Zwischenbilanz nach Kommunalwahl:Neue Köpfe, neue Töne

Zwischenbilanz nach Kommunalwahl: Illustration: Özer/Adobestock

Illustration: Özer/Adobestock

Bei der Kommunalwahl gab es in Bayerns größten Städten Wechsel in den Rathäusern. Das schlägt sich vielerorts auch im Stil nieder. In Nürnberg schimpft niemand, in Ingolstadt sind alle zufrieden und in Augsburg kracht es schon mal.

Von Florian Fuchs, Andreas Glas, Johann Osel und Olaf Przybilla

Ein halbes Jahr ist es her, dass sich in Bayerns Großstädten auf einen Schlag so viel verändert hat wie lange nicht mehr. Die Kommunalwahl brachte vielerorts einen politischen Neuanfang. Zeit für eine Zwischenbilanz.

Nürnberg

Nürnberger OB-Kandidat Marcus König in Quarantäne

Marcus König hat für die CSU Nürnbergs Rathaus erobert. Doch selbst die SPD hat wenig zu kritisieren.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Vor solchen Momenten hatten sie selbst in der CSU ziemlichen Bammel: Pressekonferenz in maximal großem Rahmen zur Kulturhauptstadtbewerbung, vorgestellt wird das finale Bewerbungsbuch, es sollte jetzt nichts schiefgehen, wenn Nürnberg eine reelle Chance haben will, am Ende als Sieger vom Platz zu gehen. Beim Vorgänger Ulrich Maly (SPD) hätte da keiner Bedenken gehabt, im Gegenteil. Klar, die 100 Seiten Bewerbung fechten auf intellektuell anspruchsvollem Kultursoziologenniveau, das hätte ein Maly schon in den Griff bekommen. Marcus König (CSU) aber? Hinter vorgehaltener Hand hatte da mancher Bedenken. König blickt auf den imposanten Lebensweg eines Aufsteigers zurück: Hauptschule, Bankfilialleiter, Rathauschef einer Halbmillionenstadt - aber kann so einer auch Kulturhauptstadt?

Man wusste das am Ende der Präsentation nicht, die Frage stellte aber auch keiner mehr. König leitete ein und über, er ließ anderen, die das besser können, den Vortritt. Die Kulturbürgermeisterin und der Bewerbungschef sprachen, dass sie am Ende mehr im Fokus standen, schien König wenig zu interessieren. Als Ein- und Überleiter hat er gute Figur gemacht, auch das muss einer können als Chef. Können aber nicht viele, schon gar nicht in der Politik.

Sechs Monate nach der Kommunalwahl tut man sich schwer, kritische Stimmen über Nürnbergs neuen OB einzufangen. Selbst bei den Sozialdemokraten nicht, denen er den OB-Sessel abgerungen hat. Einer aus der SPD-Führungsriege hatte gar "Tränen in den Augen", als König sich im Namen der Stadt bei den NSU-Opfern auf so eindringliche Weise entschuldigt hat, wie das in Nürnberg zuvor nicht zu erleben war. Aber nicht nur das: König hat sich auch ins Zeug gelegt, beide Nürnberger Karstadt-Filialen zu retten, er stritt für einen Klimaschutzfonds und leitete das erste 365-Euro-Ticket einer Großstadt in die Wege - da tut sich die politisch linksorientierte Seite der Stadt schwer mit Kritik.

Einmal immerhin schien er auch der eigenen Partei, der CSU, Gutes tun zu wollen. Als Rechtsdirektor benannte er einen Mann, der den Grünen zuvor mit restriktiver Handhabe als Chef der Ausländerbehörde aufgefallen war. Die Grünen scherten aus den Kooperationsverhandlungen aus, es blieben CSU und SPD. König dürfte das so nicht geplant haben. Ein Missgriff also, könnte man sagen, einer freilich, der der Debattenkultur guttun dürfte.

Augsburg

Kommunalwahl - Eva Weber

Eva Weber ist Augsburgs Stadtoberhaupt - als erste Frau seit 2035 Jahren, wie sie gerne betont.

