Kriminalität in Bayern:"An der Grenze ist die Welt nicht zu Ende"

Kriminalität in Bayern: Verbrechen müssen in Bayern auch grenzübergreifend aufgeklärt werden.

Verbrechen müssen in Bayern auch grenzübergreifend aufgeklärt werden.

(Foto: Silas Stein/dpa)

Im reichen Bayern machen Verbrecher oft fette Beute. Spezialfahnder decken aber viele grenzüberschreitende Delikte auf und holen manche Millionen­summe zurück.

Von Matthias Köpf

Für Verbrecher - und speziell für solche von auswärts - hätte Georg Eisenreich einen guten Rat: "Es ist klug, um Bayern einen großen Bogen zu machen", sagt Eisenreich, denn es lohne sich nicht, im Freistaat kriminell zu sein. Allerdings beherzigen nicht alle Kriminellen diesen Rat des bayerischen Justizministers, und reiche Beute machen sie im reichen Bayern auch oft genug. Wie sonst hätten die auf grenzüberschreitende organisierte Kriminalität spezialisierten Staatsanwälte im oberbayerischen Traunstein innerhalb von drei Jahren etliche Millionen Euro an Beute aus verschiedenen Verbrechen sicherstellen oder aus dem Ausland zurückholen können? Dieses "Traunsteiner Modell" hat sich jedenfalls auch für die Justiz in vielerlei Hinsicht gelohnt, so dass der Freistaat es inzwischen auf alle bayerischen Grenzgebiete ausgedehnt hat.

Oberstaatsanwalt Martin Freudling, der in Traunstein ein Team aus fünf Kollegen leitet, spricht ohnehin gleich von einem "Traunsteiner Erfolgsmodell" - und jeder Euro Steuergeld dafür zahle sich "sogar in barer Münze für die Staatskasse aus". Denn er und seine Leute haben zuletzt nach eigenen Angaben mehrere grenzüberschreitende Drogengeschäfte aufgedeckt und dabei mehrere Hunderttausend Euro an Gewinnen abgeschöpft. Die zwei Millionen Euro, die man nach einem groß angelegten Betrugs mit Corona-Masken aus Nigeria habe zurückholen können, verkleinern dagegen den Schaden beim Betrogenen, und auch die 1,6 Millionen Schweizer Franken aus einem Überfall auf einen Geldtransporter gehen wieder in die Schweiz.

Was erfolgreiche Ermittlungen angeht, gibt es bei den Staatsanwaltschaften noch eine ganz andere Währung: So habe man acht Jahre Haft erwirkt für einen Abholer, dessen Bande mit dem Falsche-Polizisten-Trick Menschen um ihre Wertsachen erleichtern wollte, sagt Freudling. Auf dem Handy eines Abholers sei man sogar auf eine Chatnachricht gestoßen, in welcher der Mann einen höheren Anteil als seine üblichen 3000 Euro gefordert habe, weil das Risiko in Bayern viel größer sei als anderswo.

"An der Grenze ist die Welt nicht zu Ende", sagt Freudling. Das war sie noch nie, auch nicht für die Strafverfolger in Traunstein und anderswo. Doch die organisierte Kriminalität hat die Möglichkeiten in der scheinbar grenzenlosen EU viel schneller genutzt, als ihr Staatsanwälte und Polizei hinterher kamen. Und genau da wollte der Freistaat mit spezialisierten und international besonders gut vernetzten Staatsanwälten aufholen. Zusammengearbeitet haben die Traunsteiner seit 2018 nicht nur mit Kollegen im benachbarten Österreich und der übrigen EU, sondern von Norwegen über Kolumbien bis Australien.

Die Staatsregierung hat das Modell seit 2018 nach und nach auf Staatsanwaltschaften wie Landshut, Kempten, Regensburg und Hof ausgedehnt. Neben Enkeltrick-Organisationen, Callcenter-Betrügern, Einbrecherbanden und Schleuserorganisationen befassen sich die Staatsanwälte nahezu überall mit Drogenschmuggel. In Hof hat Oberstaatsanwalt Uwe Demuth nach eigenen Worten mit der Corona-Pandemie eine deutliche Veränderung registriert. Nach der pandemiebedingten Schließung der tschechischen Grenze habe sich der Drogenschmuggel auf den Postweg verlagert.

So habe man viele Sendungen nach Bayern, aber noch mehr Richtung Tschechien abgefangen - nach den Worten von Justizminister Eisenreich insgesamt 574 Pakete. In Hof haben die Staatsanwälte nach eigenen Angaben zuletzt auch eine Bande auffliegen lassen, die mit Hightech-Ausstattung Autoschlüssel codiert und auf diese Weise mehr als 100 Lieferwagen im Gesamtwert von über zwei Millionen Euro gestohlen haben soll. Auch hier hat die Justiz laut Demuth schon 700 000 Euro Gewinn abgeschöpft und "ein luxuriöses Haus mit eigenem See" in Polen beschlagnahmt.

Die Staatsanwaltschaften München II und Weiden arbeiten seit April als letzte in Grenznähe nach dem Traunsteiner Modell. Oberstaatsanwalt Christian Härtl in Weiden sieht den Ausbau, der damit einhergeht, ebenso als "Auftrag für die Zukunft" wie als "Wertschätzung für die bisherige Arbeit". So haben er und seine Leute zuletzt zwei Männer in London und Griechenland festnehmen lassen und für mindestens neun Jahre hinter Gitter gebracht. Sie waren demnach Drahtzieher einer Schleuserorganisation, die Flüchtlinge in größeren Gruppen aus dem Irak per Lkw nach Deutschland brachte - laut Härtl unter "lebensbedrohlichen und teils erschütternden Bedingungen". An den Ermittlungen waren laut Härtl allein in Europa Behörden aus neun Ländern beteiligt - in Weiden ohne Traunsteiner Modell, das so etwas in Zukunft aber deutlich leichter machen soll.

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