Süddeutsche Zeitung

Kriminalität:Wenn Bankräuber Geldautomaten sprengen

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Von Johann Osel, Bayreuth/München

Sie kamen nachts, ein paar Minuten vor drei Uhr, und bestens präpariert, um den Raubzug auszuführen. Unbekannte Täter - mindestens zwei dunkel gekleidete Männer - versuchten zu Beginn dieser Woche, den Geldautomaten einer Bankfiliale in Weidenberg bei Bayreuth zu sprengen. Nach bisherigen Ermittlungen leiteten sie dazu ein Gasgemisch ein, es gab einen lauten Knall in der Filiale in der Bahnhofsstraße, jedoch misslang es ihnen, an die Geldkassette zu kommen. Zurück blieb ein Sachschaden in noch unbekannter Höhe. Polizei und Feuerwehr sperrten das Gebiet wegen des Gases weiträumig ab. Die Fahndung nach den Tätern läuft, auch eine technische Sondergruppe des Landeskriminalamts ist ausgerückt.

Die Tat erinnert an einen Fall in der Region: Im Mai vergangenen Jahres wurde in Bayreuth ein Automat gesprengt, ebenso erfolglos. In ganz Bayern sind längst mehrere ähnlich gelagerte Delikte aktenkundig. "Die Sprengung von Geldautomaten ist der Bankraub des 21. Jahrhunderts", sagte der bayerische Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Robert Krieger, mal in einem Interview dem Radiosender Bayern 2. Das zeichnet sich seit Jahren in den bundesweiten Deliktszahlen ab, vor allem Nordrhein-Westfalen galt lange als ein Zentrum spezialisierter Banden. Mittlerweile schlägt sich der Trend eben deutlich in Bayern nieder, wie das LKA auf Anfrage der S üddeutschen Zeitung mitteilte: Zählte man im Freistaat 2017 elf Delikte, so waren es 2018 dann 22 Fälle. Für das abgelaufene Jahr 2019 hat die Behörde 27 Fälle registriert und für ein übergreifendes Lagebild ans Bundeskriminalamt gemeldet.

Umgerechnet wird also gut alle zwei Wochen im Freistaat ein Geldautomat gesprengt. Beziehungsweise: Es wird versucht. 2018 lag die Beute bei etwa 800 000 Euro. Dabei sind nach Expertenangaben einzelne Automaten oft mit 100 000 Euro oder gar höheren Summen bestückt. Häufig scheinen die Taten also nicht zum Erfolg geführt zu haben. Genauere Angaben über den Anteil der Versuche sind bei den Behörden nicht zu erfahren. Als "neue Entwicklung" sieht jedenfalls das Lagebild des BKA die deutlichen Anstiege der Fallaufkommen unter anderem in Bayern.

Im Dezember schlugen Automatensprenger in Fürth und in Alzenau in Unterfranken zu, im November in Augsburg und Dachau, im Oktober in Pfaffenhofen, im Sommer im Landkreis Bamberg und im schwäbischen Memmingen. Der oberfränkische Fall jetzt setzt den Trend im neuen Jahr fort. Manchmal sind größere Städte Tatorte, oft aber kleinere Orte, wohl wegen der wenig belebten Straßen bei Nacht. Häufiger scheint die Einleitung von Sprenggas zu werden, um die Automaten zu knacken, doch den Behörden sind auch Fälle mit hydraulischen Spreizern, Brecheisen oder thermischen Schneidgeräten bekannt. Mitunter wurden sogar Automaten komplett aus der Wand herausgerissen. Durch die Sprengungen wurden vereinzelt unbeteiligte Dritte verletzt, vor allem durch die Rauchentwicklung.

Und die Täter? Deutschlandweit konnten im vergangenen Jahr 128 Verdächtige ermittelt werden. Nur in wenigen Fällen werden Einzelpersonen aktiv, in der Regel wird eine Sprengung arbeitsteilig begangen. Das Gros der Verdächtigen sind sogenannte reisende Täter, vornehmlich niederländische Staatsangehörige mit meist marokkanischer Herkunft. Darüber hinaus spricht Robert Krieger vom Kriminalbeamtenbund auch von weiteren Tätern, die "sich diesen Modus Operandi angeeignet" hätten. Der klischeetypische Bankräuber mit Strumpf über dem Gesicht und Pistole sei seltener geworden, weil vielen Tätern das Risiko zu groß geworden sei, sich mittels Bedrohung Zugang zum Tresorraum zu verschaffen. Viele Institute hätten zudem auf Bargeldauszahlung am Automaten umgestellt, sodass am Kassenschalter nichts mehr zu holen sei. Die Folge sei, dass eben viele Automaten "gut mit Bargeld bestückt" würden.

Im Oktober schnappten Ermittler in Germering Mitglieder eines Netzwerks

Warum so viele niederländische Täter ihr "Einsatzgebiet" nach Deutschland verlegt haben, hat einen einfachen Grund: Im Nachbarland wurden die Sicherheitsstandards bei den Automaten erhöht. Seitdem kommt es hierzulande offenbar zur Expansion der Aktivitäten, erst ins nahe NRW und über die Jahre nach Bayern. Östliche und nördliche Bundesländer waren laut einer Karte des Bundeskriminalamts zuletzt weniger betroffen. Über den besseren Schutz von Automaten wird in der Bankenszene diskutiert, zum Beispiel über Anlagen mit höherem Sprengschutz oder explodierenden Farbkartuschen im Gelddepot. Einerseits wird aber der Investitionsaufwand gescheut, hört man, andererseits sei viel geschehen - zu sehen am hohen Anteil der misslungenen Beutezüge. Letztlich könnten kriminelle Profis immer neue Möglichkeiten finden, heißt es. Selbst wenn man Schaltervorhallen nachts ganz schließe - zum Nachteil der Kunden im Übrigen - könnten dann diese Räume als Ganzes aufgesprengt werden.

Allerdings gibt es durchaus Ermittlungserfolge in Bayern zu verzeichnen. Im Oktober beispielsweise schnappte man im oberbayerischen Germering Mitglieder eines Netzwerks mitsamt mutmaßlichen Logistikhelfern. Stärker denn je forcieren die Sicherheitsbehörden das Thema, etwa über den internationalen Austausch. Täter ließen sich aber vor allem über klassische, kleinteilige Fahndung am Ort ergreifen.

Diese war auch in Weidenberg umgehend angelaufen. Inzwischen wurde dort das mutmaßliche Fluchtfahrzeug aufgefunden, ein roter Roller. Die Kriminalpolizei in Bayreuth hofft jetzt auf Zeugen. Gleich mehrere Fälle sind vergangenes Jahr im Bereich des Polizeipräsidiums Oberfranken aufgelaufen, darunter eine Sprengung im August in Röslau im Fichtelgebirge. Die Fahnder veröffentlichten damals Überwachungsbilder, werteten Spuren und Hinweise zu den Fluchtfahrzeugen aus, schickten Hundestaffel und Hubschrauber los. Am Ende wurden, "auch mit ein bisschen Glück", wie eine Sprecherin des Polizeipräsidiums sagt, zwei Tatverdächtige festgenommen. Die Männer aus den Niederlanden sitzen in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft arbeitet an der Anklage.

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Quelle:
SZ vom 16.01.2020
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