(Foto: Stefan Puchner/dpa)

Große Koalition mit grünem Kooperationspartner, das war vor der Wahl im Frühjahr die Konstellation in Augsburg. Die Übermacht der drei Regierungsparteien war derart groß, dass Widerspruch im Stadtrat kaum vernehmbar war. Das hat sich geändert, seit Eva Weber für die CSU das Oberbürgermeisteramt übernommen hat - die erste Frau an der Spitze seit 2035 Jahren, wie sie damals vorrechnete. Der Widerspruch in der Stadtpolitik ist deutlich hörbarer, aber nicht weil Weber nun Oberbürgermeisterin ist. Sondern weil CSU und Grüne die SPD aus der Regierung gekegelt und ein schwarz-grünes Experiment gestartet haben, das es in einer Stadt dieser Größe bundesweit nicht oft gibt. "Ich werde im Bundestag öfter gefragt, wie das funktioniert", sagt Volker Ullrich, Augsburger CSU-Chef und Bundestagsabgeordneter. Die Stadt steht unter Beobachtung, auch die SPD geht für Bayern ungewöhnliche Wege, sie hat sich mit der Linken zur "Sozialen Fraktion" zusammengetan und schießt nun scharf gegen Schwarz-Grün. Themen gibt es genug, an denen sich Streit entzündet: Mal geht es um die Sanierung des Staatstheaters, die deutlich teurer wird als veranschlagt. Ein Bürgerbegehren dagegen ist in Vorbereitung. Mal geht es um Aktivisten von "Fridays for Future", die vor dem Rathaus campieren, um ihren Forderungen nach Maßnahmen gegen den Klimawandel Gehör zu verschaffen.

Viele Beobachter dachten, dass CSU und Grüne sich bei Streitfragen schnell entzweien lassen, Zwist aus der Koalition aber ist nicht zu vernehmen. Tatsächlich haben die Parteien in Augsburg intern die Koalitionsvereinbarungen mit großer Mehrheit abgenickt: Die CSU gibt sich mit Weber an der Spitze so ökologisch wie nie. Die Grünen sind so realistisch, dass sie etwa die Ziele des örtlichen Fahrradbegehren unterstützen. Aber sie sagen halt auch, dass man deshalb nicht gleich das Auto abschaffen kann. Kritik von der SPD über "bloße ökologische Rhetorik" tut Webers Koalition als "populistisch" ab.

Oberbürgermeisterin Eva Weber war angetreten, einen neuen Ton in der Augsburger Kommunalpolitik zu etablieren: Mitarbeit über Fraktionsgrenzen, Einbeziehung über das Regierungsbündnis hinaus. Der Ton ist eher rauer geworden, weil es nun eine starke Kraft außerhalb des Regierungsbündnisses gibt. Intern aber zeichnet sich die Koalition durch Harmonie aus - trotz genauer Beobachtung.

Ingolstadt

Zwischenbilanz nach Kommunalwahl: Christian Scharpf hat einen sensationellen Wahlsieg in Ingolstadt gefeiert. Sein Start wird als gut bewertet.

Christian Scharpf hat einen sensationellen Wahlsieg in Ingolstadt gefeiert. Sein Start wird als gut bewertet.

(Foto: Privat)

Das war ein Patzer, gleich in den ersten Wochen, keine Frage. Ingolstadts OB Christian Scharpf grinst, hält den Bierkrug hoch am Stand mit den Lebkuchenherzen - auf der "Mini-Wiesn", dem Ersatz für das wegen Corona gestrichene Pfingstvolksfest. Abstand beim Gruppenbild mit Stadtoberhaupt? Kaum, der Mundschutz wurde fürs Foto abgelegt. Reuig gestand man das im Rathaus ein, nach Grummeln von Bürgern. Trüben kann das Scharpfs Zwischenbilanz aber nicht. In Ingolstadt hört man durch alle Lager: guter Start! Sicher tritt man Scharpf nicht zu nahe, wenn man behauptet, sein sensationeller Wahlsieg beruhte zweitrangig auf fachlichen Themen und zuvorderst auf Stilfragen. Nach fast fünf Jahrzehnten CSU-Regentschaft hat der Sozialdemokrat gegen Amtsinhaber Christian Lösel gewonnen. Nahverkehr, Familien, Senioren, Vereine - das inhaltliche Programm war erwartbar, zumal für die SPD. Und aus wirtschaftlicher Sicht war Ingolstadt von der CSU zuvor ja keineswegs schlecht regiert worden. Attraktiv für viele Bürger schien vielmehr der gefühlige Teil seiner Versprechungen zu sein: Transparenz in der Politik, Regieren mit breiter Kooperation im Stadtrat und ohne Machtblöcke. Ein Ende des Dauerzoffs, der auch wegen der Korruptionsskandale rund um das Klinikum und die Immobiliendeals von Lösels Vorgänger entstanden war. Kurzum: einen "politischen Klimawandel", den der zuvor in München in der Rathausverwaltung arbeitende Jurist verkörpern wollte, unbelastet von "Seilschaften".

