Von den sieben Kurfürsten, die vom frühen 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert in Bayern regiert haben, erfuhr keiner eine solch abgrundtiefe Abneigung wie der aus der Pfalz stammende Karl Theodor (1724-1799). Auch Schreiberlinge, wie der gerne zitierte Münchner Aufklärer Lorenz von Westenrieder, würdigten ihn und seine Entourage heftig herab, obwohl ihn der Kurfürst befördert und alimentiert hatte: „Er war ein schlimmer Regent mit seinen bösen Ratgebern und höllischen Mannheimern, die wahrlich auch einen großen, vielleicht den größten Teil der Sünden trugen, die er wider uns Baiern begangen hat.“ Nachdem Karl Theodor am 12. Februar 1799 beim Kartenspiel vom Schlag getroffen worden war und wenige Tage danach starb, habe die ganze Stadt München endlich angefangen, frei zu atmen, notierte damals der Kritikus Westenrieder.
In wenigen Wochen (11. Dezember) jährt sich Karl Theodors Geburtstag zum 300. Mal, weshalb der Herrscher und damit auch das Bild, das von ihm gezeichnet wird, wieder in den Fokus rücken. Dabei drängen sich Fragen auf: Warum ist diese Figur so umstritten? Was hat Karl Theodor für Bayern geleistet? Und welche seiner Charakterzüge waren so abstoßend, dass sich der Preußenkönig Friedrich II. gewünscht haben soll, dass „dieses Vieh doch sterben wolle“? Letztlich ist es so, dass Karl Theodor vor allem in Bayern schlecht beleumundet war, während er in anderen Regionen Deutschlands in hohem Ansehen stand.
Der Publizist Bernhard Graf, der soeben eine Karl-Theodor-Biografie vorgelegt hat, findet, der Kurfürst werde oft recht einseitig bewertet. Dabei hätten gerade die Bayern allen Grund, ihm dankbar zu sein. Ohne ihn hätten sie lange Zeit auf Kartoffeln verzichten müssen, keinen Zugang zu Münchner Bibliotheken und Museen gehabt, ohne ihn wäre den Bürgern der Englische Garten verschlossen geblieben, und überdies wären die Klänge von Mozarts Idomeneo verstummt. Die Uraufführung der Oper im Karneval 1781 stellt ein herausragendes Ereignis in Münchens Historie dar.
Karl Theodors Unbeliebtheit wurde durch den Umstand genährt, dass er das alte Kurbayern gegen die österreichischen Niederlande eintauschen wollte, was Jahrzehnte vor ihm schon der Kurfürst Max Emanuel ins Auge gefasst hatte. Der Plan vom Großreich am Rhein platzte zwar, aber das bayerische Volk war in Aufruhr. Die Abneigung war wechselseitig zu spüren. Auch Karl Theodor war nicht erfreut über seinen Umzug nach München, das ganze Kurbayern kam ihm schwerfällig vor. Dass er seine Regentschaft als Verbannung empfand, wird wohl stimmen. Ein Vertrag zwang ihn, den verstreuten Wittelsbacher Besitz in der Pfalz und am Niederrhein sowie zwischen Inn und Isar von München aus zu regieren.
Wie wenig Karl Theodor mit München verbunden wird, belegt Bernhard Graf am Beispiel des Münchner Stachus, der ja eigentlich Karlsplatz heißt. Bei einer Umfrage brachte kaum jemand diesen Platz mit dem Namensgeber Karl Theodor in Verbindung. Zu Hause in dessen Kurfürstentum am Rhein und in der Residenzstadt Mannheim genoss er dagegen einen hervorragenden Ruf. Er hatte dort ein ähnliches Schloss wie Versailles gebaut, er errichtete europaweit bedeutende Musenhöfe in Mannheim und Schwetzingen, und er korrespondierte mit Voltaire. Nach der Vereinigung der bayerischen und pfälzischen Linie der Wittelsbacher zählte Karl Theodor zu den bedeutendsten deutschen Reichsfürsten im 18. Jahrhundert. Seine Zeitgenossen nannten ihn „Herr der sieben Länder“.
Politisch lief nicht immer alles nach Gusto, jedenfalls nicht auf der europäischen Bühne. Seine innenpolitischen Reformen griffen aber in einer Weise, dass Montgelas später bei seiner radikalen Staatserneuerung darauf aufbauen konnte. Dass das Volk trotz Segnungen wie der Trockenlegung des Donaumooses bei Neuburg und dem Anlegen des Englischen Gartens in München undankbar blieb, frustrierte den anfänglich liberalen Mann sehr. Die Französische Revolution widerstrebte ihm, von da an setzte er Aufklärung mit Aufruhr gleich, den es zu unterdrücken galt.
Graf schildert viele zeithistorische Begebenheiten, etwa den Besuch von Papst Pius VI., der auf der triumphalen Rückreise von Wien fünf Tage lang in München zu Gast war. Doch die Zeit war geistig eng geworden, was ganz wunderbar in der „Bayerischen Geschichte“ von Benno Hubensteiner nachzulesen ist. In Freising und Salzburg gebärdete man sich demnach viel freisinniger als in München, weshalb manche Münchner sonntags zum Schlosswirt nach Oberföhring hinauspilgerten, wo sie dann auf fürstbischöflich-freisingischem Boden waren und ein so gefährliches Blatt wie die Oberdeutsche Staatszeitung nach Herzenslust durchstudieren konnten. Hubensteiner spricht von der „geistigen Absperrung“ Bayerns.
Graf verweist dennoch auf die fortschrittliche Denkweise des Wittelsbachers, der es als erster Fürst Europas wagte, seine Musik, seine Kunst, seine Gärten und Sammlungen mit dem Volk zu teilen. Dem Gros der kurbayerischen Untertanen hält Graf vor, in ihrer patriotisch engstirnigen Sichtweise nicht begriffen zu haben, welche kulturellen, sozialen und wirtschaftliche Fortschritte sich nur durch den Einsatz bewährter Persönlichkeiten des Mannheimer Hofes und des Auslands erzielen ließen.
Graf stellt es den Lesern anheim, sich bei der Bewertung des Kurfürsten auch an der Trauerrede des Propstes Ertl aus dem Theatinerstift Sankt Kajetan vom Februar 1799 zu orientieren: „Verbessern wir unsere Urtheile, geben wir einer Kritik, die sich zu viel erlaubt, kein Gehör ... dieß fordert das Gefühl der Dankbarkeit und die Ehrerbietung, die man den Großen auch nach dem Tode schuldig ist.“
Bernhard Graf: Kurfürst Carl-Theodor von Pfalz-Bayern. Musiker, Mäzen und Reformer. 288 Seiten, Verlag Friedrich Pustet, 32 Euro.