen die Waren zu Neige, bestellt ein Computer eigenständig nach. Erst dann rücken Menschen an, um die Regale aufzufüllen. Um den Betrieb kümmert sich ein Unternehmen aus Thüringen, das dort schon einen ähnlichen Markt betreibt. Ähnliches hat mit Handwerksbedarf der Schraubenhersteller Würth im Landkreis Neu-Ulm erprobt. In Altenthann aber soll der Laden nicht nur Dinge des täglichen Bedarfs zurück bringen, sondern bestenfalls auch ein bisschen Leben: als neuer Treffpunkt für die Dorfgemeinschaft, wo man sich so wie früher auf einen Ratsch beim Krämer trifft. Ob das am Ende alles so klappt? "Das werden wir sehen", sagt Herrmann. "Die Vorfreude ist groß." Und das Interesse: Inzwischen rufen bei ihm Bürgermeister-Kollegen aus ganz Deutschland an.
Vernetzung
Viele Start-ups zieht es mit ihren Ideen für neue Apps und neue Geschäftsmodelle in die Großstadt, nach München oder gleich Berlin. Dass aber auch der ländliche Raum digitale Chancen bietet, will die gemeinnützige Mitmachinitiative "Silicon Vilstal" aus dem niederbayerischen Geisenhausen beweisen. Sich selbst versteht man als eine Art Spielwiese für innovative Gedanken, als Ausprobierplattform und Impulsgeber. Unter dem Motto "Heimat für Neues" vernetzt die Initiative Kommunen, Unternehmen und Einzelpersonen miteinander, organisiert Veranstaltungen und Projekte zu Bildung oder Kreativität. "Unser Ziel ist es, gesellschaftliche Innovationen bei uns am Land auszuprobieren", sagt Gründer Helmut Ramsauer. So vermittelt seine Initiative mit dem Programm "Bauer sucht Start-up" jungen Firmen Räume im Vilstal, um ihre Ideen weiterzuentwickeln oder gar in Pilotprojekten auszuprobieren. Auf diese Weise ist zum Beispiel eine mobile Essensbestellung per App bei regionalen Bäckerbetrieben entstanden. "Ländliche Kommunen sind viel agiler als Städte, Pilotprojekte können hier schneller umgesetzt werden", beschreibt Ramsauer das Konzept. Man müsse ländliche Regionen als Innovationsräume sehen, nicht als "Entwicklungsgebiet, dem es an digitaler Ausstattung fehlt" und das durch Ideen aus den Städten belebt werden müsse. Mit einer Ideenwerkstatt will das "Silicon Vilstal" auch schon bei Kindern ein Bewusstsein für neue Möglichkeiten schaffen. "Die Kinder sollen sehen, wie Technologien sie bei der Umsetzung von kreativen Ideen unterstützen können", erklärt der Gründer: etwa wie man selbst entworfene T-Shirt-Motive digitalisieren und später drucken kann.
Mobilität
Ziel in die App eintippen, nächstgelegene Haltestelle auswählen, los geht's: So einfach lässt sich in den oberbayerischen Gemeinden Murnau, Seehausen und Riegsee der intelligente Ortsbus "Omobi" rufen. Für zwei Euro fährt diese Mischung aus Linienbus und Taxi seine Fahrgäste dann an ihr Ziel. Die Idee dahinter: den öffentlichen Nahverkehr im ländlichen Raum zu verbessern. Denn der fährt in Form von Bahnen und Bussen in der Fläche häufig nur eingeschränkt, wenn überhaupt. "Die Digitalisierung hat es uns ermöglicht, öffentlichen Nahverkehr zu revolutionieren", sagt Clemens Deyerling, Mitgründer des Mobilitätsdienstes. Denn "Omobi" fährt keine festgelegte Route ab. Je nachdem, wo in den Gemeinden gerade jemand zusteigen möchte, wird die Fahrstrecke dank einer Software automatisch optimiert. Mit mehr als 300 Haltestellen und zwei Fahrzeugen ist der Ortsbus flexibler als der örtliche Linienbus, sind die Fußwege dank des dichten Haltenetzes kürzer. Zudem kann er sowohl spontan als auch bis zu 24 Stunden im Voraus bestellt werden. "Wir haben eine breite Zielgruppe: Ältere, die so ihre Mobilität zurückgewinnen, oder Kinder, die zum Fußballtraining fahren", sagt Deyerling. Besonders freue ihn, dass dank "Omobi" auch Menschen den öffentlichen Nahverkehr nutzten, für die es vorher nicht infrage gekommen sei. Aus seiner Sicht ist das Ganze "so nah wie möglich an der Dienstleistung Auto dran". Ganz überzeugt scheinen aber in der Region noch nicht alle davon zu sein: Denn neben Fahrentgelten und Zuschüssen vom Freistaat müssen sich auch die Gemeinden finanziell beteiligen. Der Murnauer Gemeinderat hat den Vertrag mit dem Mobilitätsdienst daher erst einmal nur um ein Jahr verlängert. Aber Deyerling ist sich sicher, dass es auch danach weitergehen wird, auch der Landkreis zeige Interesse. "Wir haben bewiesen, dass unser Angebot technisch möglich ist und die Bevölkerung den Ortsbus annimmt. Jetzt ist es an der Politik, die Mobilität weiter aufrechtzuerhalten."
Infrastruktur
Im Landkreis Cham machten sie in der Vergangenheit mit dem Thema Glasfaser schlechte Erfahrungen. Wie in anderen ländlichen Regionen ist Internetqualität vielerorts mau, doch der Versuch, das Netz von einem Internetanbieter ausbauen zu lassen, mündete im Streit. Also entschieden sich 37 von 39 Landkreisgemeinden, einfach selber Glasfaser zu verlegen. 1900 Kilometer davon will der Landkreis über einen eigenen Tochterbetrieb unter die Erde bringen und so 17 000 bislang schlecht versorgte Adressen anschließen. Das Besondere: Die Leitungen bleiben im Besitz des Landkreises, die Internetanbieter mieten sich auf ihnen lediglich ein. Ein Mammutprojekt. Trotzdem bereut Landrat Franz Löffler nach eigener Aussage keine Minute, sich das angetan zu haben, Stichwort Daseinsvorsorge. "Wenn wir gleichwertige Lebensverhältnisse in der Fläche haben wollen, dann brauchen wir Glasfaser in jedes Haus." Die größte Herausforderung sei, Fachleute zu finden, die sich an eine Planung in dieser Dimension trauten - und Baufirmen, die diese umsetzen könnten. Rund 180 Millionen Euro kostet das Ganze, zu 90 Prozent gefördert von Bund und Land. 2024 könnte das Projekt abgeschlossen sein. Auch danach werden die Ausbauthemen dem Landratsamt wohl nicht so schnell ausgehen. Vielleicht klängen autonom fahrende Traktoren nach Zukunftsmusik, sagt Löffler, aber für so etwas brauche man ein dichtes 5-G-Mobilfunknetz.