Ein erstes Fazit? Mit elf Parteien und Gruppen ist der Stadtrat zersplittert, tatsächlich wird jetzt mit wechselnden Mehrheiten abgestimmt. Das Klima gilt als "entgiftet". Als seine Stellvertreterinnen berief Scharpf zwei Frauen, eine von der CSU, eine von den Grünen - die drei stärksten Fraktionen stellen also eine überparteiliche Stadtspitze. Die Einbindung der abgewählten CSU war nicht jedem Stadtrat recht, hat sich aber etabliert - Riesenkoalition soll es ausdrücklich keine sein. "Der Stadtrat ist jetzt ein Kollegialorgan im wirklichen Sinne des Wortes", sagt Christian Lange von der Bürgergemeinschaft Ingolstadt (BGI), der in der alten Amtszeitperiode quasi der Oppositionelle vom Dienst war. In die politische Arbeit "integriert" und "wertgeschätzt" fühlt er sich. "Es fällt mir schwer, Fehler zu finden", sagt Lange. Höchstens, dass Scharpf oft zunächst als "reiner Moderator" auftrete, ohne dass seine Meinung klar erkennbar sei - das allerdings ist ja genau sein Konzept.

Regensburg

Kommunalwahl in Bayern - Regensburg

Gertrud Maltz-Schwarzfischer ist nun auch offiziell OB von Regensburg. Als Visionärin gilt sie aber nicht.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Wer nach einem Zwischenzeugnis für die Oberbürgermeisterin sucht, landet irgendwann bei dem Brief, den Innenminister Joachim Herrmann (CSU) im August nach Regensburg schickte. Ein Glückwunschschreiben, zu Gertrud Maltz-Schwarzfischers 60. Geburtstag. Nur las sich der Brief eben wie diese Arbeitszeugnisse, die wohlwollend formuliert sind, aber wenig Greifbares enthalten. Dass sich Maltz-Schwarzfischer ihrer Aufgabe mit "Elan und Engagement" widme, schrieb Herrmann. Dass sie Schwerpunkte "in den Bereichen Kultur und Umwelt gesetzt" habe. Alles richtig, aber alles sehr schemenhaft.

Drei Jahre hat Maltz-Schwarzfischer (SPD) den wegen Korruptionsvorwürfen suspendierten OB Joachim Wolbergs vertreten, bevor sie bei der Kommunalwahl offiziell ins Amt kam. "Ich bin nicht als Oberbürgermeisterin gewählt", hatte sie bis dato immer wieder betont, "deshalb sehe ich meine Aufgabe zuallererst nicht darin, große Visionen für die Zukunft zu entwickeln". Nun ist sie gewählt. Doch wer sich in Regensburg umhört, hört immer noch viele Menschen, die ihre Visionen nicht erkennen. Statt als Visionärin profiliert sich Maltz-Schwarzfischer als Krisenmanagerin, wie zuvor in der Korruptionsaffäre. Etwa mit Betretungsverboten auf öffentlichen Plätzen, die es in Regensburg schon gab, bevor der Freistaat strengere Corona-Maßnahmen verordnete. Von den Jusos, der Jugendorganisation ihrer Partei, muss sich Maltz-Schwarzfischer dafür Kritik anhören. Auch von den Grünen, die gern mitregiert hätten. Doch Maltz-Schwarzfischer wählte ein konservativeres Bündnis mit CSU, Freien Wählern, FDP und CSB. "Die graue Koalition", spottet Ex-OB Wolbergs, der nun für die "Brücke" im Stadtrat sitzt. Auch Wolbergs findet Regensburg unter der neuen Führung nicht zukunftsorientiert genug. Er sagt: "In dieser Stadt regiert inzwischen nicht mehr die SPD, sondern die CSU." Man muss wissen: Maltz-Schwarzfischers SPD hat im Stadtrat nur noch sechs Sitze, die CSU hat 13.

Punkten kann Maltz-Schwarzfischer bei vielen Regensburgern mit ihrer Weltoffenheit. Sie forderte die Absage eines Konzerts von Xavier Naidoo, der für seine Verschwörungsmythen bekannt ist, und 2021 einen Auftritt in der Stadt plant. Und als in Moria das Flüchtlingslager brannte, erklärte sie sich sofort bereit, Flüchtlinge in Regensburg aufzunehmen.

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