Neue Regierung:Wir wollen, wir planen, wir streben an

Unterzeichnung Koalitionsvertrag in Bayern

"Das ist die erste Koalition, die es in dieser Form weltweit gibt", sagte Ministerpräsident Markus Söder (Zweiter von links) bei der Vertragsunterzeichnung.

(Foto: dpa)

Der Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern ist in weiten Teilen eine große Absichtserklärung. Die Opposition kritisiert die Vereinbarung als ein ambitionsloses "Weiter so".

Von Katja Auer, Dietrich Mittler, Lisa Schnell und Wolfgang Wittl

Die Opposition im Landtag teilt die Begeisterung von CSU und Freien Wählern über deren Koalitionsvertrag nicht. Es gehe einfach weiter wie bisher, werfen viele Kritiker der neuen Regierung vor. Die Grünen, die nun größte Oppositionspartei sind, sehen in dem Schriftstück zwar "grüne Überschriften, aber pechschwarze Inhalte", wie Landeschefin Sigi Hagl am Montag sagte. So gebe es das Lippenbekenntnis, die Artenvielfalt zu schützen, aber keine Maßnahmen dafür. Die notwendige Agrarwende werde ausgebremst und im Naturschutz und bei der Begrenzung des Flächenverbrauchs setzten die Koalitionäre auf Freiwilligkeit. "Warme Worte ohne Verbindlichkeiten führen aber nicht zum Ziel", sagte Hagl.

Tatsächlich klingt im Koalitionsvertrag der Schock noch nach, den der Wahlerfolg der Grünen bei der CSU hinterlassen hat. So soll der Klimaschutz in der Verfassung festgeschrieben werden, mit dem Ziel, die CO₂-Emissionen bis 2050 auf weniger als zwei Tonnen pro Jahr und Einwohner zu reduzieren. Zurzeit seien es 5,6 Tonnen, heißt es auf Nachfrage aus dem Umweltministerium. Die Zahl ist eine der wenigen konkreten; oft ist zu lesen, dass die Regierung etwas anstrebe, wolle oder plane. So "wollen wir sorgsamer mit der Fläche umgehen", heißt es, und den Flächenverbrauch auf eben jene fünf Hektar pro Tag reduzieren, die die Grünen in ihrem nicht zugelassenen Volksbegehren gefordert hatten. Allerdings ohne gesetzliche Vorgabe, eine entsprechende "Richtgröße" werde angestrebt. Einen dritten Nationalpark wird es auch mit dieser Regierung nicht geben, doch dem Schutz des Waldes werde besondere Bedeutung beigemessen, heißt es. So sollten zehn Prozent der staatlichen Waldflächen dauerhaft nicht mehr bewirtschaftet werden. Indes, das ist längst so, ist auf der Internetseite der Bayerischen Staatsforsten nachzulesen.

Bei der Windenergie bleibt die umstrittene 10-H-Abstandsregel erhalten, das kritisieren Grüne wie SPD. Die Sozialdemokraten sehen zudem soziale Themen zu wenig berücksichtigt. "Das soziale Bayern bleibt auf der Strecke", sagte SPD-Fraktionschef Horst Arnold. Es gebe keine Konzepte gegen Pflegenotstand, Wohnungsmangel und ungerechte Löhne.

In der Tat bleibt es oft nur bei allgemeinen Absichtserklärungen, so etwa bei der beruflichen Integration von Menschen mit Behinderung. Als Ziel wird zwar genannt, sie sollten "in gleichem Maße von der guten Arbeitsmarktlage profitieren wie Menschen ohne Einschränkungen". Außer einer geplanten "Kooperation mit den Arbeitgebern" fehlen aber im Vertrag die konkreten Schritte, wie die neue Staatsregierung dabei vorgehen will.

Konkreter wird der Koalitionsvertrag indes mit der Zusage, dass bei öffentlichen Aufträgen nur noch Unternehmen zum Zug kommen sollen, die sich zu gleicher Bezahlung von Frauen und Männern verpflichten. Kein Wort findet sich allerdings dazu, dass die Firmen mindestens Tariflöhne zahlen sollten. Auch darum wollten die Freien Wähler kämpfen.

"Einziger Unterschied: es wird noch teurer."

Etliches im Koalitionsvertrag orientiert sich am bereits Geltenden: Etwa die Investitionen für den sozialen Wohnungsbau in Höhe von rund 886 Millionen Euro. Dieser im Vertrag als "Rekordsumme" benannte Betrag soll "verstetigt" werden. Geradezu schwammig sind die Formulierungen bei der Pflege. "Wir schaffen die Bedingungen für eine menschenwürdige und liebevolle Pflege", heißt es da. Im Detail dann wenig Neues - es bleibt dabei, das Landespflegegeld in Höhe von 1000 Euro weiterhin auszuzahlen und durch staatliche Fördermittel 1000 neue Pflegeplätze und 500 Kurzzeitpflegeplätze zu schaffen. Vor allem für Letztere gilt: Der Bedarf ist jetzt schon höher. Unklar ist, wie in Bayern ausreichend Fachpersonal für solche Angebote gefunden werden soll. Und was die Freien Wähler im Wahlkampf als eine ihrer Hauptforderungen proklamiert hatten: den Erhalt aller Krankenhausstandorte in Bayern. Geblieben ist davon eine Absichtserklärung: "Wir wollen unsere Krankenhausstrukturen erhalten und bedarfsgerecht weiterentwickeln." So auch kleinere Häuser.

FDP-Fraktionschef Martin Hagen gratulierte Markus Söder süffisant zum Koalitionsvertrag, er könne trotz der Wahlniederlage die Politik der CSU-Alleinregierung beinahe nahtlos fortsetzen. "Einziger Unterschied: Es wird noch teurer." Den Freien Wählern sei in keinem Bereich ein Politikwechsel gelungen, einzig der Kindergartenzuschuss könne als Erfolg gewertet werden. CSU und FW haben vereinbart, zum einen das von Söder eingeführte Familiengeld von 250 Euro pro Kind im zweiten und dritten Lebensjahr weiterzuzahlen, zum anderen einen Zuschuss für jedes Kindergartenkind von 100 Euro pro Monat zu gewähren. Das kommt der von den Freien Wählern geforderten kostenlosen Kinderbetreuung recht nahe. Dieses Projekt und die anderen neuen Pläne werden im aktuellen Doppelhaushalt mit 1,2 Milliarden Euro mehr zu Buche schlagen.

AfD-Fraktionschef Markus Plenk begrüßte ebenfalls, dass mehr für Familien mit Kindern getan werden solle. Ebenso, dass Bayern ökologischer und nachhaltiger werden solle. "Es ist generell positiv, dass Bayern bürgerlich geführt wird", sagte er. Dennoch kritisierte auch er, dass die FW der CSU ein Weiter so ermöglichten.

Die Koalitionäre selbst zeigten sich bei der Vertragsunterzeichnung demonstrativ zufrieden. "Das ist kein Richtungswechsel, aber auch kein Weiter so", sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU). In der Vereinbarung sehe er "viel Handschrift von den Freien Wählern und manches sicher auch von der CSU". FW-Chef Hubert Aiwanger dankte der CSU "für die Arbeit der letzten Jahrzehnte, das ist ein gutes Fundament". Gönnerhaft zeigte er sich in Richtung Opposition. Deren Themen werde man einbinden, "soweit wir das für vernünftig halten".

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